Nur noch zu Fuß oder mit dem Rad in die Innenstadt? Den Aufschrei können wir bis hierher hören. Und doch gibt es längst Vorbilder, die zeigen, wie eine autofreie Innenstadt funktionieren kann. Wir haben uns angeschaut, was deutsche Städte von den europäischen Metropolen Barcelona und Ljubljana lernen könnten.
Innerorts Tempo 30, extra-teure Parkplätze, Popup-Radwege oder gleich ganz autofreie Innenstädte – derzeit sind viele Konzepte in der Diskussion, die helfen könnten, den Autoverkehr in den Städten einzudämmen. All diese Bausteine der Verkehrswende haben eines gemeinsam: Sie sollen nicht nur das Klima schützen, sondern gleichzeitig auch die Städte lebenswerter und sicherer machen. Und ganz nebenbei die Vorherrschaft des Autos in Frage stellen.
Autofreie Innenstadt: Potenziale und Konflikte
Die Idee der autofreien Innenstädte hat in den vergangenen Jahren an Schwung gewonnen – und ist gleichzeitig zum Reizthema geworden. Die Vorteile sind unbestreitbar: Bessere Luftqualität, weniger Lärm, mehr Platz für Menschen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind, mehr Sicherheit und mehr Klimaschutz. Gleichzeitig befürchten skeptische Stimmen aber, fehlende Parkmöglichkeiten könnten den Einkauf in der Innenstadt unattraktiv machen und so den ansässigen Geschäften schaden. Noch gibt es dafür keine Belege – allerdings gibt es auch noch viel zu wenig Städte, die das Experiment wagen, zumindest, wenn man mal von einzelnen Fußgängerzonen absieht.
Doch einige europäische Städte wie etwa Paris arbeiten derzeit intensiv an der Verwirklichung der autofreien Innenstadt. Ein paar weitere haben bereits Erfahrungen mit dem Konzept gemacht – zum Beispiel die slowenische Hauptstadt Ljubljana und die Tourismus-Metropole Barcelona. Von ihnen können wir lernen.
1. Autos verbannen
Ljubljana hat bereits 2007 die Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt. Im Jahr 2013 wurde dann noch eine wichtige Verkehrsader der Innenstadt, die Slovenska cesta, komplett für Autos gesperrt. Sie wurde aufwändig umgestaltet, so dass dort nur noch Fuß-, Rad- und Busverkehr erlaubt ist. Heute ist der ganze Innenstadtbereich – der in Ljubljana zugegebenermaßen nicht sehr groß ist – Fußgänger:innen und Radfahrer:innen vorbehalten.
Besucher:innen können ihre Autos auf Parkplätzen außerhalb der Innenstadt parken oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen, für Bewohner:innen gibt es eine Tiefgarage.
Randnotiz: Der ökologische Verkehrsclub VCD hält das Konzept der „Quartiersgaragen“ – gemeinschaftlich genutzte Parkhäuser für einzelne Stadtviertel anstelle von individuellen Tiefgaragen – für zukunftsweisend.
Barcelona macht es anders: Die Stadt macht sich ihre schachbrettartige Straßenarchitektur zunutze und richtet seit einigen Jahren immer mehr sogenannte „Superblocks“ oder „Superinseln“ ein. Dabei wird nicht die ganze Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt wie in Ljubljana, sondern es werden jeweils mehrere Häuserblöcke zu einem weitgehend autofreien Quartier zusammenfasst. Innerhalb der Superblocks werden Straßen zu „grünen Achsen“ umgebaut, auf denen Fußgänger:innen und der Radverkehr Vorrang haben. Auf festgelegten Straßen und Routen dürfen ausschließlich Anwohner:innen und der Lieferverkehr fahren – mit maximal 10 Stundenkilometern. So entstehen neue Plätze, wo vorher Straßenkreuzungen waren und neues Grün, wo vorher Asphalt und Metall war.
Solche mehr oder weniger autofreien „Superblocks“ wären laut einem Experten durchaus auch in einigen Städten Deutschlands denkbar.
2. Autofreie Innenstadt und Zonen attraktiv gestalten
Einfach nur Straßen für den Autoverkehr zu sperren, macht eine Stadt noch nicht wirklich attraktiver. Neben anderen Städten zeigen sowohl Ljubljana als auch Barcelona, wie man Straßen so umgestalten kann, dass sie nicht für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen attraktiv werden, sondern auch mehr Raum für Erholung und Begegnung schaffen.
In Barcelonas „grünen Achsen“ wird der Höhenunterschied zwischen Fahrbahn und Gehsteig aufgehoben, es werden Steinplatten statt Asphalt verlegt und hunderte Bäume gepflanzt. In der ganzen Stadt entstehen neue öffentliche Plätze. Dem Handel hat das Projekt übrigens bislang offenbar nicht geschadet: Es seien sogar 30 Prozent neue Läden entstanden, schreibt der Guardian.
Besucher:innen berichten auch aus Ljubljana von mehr Ruhe, mehr Grün und Lebendigkeit als in den Innenstädten anderer Metropolen. Hier wurde unter anderem das Ufer des Flusses Ljubljanica mit einer Promenade komplett neu – und autofrei – gestaltet, seitdem ist es bei Tourist:innen äußerst beliebt. Mitten im Zentrum entstand zudem an der Stelle eines ehemaligen Parkplatzes ein öffentlicher Park, der regelmäßig für Konzerte und Veranstaltungen genutzt wird. Allerdings gibt es in Ljubljana offenbar auch Kritik von Bewohner:innen: Der ORF berichtete 2015 von Unmut über die Kommerzialisierung der Innenstadt durch Werbeplakate.
3. Kostengünstige Miet-Fahrräder
Ljubljana hat ein Fahrrad-Verleihsystem etabliert, das – zumindest bei kurzen Strecken – quasi kostenlos nutzbar ist. An automatischen Verleihstationen in der autofreien Innenstadt und darum herum kann jede:r die Mieträder ausleihen. Die erste Stunde ist kostenlos – und wenn man das Rad danach zurückgibt und fünf Minuten wartet, kann man erneut kostenlos ein Fahrrad ausleihen. Auch die zweite Stunde kostet nur einen Euro. Man muss sich zur Nutzung der Mieträder lediglich vorher im Verleihsystem online anmelden und eine Kaution hinterlegen.
Zum Vergleich: Richtig schlecht schneidet Deutschland beim Thema Mieträder nicht ab. Die bei uns verbreiteten Leih-Räder der Deutschen Bahn beispielsweise kosten im „Starter-Tarif“ 1 Euro pro 15 Minuten, in anderen Tarifen einen Euro pro 30 Minuten (maximal 9 Euro pro Tag) plus Jahresgebühr. Das ist nicht teuer und die Idee immer noch gut – doch Ljubljana zeigt, wie es noch günstiger geht.
Die kostenlosen bzw. extrem kostengünstigen Mietfahrräder ermöglichen es auch Tourist:innen oder Besucher:innen in Ljubljana, sich rund um die Innenstadt autofrei und klimafreundlich fortzubewegen.
4. Neue klimafreundliche Mobilitätsformen
Ljubljana bietet in der Innenstadt eine Art E-Taxi an – komplett kostenlos. Der „Kavalir“ sieht ein bisschen aus wie ein großes Golf Cart, es gibt eine offene und eine geschlossene beheizte Version. Man kann die etwa 25 km/h schnellen Fahrzeuge einfach anhalten und einsteigen, kann sie aber auch telefonisch bestellen wie ein Taxi. Die „Kavalir“-Fahrzeuge sind, so heißt es auf der offiziellen Tourismus-Seite von Ljubljana, „vor allem für ältere Bürger, bewegungsbehinderte Menschen und Touristen bestimmt“.
Ideen wie diese entkräften das Argument mancher Skeptiker:innen, dass autofreie Innenstädte körperlich eingeschränkte Personen benachteiligen. Warum soll ein ähnliches Konzept nicht auch in anderesn Städten möglich sein?
5. Leben retten
Die European Environmental Agency hat berechnet, dass allein im Jahr 2019 über 300.000 vorzeitige Todesfälle in der EU auf Feinstaub zurückzuführen waren, über 40.000 auf Stickoxide. Welchen Anteil daran der Verkehr hat, ist schwer zu berechnen, eine Schätzung etwa geht in Großstädten von durchschnittlich 27 Prozent aus. So oder so: Solange noch der Großteil des Stadtverkehrs mittels Verbrennungsmotoren stattfindet, stellt er eine massive Gefahr für die Gesundheit der Stadtbewohner:innen dar.
Eine Studie hat 2019 ergeben, dass die komplette Umsetzung des Superblocks-Plans in Barcelona – über 500 solcher Blocks – die jährliche Belastung mit Stickstoffdioxid um etwa ein Viertel reduzieren könnte. Gleichzeitig könnte das Konzept laut Hochrechnung an die 700 vorzeitige Todesfälle jährlich vermeiden. In erster Linie spielt hier die sauberere Luft eine Rolle, aber auch die Reduzierung von Lärm und Hitze: Weniger Autoverkehr würde den Hitzeinsel-Effekt eindämmen, der dafür sorgt, dass es innerhalb von Großstädten oft mehrere Grad wärmer ist als außerhalb.
Autofreie Innenstädte sind möglich – doch wir sollten nicht darauf warten
Die Beispiele Barcelona und Ljubljana zeigen, dass autofreie Innenstädte oder Stadtteile möglich sind, wenn man mit etwas Gestaltungswillen und Kreativität an die Sache herangeht – und dass sie die Lebensqualität verbessern können. Natürlich ist jede Stadt anders und es wird kein allgemeingültiges Konzept geben können. Aber es wäre viel gewonnen, wenn jede Stadt nach ihren Möglichkeiten Maßnahmen entwickeln würde, um den Autoverkehr zu reduzieren und alternative Verkehrsmittel zu stärken. In Berlin beispielsweise will die Initiative „Berlin Autofrei“ mittels Volksentscheid ein besseres Verkehrskonzept erreichen.
Autofreie – oder autoärmere – Innenstädte wären ein großer Fortschritt im Kampf gegen die Klimakrise, könnten viele Menschenleben retten und zudem unsere Abhängigkeit von Erdöl reduzieren.
Es muss aber niemand warten, bis die Politik so weit ist: Auch heute schon haben Millionen Menschen die Möglichkeit, sich jeden Tag zu entscheiden, das Auto stehen zu lassen – und ihre Wege lieber mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen.
- 5 gute Gründe, Fahrrad statt Auto zu fahren
- Mehr Klimaschutz durch Radverkehr: Das kannst du tun
- Spazieren gehen: So gesund sind ein paar Schritte täglich
- Günstige Bahntickets: 12 Tipps für preiswerte Tickets
- Umweltfreundlich zur Arbeit: 5 Tipps für einen nachhaltigen Arbeitsweg
War dieser Artikel interessant?