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Tod einer Radfahrerin, „Unwahrheiten und Hetze“: Die Kontroverse um die Letzte Generation

Berlin: Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe "Letzte Generation" sitzen auf der Kreuzung am Frankfurter Tor (Symbolfoto)
Foto: Paul Zinken/dpa (Symbolfoto)

Unfälle mit Radfahrer:innen gibt es viele in Berlin. Doch dieser Fall ist anders: Klimademonstrant:innen kleben sich fest. Rettungskräfte stehen im Stau. Das Unfallopfer ist inzwischen verstorben. Der Protest gegen den Protest wird schärfer – ein Vermerk der Feuerwehr entlastet die Letzte Generation vorerst.

Durch den Hirntod einer Radfahrerin in Berlin geraten Klima-Aktivist:innen unter Rechtfertigungsdruck. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte ein entschiedenes Vorgehen: „Wenn Straftaten begangen werden und andere Menschen gefährdet werden, ist jede Grenze legitimen Protests überschritten“, sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „All das hat mit einer demokratischen Auseinandersetzung überhaupt nichts zu tun. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden.“ Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte, juristisch ein Verbot der Klima-Protestgruppe Letzte Generation zu prüfen.

Angesichts des Unfalls der Radfahrerin in Berlin müsse schnell geklärt werden, wie lange sich der Rechtsstaat noch nötigen lassen wolle, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke. „Der Protest der Aktivisten läuft zusehends aus dem Ruder. Wir finden, es reicht.“

Hirntod der Radfahrerin festgestellt, inzwischen ist sie verstorben

Die Radfahrerin war am vergangenen Montag in Berlin-Wilmersdorf von einem Beton-Lastwagen erfasst und überrollt worden. Dabei trug die 44-Jährige so schwere Verletzungen davon, dass nun der Hirntod festgestellt wurde. Davon erholen sich nach bisherigen Erkenntnissen Betroffene nicht – unabhängig davon, welche Maßnahmen Mediziner:innen ergreifen. Die Frau wurde weiterhin in einer Klinik intensivmedizinisch behandelt, ist inzwischen aber im Krankenhaus verstorben. Ihren Tod hatte die Polizei fälschlicherweise zu früh mitgeteilt. Es habe ein Missverständnis in der Kommunikation gegeben, sagte ein Sprecher und entschuldigte sich.

Der Unfall hat für bundesweites Aufsehen und Diskussionen gesorgt. Denn ein Spezialfahrzeug, das helfen sollte, die Verletzte unter dem Lastwagen zu befreien, stand nach Angaben der Feuerwehr in einem Stau auf der Stadtautobahn. Dieser soll durch eine Aktion der Klima-Protestgruppe Letzte Generation ausgelöst worden sein.

Spezialfahrzeug kam nicht durch – Vermerk der Feuerwehr entlastet Aktivist:innen vorerst

Die Polizei ermittelt gegen zwei 63 und 59 Jahre alte Klimaaktivisten wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen. Es müsse – auch mit Sachverständigen – der kausale Zusammenhang zu den Blockaden geprüft werden, heißt es von der Polizei. Die Feuerwehr geht davon aus, dass sich die Rettung der Frau um mehrere Minuten verzögert hat, weil das Spezialfahrzeug im Stau stand. Allerdings räumte ein Feuerwehrsprecher ein, auch die Bildung einer Rettungsgasse sei am vergangenen Montag angesichts der Größe des Fahrzeugs problematisch gewesen.

Laut einem internen Vermerk der Feuerwehr, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, hatte der von den Aktivist:innen verursachte Stau jedoch keinen Einfluss auf die Versorgung des Unfallopfers. Darin heißt es: Das Unfallopfer, das „bei Eintreffen unter dem mittleren Reifen des Lasters mit einem Bein eingeklemmt“ war, sei an Ort und Stelle von einer Notärztin versorgt worden. Diese war durch den Stau nicht gehindert. Während das Spezialfahrzeug der Feuerwehr, der den Betonmischer hätte anheben können, noch im Stau steckte, habe die Notärztin bereits entschieden, auf das Anheben des Betonmischers zu verzichten.

Zuvor war berichtet worden, dass die Retter:innen an der Unfallstelle nach Angaben der Feuerwehr improvisieren mussten, weil die entsprechende Technik durch den Stau nicht zu Verfügung stand. Dadurch sei es zu Zeitverzögerungen gekommen. Offizielle Angaben dazu, ob dies Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Radfahrerin hatte, machte die Feuerwehr zunächst nicht. Es sei auch generell schwer, eine derartige Aussage zu treffen, sagte ein Sprecher. Zugleich verwies er auf die laufenden Ermittlungen.

Letzte Generation zeigt sich bestürzt, hält aber an Protestaktionen fest

Die Gruppe Letzte Generation zeigte sich bestürzt über die Nachricht vom Hirntod der Frau. „Es trifft uns tief, dass die Radfahrerin, die am Montag in Berlin bei einem Unfall von einem Betonmischer schwer verletzt wurde, nun für hirntot erklärt wurde“, erklärte Aktivist Henning Jeschke am Donnerstag auf dpa-Anfrage.

In sozialen Netzwerken werden die Klimaaktivist:innen seit dem Vorfall verstärkt angefeindet und für den Hirntod der Frau direkt verantwortlich gemacht. „Wir hören viele Informationen bis hin zu Unwahrheiten, die von großen Medien verbreitet werden. Wir sollten uns an sichere Fakten halten, wie auch in der Klimakatastrophe“, erklärte Jeschke. „Wir fordern die Medien auf, die Realität als solche darzustellen, ohne aufzuwiegeln.“ Die Klimaaktivist:innen der Letzten Generation kritisieren laut einem Bericht des Spiegels eine „Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze“ gegen sich. Es ginge dabei vor allem um die Medien, heißt es.

Auf die Frage, ob der Hirntod der Frau etwas an den Protestaktionen ändere, sagte er: „Solange unsere höchsten politischen Organe unsere gemeinsame Verfassung mit Ansage brechen, da sie unsere Lebensgrundlagen zerstören, solange werden wir friedlichen Widerstand leisten.“

Steinmeier: Aktion für mehr Klimaschutz kontraproduktiv

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält die umstrittenen Aktionen für nicht zielführend im Kampf gegen den Klimawandel. „Die Frage ist, ob das, was wir auch sehen in diesen Tagen, dass kostbare Gemälde mit Lebensmitteln beworfen werden oder Menschen sich auf der Straße festkleben, dem Klimaziel wirklich weiterhilft“, sagte Steinmeier am Donnerstag bei einem Besuch in Kyoto. “Ich befürchte, dass es die breite gesellschaftliche Unterstützung für mehr und entschiedeneren Klimaschutz eher in Frage stellt beziehungsweise uns die Chance raubt, diese Unterstützung noch größer werden zu lassen.“

Mehr dazu: Kann das Notwehr sein? So verteidigt ein Anwalt die Letzte Generation

Während sich die politische Diskussion zum Vorgehen gegen Klimademonstrant:innen verschärft, setzte die Berliner Polizei ihre Ermittlungen zu dem Unfall fort. Dazu gehört auch die Festnahme eines Mannes, der am Unfallort auf den Lastwagenfahrer mit einem Messer eingestochen haben soll. Der 48-Jährige wurde am Mittwochabend gegen 20.30 Uhr in der Nähe des Tatortes an der Bundesallee gefasst. Er stamme aus dem Obdachlosen-Milieu, sagte eine Polizeisprecherin am Donnerstag. Zuvor hatten die Zeitung B.Z. und der RBB berichtet.

Der 48-Jährige sollte noch am Donnerstag einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden. Er müsse darüber entscheiden, ob der Mann in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werde, erklärte die Sprecherin. Nach Angaben der Polizei gibt es Hinweise auf eine psychische Erkrankung bei dem Mann. Er soll dem Lkw-Fahrer eine Stichverletzung zugefügt haben. Der 64-Jährige kam ins Krankenhaus, konnte dies laut Polizei aber am Donnerstag verlassen.

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