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Nicht nur Probleme in den Lieferketten: Wieso Medikamente jetzt knapp sind

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Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Bereits im Sommer gab es erste Meldungen über Medikamentenknappheit. Mittlerweile hat sich die Situation weiter verschlimmert. Gleichzeitig erkranken immer mehr Menschen, darunter viele Kinder, an Atemwegsinfektionen.

Lieferengpässe sorgen schon seit Mitte des Jahres dafür, dass einzelne Medikamente immer knapper werden. Mittlerweile stehen 313 Arzneimittel auf der Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Darunter befinden sich laut der Tagesschau zahlreiche gängige und dringend benötigte Medikamente, wie Fiebersäfte, Schmerzmittel, Antibiotika, sowie Arzneimittel zur Krebsbehandlung und gegen Bluthochdruck und Diabetes.

Wie die Tagesschau anmerkt, ist die Liste an mangelnden Medikamenten vermutlich jedoch deutlich länger als die offiziellen Zahlen vermuten lassen. Denn in der Lieferengpass-Liste sind nur rezeptpflichtige Arzneimittel aufgeführt. Die Meldung von Lieferengpässen ist darüber hinaus freiwillig.

Besonders schwerwiegend erscheint die Situation angesichts der aktuellen Welle an Atemwegserkrankungen. Das RKI verzeichnet diesbezüglich eine ungewöhnlich hohe und weiterhin steigende Rate an erkrankten Personen. Auch die Rate der grippeähnlichen Erkrankungen ist im Vergleich zu vorherigen Jahren deutlich erhöht und ebenfalls nach wie vor steigend.

Apotheker:innen gießen Zäpfchen selbst

Eine Apothekerin aus Oldenburg berichtet gegenüber dem RND, dass Apotheker:innen schon seit dem Sommer angefangen haben Fiebersäfte selbst zu mischen. Mittlerweile habe sie sogar begonnen Paracetamolzäpfchen selbst zu gießen. Denn besonders die Zäpfchen für Säuglinge und Kleinkinder, die eine speziell niedrige Dosierung aufweisen, seien momentan Mangelware.

Dramatisch sei auch die Situation bei Antibiotika. Denn diese müssen möglichst schnell eingenommen werden und die spezifischen Antibiotika-Typen sind praktisch kaum zu ersetzen. So beschreibt eine Apothekerin gegenüber dem RND, dass bei Lieferengpässen immer häufiger nach anderen Wirkstoffen gesucht werden müsse. „Nicht jedes Antibiotikum ist bei jeder Infektion einsetzbar. Bei der Wahl eines falschen Antibiotikums besteht die Gefahr von Resistenzbildung.“ Die richtigen Medikamente telefonisch zu organisieren, fresse jeden Tag mehrere Stunden für die Apotheker:innen.

Die Rolle von internationalen Lieferketten

Die häufig genannte Ursache für den Missstand sind Probleme in den Lieferketten. Laut Angaben der Tagesschau ist der Sachverhalt jedoch deutlich komplexer. Die Sendung zitiert den Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach: So liege das Problem vor allem darin, dass viele Medikamente mittlerweile in China und Indien hergestellt werden. Denn da die Löhne dort deutlich geringer sind, ist die gesamte Arzneimittelproduktion billiger. In diesen Ländern lägen aktuell Probleme in den Lieferketten vor, die dann auch deutsche Apotheken zu spüren bekämen, so der Experte.

Auch Karl Lauterbach räumte laut dem RND auf einer Pressekonferenz ein, dass die Arzneimittelversorgung vor allem aufgrund von ökonomischen Gesichtspunkten leide. „Wir haben in der Arzneimittelversorgung bei Generika (…) die Ökonomie zu weit getrieben“, äußerte er sich auf einer Pressekonferenz.

Den Hintergrund erklärt er so: Gesetzliche Krankenkassen müssen auch nur bei kleinsten Preisunterschieden das günstigere Medikament wählen. So kaufen sie nur bei den Anbietern, die Arzneimittel am billigsten produzieren. Das führe dazu, dass sich deutsche Krankenkassen von einigen wenigen Herstellern abhängig machen, deren Produktionsstätten in weit entfernten Ländern liegen.

Rabattverträge schränken das Angebot ein

Die Tagesschau nennt einen weiteren Faktor, der auf die aktuelle Knappheit eingezahlt hat: Schließen Krankenkasse und Medikamentenhersteller Rabattverträge ab, erhält die Krankenkasse Rabatte, erstattet aber dafür ihren Kund:innen nur das Medikament des jeweiligen Herstellers. Das kann dazu führen, dass das Angebot an demselben Medikament von anderen Herstellern her sinkt.

Was jetzt? Maßnahmen der Politik

In der kommenden Woche möchte Lauterbach einen Gesetzentwurf vorstellen, der der aktuellen Mangelsituation entgegenwirken soll, so wie Tagesschau. So habe man die Ökonomisierung im gesundheitlichen Sektor zu weit getrieben. Der möglichst niedrige Preis der Medikamente war als wichtiger behandelt worden als ihre Verfügbarkeit. Dies wolle er jetzt aufheben. Mit dem Gesetz will die Regierung die Abhängigkeit von einigen wenigen Herstellern reduzieren und die Anzahl der unterschiedlichen Lieferketten nach Deutschland erhöhen.

Die CDU fordert ein Treffen von Bund und Ländern, um möglichst schnell Sofortmaßnahmen für den Winter zu diskutieren. Vor allem dringend benötigte Kinderarzneimittel sollten direkt vom Bundesgesundheitsministerium gekauft und verteilt werden.

Apotheker:innen bitten zudem laut dem SWR darum, nur so viele Medikamente zu kaufen, wie aktuell benötigt werden. Jetzt Medikamente zu horten könne die Lage nur verschlimmern.

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