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„Täglich werden neue Medikamente knapp“ – doch tauschen soll man sie nicht

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Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Hausärzt:innen und Apotheker:innen rechnen damit, dass der Medikamentenmangel anhält. Gleichzeitig warnen sie davor, mit anderen Menschen Medikamente zu tauschen. Das hat mehrere Gründe.

Hausärzt:innen und Apotheker:innen rechnen trotz der angekündigten Gegenmaßnahmen mit einem anhaltenden Medikamentenmangel in den kommenden Monaten. „Die jetzt diskutierten Maßnahmen werden in der hausärztlichen Versorgung kurzfristig nur bedingt helfen“, sagte Nicola Buhlinger-Göpfarth, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, der Rheinischen Post. „Die Lieferengpässe sind in den Hausarztpraxen sehr deutlich zu spüren. Die Hausärztinnen und Hausärzte müssen inzwischen sehr viel Zeit investieren, um, sofern dies überhaupt möglich ist, Medikationen umzustellen.“

Auch der Apothekerverband Nordrhein erwartet lang anhaltende Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten. „Es wird viele Monate dauern, bis die Versorgungssituation besser wird. Wir gehen davon aus, dass die Lieferprobleme auch 2023 anhalten und noch weitere Arzneimittel betroffen sein werden“, sagte Verbandschef Thomas Preis der Zeitung.

„Täglich werden neue Medikamente knapp“

„Täglich werden neue Medikamente knapp: Aktuell fehlen Mittel zur Desensibilisierung von Allergikern, die sollen erst im Mai kommen – wenn die Pollensaison schon begonnen hat – dann kann man aber nicht mehr desensibilisieren.“ Die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seien nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Lauterbach will das Angebot wichtiger Arzneimittel besonders für Kinder besser gegen Lieferengpässe absichern. Eckpunkte für ein Gesetz sehen unter anderem neue Preisregeln vor. Das soll Lieferungen für Anbieter wirtschaftlich attraktiver machen. Im ZDF-Heute Journal sagte der Minister am Dienstagabend: „Wir sehen das Problem schon lange. Wir müssen einen Teil der wichtigen Wirkstoffe wieder in Europa produzieren lassen. Und da hilft nur der Zwang, dass die Krankenkassen dann auch aus Europa kaufen müssen.“

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, forderte Lauterbach in der Rheinischen Post auf, höhere Preise nur für wirklich versorgungsrelevante Kindermedikamente zuzulassen.

Apotheker:innen warnen vor Medikamententausch

Aufgrund der Medikamentenengpässe warnen Apotheker:innen vor Medikamententausch. Das hat mehrere Günde, sagen Gabriele Röscheisen-Pfeifer und Jens-Peter Kloppenburg, beide Apotheker in Niedersachsen.

Grund 1: Die Dosierung passt womöglich nicht

„Auch bei freiverkäuflichen Medikamenten braucht es Beratung“, sagt Gabriele Röscheisen-Pfeifer, die auch dem Vorstand der Apothekerkammer Niedersachsen angehört. Damit man ein Medikament bekommt, das zu einem passt – und zwar in der richtigen Dosierung.

Das zählt besonders dann, wenn es um Kinder geht. Bei fiebersenkenden Wirkstoffen wie Paracetamol oder Ibuprofen ist für sie umso wichtiger, dass die Dosierung passt.

„Zur Dosiseinstellung wissen wir in der Apotheke, welche Tabletten welcher Firmen teilbar sind – und welche Tabletten vielleicht nur eine Schmuckkerbe haben“, sagt die Apothekerin. Wer die bloße Tablette zugesteckt bekommt, weiß das womöglich nicht – und dosiert das Medikament falsch.

Und im Falle von Antibiotika gilt ohnehin: „Nie ohne ärztliche Verordnung“, wie es vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) heißt. Auch dann nicht, wenn man von vorherigen Infekten selbst noch entsprechende Medikamente zu Hause hat.

Grund 2: Medikamente können beim Lagern Schaden nehmen

Was laut den Apotheker:innen ebenfalls gegen eine private Medikamenten-Börse spricht: «In der Hausapotheke ist nicht immer sichergestellt, dass die Arzneimittel auch richtig gelagert wurden», sagt Gabriele Röscheisen-Pfeifer. Schützt man sie nicht vor Licht oder zu hohen Temperaturen, wie auf der Verpackung angegeben, kann sich der Wirkstoff zersetzen. Das Medikament wirkt nicht mehr so gut.

Besonders problematisch nach Ansicht der Apotheker:innen ist es, wenn Medikamente getauscht werden, die abgelaufen sind. „Das Verfallsdatum ist keine Spielerei“, warnt Jens-Peter Kloppenburg. Während man bei einem abgelaufenen Joghurt schnell merkt, ob er noch verzehrbar ist, kann man bei Medikamenten nicht feststellen, ob sie noch wirken.

Bei flüssigen Arzneimitteln – Antibiotika-Säften etwa – kann es über das Verfallsdatum hinaus passieren, dass sich der Wirkstoff am Boden absetzt und sich nicht mehr mit dem Rest der Flüssigkeit verbindet. Nutzt man den Saft dennoch, nimmt man weniger Wirkstoff zu sich. Die Apotheker:innen raten daher: Weg damit – und auf keinen Fall tauschen.

Grund 3: Es kann zu Verwechslungen kommen

Beim Medikamententausch kann es auch zu Verwechslungen kommen. „In meiner Apotheke kommt es vor, dass Kunden sagen: ‚Ich hätte gerne ASS zur Schleimlösung'“, sagt Gabriele Röscheisen-Pfeifer. Dabei steht ASS für Acetylsalicylsäure, ein Wirkstoff, der Schmerzen und Fieber lindert – aber keinen Schleim löst.

Das tut hingegen ACC, ein anderer Wirkstoff, lang: Acetylcystein. Missverständnisse wie diese fallen in der Apotheke eher auf als beim privaten Medikamententausch.

Viele Apotheken kennen Lösungen

Doch was sind Alternativen? Möglicherweise kann die Apotheke vor Ort weiterhelfen – auch wenn sie vielleicht nicht den Fiebersaft vorrätig hat, den man eigentlich gern hätte. „Wir finden Lösungen“, sagt Gabriele Röscheisen-Pfeifer.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht einen Grund der aktuellen Knappheit darin, dass sich manche Apotheken und Großhändler das Lager zu voll machten und die Arzneien andernorts fehlten. Es sei von einer Verteilproblematik auszugehen, teilte es vor einigen Tagen mit. Eine weitere Ursache sei, dass es derzeit so viele Atemwegsinfektionen bei Kindern gebe, wodurch die Nachfrage steige. Apotheken und Gewerkschaften sehen zudem wirtschaftlichen Druck und die Produktion in kostengünstigen Ländern als Faktoren.

Im Video: Das plant Lauterbach gegen den Medikamenten-Mangel

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