Wieso dürfen Firmen in Deutschland Produkte verkaufen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurden? Die Sendung „Monitor“ ist der Frage nachgegangen und hat unfassbare Vorgänge in der Politik enthüllt. Noch unglaublicher ist die Reaktion des Wirtschaftsministeriums auf die Vorwürfe.
Kinderarbeit für Smartphone-Rohstoffe, lebensgefährliche Bedingungen in Textilfabriken oder Hungerlöhne auf Kakaoplantagen – überall auf der Welt leiden Menschen, um auch für deutsche Unternehmen Lebensmittel, Kleidung oder Technik produzieren. Aber wieso ist das überhaupt möglich?
Weil die deutsche Politik offenbar kein ernsthaftes Interesse daran hat, etwas an diesen Zuständen zu ändern – diesen Schluss lassen zumindest Recherchen des WDR-Politikmagazins „Monitor“ zu. Die Sendung zeigt, wie vor allem das Wirtschaftsministerium die Verwirklichung eines Gesetzes behindert, das die Arbeitsbedingungen im Ausland verbessern könnte.
Unternehmen sollen sich selbst bewerten
Es geht dabei um den sogenannten „Nationalen Aktionsplan“ (NAP) von 2014. Mit dem Aktionsplan verpflichtete sich die Regierung, die Leitlinien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen. Gemäß der Leitlinien sind Staaten und Unternehmen dafür verantwortlich, bei Lieferanten und Geschäftspartnern auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten.
Das Bundesentwicklungsministerium verfasste sogar einen Gesetzesentwurf – dann kam es jedoch anders. Die Regierung beschloss, erst einmal ein „Monitoring“ durchzuführen. Das Monitoring klingt allerdings nach einem schlechten Witz: Unternehmen sollen freiwillig einen Fragebogen ausfüllen und dort angeben, ob und wie sie die UN-Menschenrechtsstandards erfüllen. Und es kommt noch absurder: Wenn die Hälfte der befragten Unternehmen die Menschenrechte einhalten, wird es kein verpflichtendes Gesetz geben. Die Umfragen sollen noch bis 2020 laufen.
„Das Wirtschaftsministerium versucht zu tricksen“
Das WDR-Politikmagazin hat sich das Monitoring genauer angesehen und mehrere Punkte kritisiert:
- Die Unternehmen schätzen sich selbst ein. Es wird nicht überprüft, ob sie die Standards für Menschenrechte tatsächlich einhalten.
- Es geht um deutsche Unternehmen, die weltweit aktiv sind und mehr als 500 Mitarbeiter haben. Etwa 7.100 Unternehmen erfüllen diese Kriterien. Es reicht aber, wenn aus einer Stichprobe nur 400 Unternehmen die Fragebögen ausfüllen. Wenn davon 200 Unternehmen angeben, die Menschenrechte einzuhalten, kommt kein Gesetz, erklärt die WDR-Sendung.
- Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier möchte nicht nur zwischen Unternehmen „mit“ und „ohne“ Menschenrechtsstandards unterscheiden. Vielmehr spricht sein Ministerium von Zwischenkategorien, wie etwa „Unternehmen mit Umsetzungsplan“ oder „Unternehmen auf einem guten Weg“.
„Das Wirtschaftsministerium versucht zu tricksen, zu tarnen und zu täuschen und versucht von vornherein, diesen ganzen Prozess zu unterminieren, zur Farce werden zu lassen“, sagt Frank Schwabe (SPD) vom Bundestags-Ausschuss für Menschenrechte in der Sendung.
So absurd reagiert das Wirtschaftsministerium auf Twitter
Kurz nachdem die Monitor-Sendung im Fernsehen lief, gab es auf Twitter massiv Kritik am Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Ein Unser tweetete: „[Dem Bundeswirtschaftsministerium] sind Menschenrechte unterm Strich scheißegal, Hauptsache der heiligen deutschen Wirtschaft geht es gut.“
Das BMWi reagierte auf den Tweet – mit einer kryptischen Antwort: „Ziel des BMWi in den letzten Monaten war es eine Präjudizierung eines (negativen) Ergebnisses durch ein zu hohes und unrealistisches Ambitionsniveau und durch versteckte Fallstricke zu vermeiden und ein aussagekräftiges Ergebnis des Monitoring zu ermöglichen.“
Auf Twitter kam die Antwort allerdings nicht besonders gut an, ein User antwortete beispielsweise: „Eine sachliche Frage: Habt Ihr sie noch alle?“. Das BMWi versuchte es also nochmal anders: „Wichtig für das langfristige Gelingen des NAP-Prozesses ist es auch, die Unterstützung der Unternehmen für das Thema Menschenrechte zu erhalten. [NAP = Nationaler Aktionsplan, Anmerkung der Redaktion].“
Diese Aussage muss man sich einmal durch den Kopf gehen lassen: Wieso ist für die Einhaltung der Menschenrechte die „Unterstützung“ von Unternehmen nötig? Sollten Unternehmen nicht von vornherein Menschenrechte achten? Und wenn sie es nicht tun – sollten sie nicht dazu gezwungen werden?
Nicht auf die Politik warten
Utopia meint: Deutsche Unternehmen profitieren von den katastrophalen Arbeitsbedingungen in den ärmsten Ländern der Welt. Wie die Debatte um den NAP-Plan zeigt, wird sich daran demnächst nichts ändern. Eigentlich hätten Politik und Unternehmen die Möglichkeit, für bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und soziale Standards zu sorgen. Das würde allerdings mehr Kosten und wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen – da bleibt man lieber bei den aktuellen Zuständen. Als Konsument sollte man ohnehin nicht auf politische Entscheidungen warten, sondern selbst darauf achten, möglichst fair gehandelte Produkte zu kaufen. In manchen Bereichen – etwa Elektronik – ist das gar nicht so leicht, bei Lebensmitteln und Kleidung geben Zertifizierungen wie das Fairtrade-Siegel Orientierung:
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Hier die ganze Sendung von Monitor in der Mediathek: Geschacher um Menschenrechte: Wie Deutschland UN-Standards ausbremst
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