Glutenfrei, Laktosefrei, ohne Geschmacksverstärker und Zuckerzusatz – eine kaum überschaubare Anzahl an Siegeln und Labels gibt Hinweise auf das, was in unserem Essen alles nicht drin ist. Spannend wird es, wenn man genauer hinschaut: Wo helfen diese „Frei-von“-Labels bei der Kaufentscheidung und wo leiten sie uns in die Irre?
Milchersatzprodukte, glutenfreies Brot, laktosefreier Joghurt und andere Alternativprodukte füllen mittlerweile in allen Supermärkten die Regale. Auf der Suche nach dem idealen Essen haben wir die Betrachtungsweise gewechselt: Es scheint für viele wichtiger geworden zu sein, was in Produkten nicht drin ist, als was tatsächlich drin ist. Auch das Bundeszentrum für Ernährung bestätigt den Trend: „Frei von“-Produkte boomen. Wer aber profitiert davon? Halten die Labels ihre Versprechen oder sind sie nur ein weiteres Marketinginstrument?
Für wen sind „Frei von“-Produkte sinnvoll?
Bei allen Menschen mit Laktose-, Fruktose- oder Glutenintoleranz (Zöliakie) und anderen Unverträglichkeiten ist das Bild klar: Auf den Konsum entsprechender Lebensmittel muss genauestens geachtet bzw. verzichtet werden. Ebenso verhält es sich bei nachgewiesenen Allergien auf Zusatzstoffe, wie etwa Aromen oder Farbstoffe, die meist nur als E-Nummern auf Zutatenlisten erkennbar sind.
Glutenintolerant sind rund 0,5 bis 1 Prozent der deutschen Bevölkerung, auf den Milchzucker Laktose reagieren etwa 15 Prozent mit Verdauungsproblemen oder Übelkeit. Über die vielen neuen Produkte können sich Betroffene nur freuen, ebenso wie über die detaillierten Angaben zu Inhaltstoffen auf den Produktverpackungen. Allergiker:innen mit klarer Diagnose wissen meist bereits genau, worauf sie achten müssen und welche Produkte sie vertragen – ob mit oder ohne Siegel. Wer aber neu erkrankt ist, muss sich erst zurechtfinden und sich neben ärztlicher Beratung und Ratgebern zum Umgang mit Allergien auch auf die Angaben der Unternehmen verlassen. Das wissen auch die Lebensmittelkonzerne.
Die Verwirrung mit den Siegeln
„Alkoholfrei“ erscheint als Begriff sehr eindeutig. Können alkoholabhängige Menschen also auf die Angabe vertrauen? „Nein“, sagt der Suchthilfeverband Blaues Kreuz und rät vom Konsum ab. Tatsächlich gelten nach deutschem Recht schon alle Produkte als „alkoholfrei“, die weniger als 0,5 Volumenprozent Alkohol enthalten, de facto also nicht frei von Alkohol sind.
Und wie ist das mit dem Begriff „laktosefrei“? In den Supermarktregalen finden wir die freiwilligen Angaben der Hersteller: Laktosefreier Joghurt, laktosefreie Milch, laktosefreier Gouda, daneben direkt die normalen Produkte, der normale Gouda. Was viele nicht wissen: Bis auf Weichkäse sind die meisten Käsesorten nahezu laktosefrei. Das bestätigt auch die Verbraucherzentrale und fordert einheitliche Gesetze und Ausweispflichten bzw. -verbote.
Auf die Spitze getrieben wird der Ausweisungs-Trend durch die Kennzeichnung von Produkten, die schon immer „frei von“ etwas waren. Wer in die Regale schaut, findet beispielsweise laktosefreien Kochschinken, veganes Studentenfutter oder glutenfreie Cornflakes. Selbstverständlich stellt sich dann die Frage: Wie könnte das Produkt nicht frei davon sein? Offenbar machen sich hier Unternehmen Ernährungstrends und die Unsicherheit vieler Verbaucher:innen zunutze, um ihre Produkte teurer zu vertreiben: Lieber zahlen Konsument:innen etwas mehr, als das Risiko einzugehen, doch Laktose oder tierische Produkte im Lebensmittel zu finden.
Aber wie unterscheiden sich die Produkte preislich? Die Verbraucherzentrale Hamburg verglich bereits 2012 verschiedene herkömmliche Produkte mit ihren laktosefreien Pendants und zeigte auf, dass sich mit den „Frei-von“-Produkten ein bis zu sechsmal höherer Umsatz generieren lässt. Und Konsument:innen sind durchaus bereit, diesen Preis zu zahlen.
Weitere Beispiele für verwirrende Hinweise auf vermeintlichen „Frei von“-Produkten gibt es viele. „Ohne Zusatzstoff Geschmacksverstärker“ lässt darauf schließen, dass dem Produkt kein Mononatriumglutamat hinzugefügt wurde. Statt also diesen Zusatzstoff als Pulver beizumengen, wird oft auf das natürliche Aroma Hefeextrakt zurückgegriffen, das natürlicherweise Glutamat enthält und auf das manche Menschen deshalb verzichten möchten. Ebenso kann ein Kirschjoghurt verführerisch rot aussehen und den Hinweis „frei von Farbstoffen“ tragen und dennoch ist es nicht die Kirsche, die ihn färbt. Auch hier bedient man sich eines einfachen Tricks: Statt künstliche Farbstoffe zuzuführen, kann auch Rote-Bete-Saft als Zutat für die schöne Farbe verantwortlich sein.
Ein positives Beispiel in diesem Dschungel aus Siegeln und Hinweisen gibt es aber: Das V-Label und die „Veganblume“ kennzeichnen zuverlässig vegetarische und vegane Produkte, die wirklich frei von Bestandteilen tierischer Herkunft sind und auch im Produktionsprozess ohne tierische Hilfsstoffe auskommen (betrifft z.B. veganen Wein). Hier hilft es also, das „Frei von“-Label.
Der Trend mit Unverträglichkeiten, Diäten und Lifestyles
Neben den genannten attestierten Allergien und Unverträglichkeiten wären da noch Empfindlichkeiten, Diäten, neueste Erkenntnisse über Produkte, Trend-Bücher sowie auch Ernährungsempfehlungen von bekannten Persönlichkeiten, die den Konsum von „Frei von“-Produkten maßgeblich beeinflussen. Unter anderem Anne Hathaway und Victoria Beckham verzichten, ohne an einer Unverträglichkeit zu leiden, gänzlich auf Gluten. Viele vegane Stars werben öffentlich für ihre Lebensweise. Solche Empfehlungen verbreiten sich über die sozialen Netzwerke rasant und sind, im wahrsten Sinne des Wortes, ein gefundenes Fressen für die Lebensmittelbranche.
Zwar nehmen jährlich Unverträglichkeiten und Intoleranzen aus verschiedenen, teilweise noch ungeklärten Ursachen zu. Ein kausaler Zusammenhang zum rasanten Umsatzplus der Branchen ist jedoch kaum erkennbar. Laut der Deutschen Zöliakie Gesellschaft liegt der Anteil Betroffener unverändert bei etwa 1% der Bevölkerung. Der Umsatz mit glutenfreien Backwaren stieg laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen jedoch von 2017 bis 2019 um rund 11 Prozent. Auch der Markt für laktosefreie Produkte wächst konstant. Hierbei interessant: Laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) sind 80 Prozent der Konsument:innen dieser Produkte gar nicht laktoseintolerant.
Die Meinungen über gesunde Lebensmittel und die ungesunde Wirkung verschiedener Zutaten gehen weit auseinander. Schlussendlich ist und bleibt es eine subjektive Entscheidung, was wir einkaufen und zu uns nehmen oder nicht. Im Kopf behalten sollten wir dabei jedoch, dass ein Produkt durch einen „Frei von“-Hinweis nicht zwangsläufig besser wird als das Konkurrenzprodukt. Oftmals stehen auch gerade kleine Betriebe vor der Herausforderung, keine jährlichen Lizenzgebühren für einen zertifizierten Hinweis wie beispielweise das „V-Label“ zahlen zu können oder zu wollen – auch wenn ihre Produktionsweisen oder Inhaltsstoffe tadellos sind.
Worauf muss ich nun achten?
Bei der Vielzahl an heutigen Lebensmittel-Inhaltsstoffen und sonstigen Umwelteinflüssen ist es extrem schwer, einen einzelnen Faktor für Verdauungsprobleme oder sonstige Symptome verantwortlich zu machen. Lebensmittel daher auf Verdacht dauerhaft aus dem Speiseplan zu streichen, „ist der falsche Weg“, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Der erste Schritt beim Verdacht auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten sollte daher eine allergologische Untersuchung sein, um Gewissheit zu erlangen. Erst mit einer ärztlichen Diagnose macht auch das gezielte Vermeiden – oder die Zufuhr – bestimmter Stoffe wirklich Sinn. Lebensmittelkonzerne können sonst leicht die Unsicherheit der Konsument:innen ausnutzen, indem sie uns Produkte mit „Frei von“-Labels teuer verkaufen, die entweder eh schon frei von den betroffenen Inhaltsstoffen sind oder die wir gar nicht brauchen.
Ein guter Wegbegleiter durch den Label-Dschungel sind online verfügbare Guides, die markante Unterschiede herausstellen. Die App Siegelklarheit passt in jede Hosentasche und unterstützt auch beim Einkauf. Wer unsicher ist, ob das Müsli verträglich oder die Schokolade vegan ist, sollte den Blick aber zunächst auf die Zutatenliste werfen. Die Ausweisung von Allergenen ist laut Lebensmittel-Informationsverordnung in Deutschland Pflicht – ob mit „Frei von“-Label oder ohne Siegel oder ohne. Schlussendlich hilft bei der Kaufentscheidung auch der Austausch mit anderen Betroffenen oder die Online-Suche.
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