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Seegras: Mit Unterwasserwiesen gegen den Klimawandel

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Foto: Colourbox.de/#1049

Seegras kann als ein äußerst effizienter CO2-Speicher einen Beitrag zur Klimaregulierung leisten. Doch die Unterwasserwiesen sind selbst gefährdet. Hier erfährst du die Hintergründe.

Sie gelten als „grüne Lunge der Meere“: Seegraswiesen. Sie sind nämlich nicht nur ein bedeutendes maritimes Ökosystem, weil sie zahlreiche Meeresbewohner beheimaten und dem Küstenschütz dienen, indem sie starken Wellengang abschwächen. Sondern auch, weil sie beträchtliche Mengen CO2 speichern können. Sie binden laut dem Leiter für Marine-Ökologie des Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (GEOMAR), Thorsten Reusch, sogar 30 mal mehr Kohlenstoffdioxid als ihr oberirdisches Pendant: der Regenwald, die „grüne Lunge der Erde“. 

Trotzdem mahnen neueste Forschungsergebnisse davor, Seegraswiesen als Patentlösung gegen die Klimakrise zu betrachten. 

Seegras: Wichtig für Biodiversität, Umwelt und Klima

Seegras bietet unter anderem Seepferdchen Schutz.
Seegras bietet unter anderem Seepferdchen Schutz.
(Foto: CC0 / Pixabay / annekroiss)

Zu den Seegräsern zählen weltweit etwa 60 verschiedene Arten, die zu den wenigen blühenden Pflanzen gehören, welche komplett in Wasser untergetaucht wachsen. Sie gedeihen in flachen, lichtdurchfluteten Gewässern, wo sie sich mit ihren Wurzeln fest im Boden verankern. Auf diese Weise können sie Bodenerosion verhindern und dadurch zum Küstenschutz beitragen. 

Auch für die Unterwassertierwelt spielt Seegras eine bedeutende Rolle. Zwischen den dichten Gräsern können bedrohte Arten wie Seepferdchen Schutz vor Feinden finden. Für Seekühe, Dugongs und Meeresschildkröten sind Seegraswiesen ein wichtiger Weidegrund. Und vielen Fischarten dienen sie als Brut- und Rückzugsort. 

Seegras kann sogar dazu beitragen, die Meere zumindest ein wenig von Plastikmüll zu befreien. Das geschieht, indem sich Plastik in Seegraswiesen sammelt, Reste von Seegras mit dem Plastik eine Kugel bilden und das Meer diese dann an Strände spült. Seegraswiesen sind sozusagen die Plastikfilteranlage des Meeres.

Vor allem aber ist es die Fähigkeit der Pflanzen, enorme Mengen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre aufnehmen zu können, welche sie vor dem Hintergrund des Klimawandels so bedeutsam macht. Seegräser binden das CO2 insbesondere in ihren Wurzelbereichen, die sehr langlebig sind. Sterben die Pflanzen, lagern sich ihre Überreste im Boden an. Auch das gespeicherte CO2 geht in das Sediment über, wo es langfristig festgesetzt wird. Das von maritimen Ökosystemen aufgenommene CO2 nennt man auch Blue Carbon

CO2-Speicherkapazität von Seegraswiesen

Vom Atlantik bis zum Mittelmeer sowie in der Nord- und Ostsee bilden Seegräser entlang von Küsten dichte Bestände: die Seegraswiesen. In der deutschen Ostsee machen Seegraswiesen eine Fläche von 285 Quadratkilometern aus und binden dort im Jahr laut der Helmholtz Klima Initiative 29 bis 56 Kilotonnen Kohlenstoffdioxid.

Weltweit bedecken Seegraswiesen mehr als 317.000 Quadratkilometer, was zwar nur 0,1 Prozent des Meeresbodens ausmacht – doch dafür finden sich Seegraswiesen in 159 Ländern und auf sechs Kontinenten. Somit sind sie eines der am weitesten verteilten Ökosysteme auf der Erde. 

Wie viel Kohlenstoffdioxid Seegraswiesen festsetzen können, hängt von Seegrasart und dem Standort ab. Grundsätzlich zeichnen sich Seegraswiesen laut der Deutschen Stiftung Meeresschutz aber durch eine besonders effektive und schnelle CO2-Speicherung aus. So soll eine ein Hektar große Seegraswiese je nach Art dieselbe Menge Kohlenstoffdioxid speichern können wie zehn Hektar Wald und dies zudem 35 Mal schneller. Es sollen insgesamt über 25 Millionen Tonnen CO2 sein, die Seegraswiesen jährlich binden können. 

Darum sind Seegraswiesen bedroht

Deiche verändern den Lebensraum Meer und können damit dem Seegras schaden.
Deiche verändern den Lebensraum Meer und können damit dem Seegras schaden.
(Foto: CC0 / Pixabay / Routenwechsel)

Laut Maggie Sogin vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie sind daher „Seegräser eines der produktivsten Ökosysteme im Meer“. Sie seien „sehr wichtig für die Regulierung des Klimas und die weltweite Kohlenstoffbilanz“. 

Allerdings sind Seegraswiesen akut bedroht. Ihre Flächen werden seit 1980 jährlich um circa sieben Prozent kleiner und ein Viertel der Seegrasarten sind mittlerweile auf der Roten Liste zu finden. 

Ein Grund für die Bedrohung ist, dass das Ökosystem empfindlich auf den anthropogenen Klimawandel reagiert, möglicherweise sogar mit dem Verlust seiner Speicherfunktion, so die Helmholtz Klima Initiative. Beispielsweise könnten sich die Erwärmung des Wassers und der Meeresspiegel-Anstieg negativ auf die Verteilung von Seegräsern auswirken und ihre Reichweite verringern. So konnte im Mittelmeer bereits der Zusammenhang zwischen Hitzewellen und einem reduzierten Lebensraum von Seegras festgestellt werden. 

Weitere Ursachen für den Rückgang von Seegraswiesen sind: 

  • Starke Nährstoffbelastung: Der intensive Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft führt dazu, dass tonnenweise Stickstoff und Phosphor ins Meer gelangen. Diese Eutrophierung führt zu einem starken Anstieg von Algen, die das Wasser trüben und sich auf Seegräsern absetzen. Dadurch bekommen diese nur noch wenig Licht – und sterben ab. 
  • Aquakulturen: Auch die massenhafte Fischzucht in Aquakulturen in der Nähe von Küsten führt durch die Ausscheidungen und Futterreste der Tiere zu einer Trübung des Wassers. 
  • Wasserverkehr: Unbedachtes Auswerfen des Ankers von Jachten, Segelschiffen und Kleinbooten kann große Löcher in die Seegraswiesen reißen, die nur langsam wieder zuwachsen. 
  • Verstädterung: Der Bau von Deichen, Gewerbegebieten, Wohnhäusern und Infrastrukturen in der Nähe von Küsten führt zu einer veränderten Wasserqualität, die sich negativ auf das Wachstum und die Gesundheit von Seegraswiesen auswirken kann.

Unterwassergärtnern: Seegraswiesen wieder ansiedeln

Nach Berechnungen des „SeaStore“-Projekts, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, könnten jährlich zusätzliche 650 Millionen Tonnen Kohlendioxid entstehen, wenn die Seegraswiesen weltweit nach und nach abstürben.

Daher haben es sich die Wissenschaftler:innen des Projekts zur Aufgabe gemacht, Techniken zu entwickeln, mit denen sich Seegraswiesen in der südlichen Ostsee wiederherstellen lassen. Sie erforschen, welche Standorte, Samen oder Sprösslinge sich eignen und wie diese am besten auszupflanzen sind. Ihre Ergebnisse wollen die Forschenden in einem wissenschaftsbasierten Leitfaden zusammenstellen, der Behörden und anderen Akteuren helfen soll, Seegraswiesen erfolgreich wieder anzusiedeln. 

Noch ist die Wiederansiedlung ein aufwändiges Projekt: Zunächst entnehmen Taucher:innen gesunde Seegräser aus der Ostsee. Davon gewinnen die Forschenden Ableger, die anschließend per Hand unter Wasser eingepflanzt werden. Damit eine Seegraswiese entstehen kann, die einen nennenswerten Speichereffekt hat, muss sie viele Quadratkilometer groß sein. Die Methode des händischen Auspflanzens ist für diese Größenordnung nicht mehr geeignet. Die Alternative wäre, einfach die Samen von Seegraspflanzen zu verteilen, doch diese werden gerne von Krebsen und anderen Tieren gefressen. 

Seegras ist vielversprechend – aber keine Wunderwaffe gegen die Klimakrise

Bevor man mit Seegras CO2 kompensiert, sollte man CO2-Emissionen verringern.
Bevor man mit Seegras CO2 kompensiert, sollte man CO2-Emissionen verringern.
(Foto: CC0 / Pixabay / stevepb)

Doch die Rekultivierung von Seegras ist den Erkenntnissen des Helmholtz-Zentrums Hereon keine „Patentlösung gegen den Klimawandel“. Eine Studie der Wissenschaftler:innen des Instituts konnte nämlich nachweisen, dass manche Seegraswiesen mehr Kohlendioxid an die Atmosphäre abgeben, als sie speichern.

Die Forschenden fanden heraus, dass vor allem tropische Seegraswiesen, beispielsweise vor den Küsten Floridas, „teils deutlich weniger Kohlendioxid aufnehmen als lange gedacht“, so Bryce Van Dam vom Hereon-Zentrum. Darüber hinaus würden sie an manchen Küsten sogar verstärkt CO2 abgeben. Grund dafür sei, dass in wärmeren Gewässern an den Pflanzen und im Sediment viele chemische Prozesse abliefen, die andere Fachleute bislang bei der Bilanzierung der Kohlenstoffdioxid-Aufnahme vernachlässigt hätten. Daher macht in solchen Gebieten eine Seegrasrekultivierung mit Blick auf die CO2-Speicherung (also Carbon Farming) weniger Sinn. 

Thorsten Reusch arbeitet am „SeaStore“-Projekt mit. Gegenüber n-TV stellt auch er klar: „Seegras wird die Kohlenstoffbilanz von Deutschland nicht retten. Aber natürlich ist es eine gute Idee, das zu machen, weil viele kleine Maßnahmen zusammenkommen müssen.„. Damit ein messbarer Erfolg zustande kommt, müssten in der Ostsee 3.000 Quadratkilometer renaturiert werden. Das sei „eine irre Aufgabe“. 

Seegras als CO2-Speicher ist zwar durchaus vielversprechend, dennoch keine „Wunderwaffe“ gegen die Klimakrise. Laut Van Dam sei es wichtig, nicht alle Karten auf Blue Carbon zu setzen, um CO2 auszugleichen. Das Problem muss vielmehr an der Wurzel gepackt werden, indem wir „zuerst die CO2-Emissionen reduzieren und dann die Küstenlebensräume schützen, um von den vielen ökonomisch und ökologisch wichtigen Leistungen zu profitieren, die sie uns bieten.“. 

Was du selbst tun kannst, um deinen persönlichen CO2-Ausstoß zu reduzieren, erfährst du in folgenden Artikeln:

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