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Ist Bioplastik wirklich eine Alternative?

Wie Bio ist Bioplastik?
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – John Cameron

Mülltüten aus Maisstärke, Becher aus Bambus, biologisch abbaubares Geschirr: Die Alternativen zu herkömmlichem Plastik klingen vielversprechend. Aber ist Bioplastik auch wirklich umweltfreundlicher? Umweltverbände und Entsorger haben Zweifel.

Während sich die Gesellschaft langsam bewusst wird, dass wir ein massives Plastikproblem haben, steigt Bioplastik zur vermeintlichen Alternative auf. Zu Recht? Und was ist das überhaupt, Bioplastik?

Inhalt:

Warum überhaupt Bioplastik? – Das Plastikproblem

Herkömmliche Kunststoffe werden in der Regel auf Basis von Erdöl hergestellt. Dessen Förderung ist bekanntlich riskant, die Verbrennung klimaschädlich. Aber auch das andere Ende des Plastik-Lebenszyklus ist problematisch: „Normales“ Plastik ist quasi nicht abbaubar. Trotz Recyclingsystemen gelangen weltweit riesige Mengen Plastik in die Umwelt und die Meere, wo sie ganze Ökosysteme gefährden. Und immer wieder gibt es auch Hinweise darauf, dass der ständige Kontakt mit Plastik für unsere Gesundheit bedenklich sein könnte, weil es beispielsweise als Mikroplastik in den Körper gelangt.

👉 Kurzum: Für die Produktion und Entsorgung von Plastik werden viel Energie, Ressourcen und ökologische Schäden in Kauf genommen – um daraus Produkte herzustellen, die oft nach einmaliger Verwendung im Müll landen, wie etwa Verpackungsmaterialien, Einwegbecher oder Tüten.

Unseren Plastikkonsum zu reduzieren und Alternativen zu finden, ist also dringend notwendig. Ob die bisher entwickelten Biokunststoffe aber wirklich die Lösung sein können?

Was ist Bioplastik: Biologisch abbaubar oder Plastik aus Bio?

Müllbeutel, Wegwerfgeschirr, Verpackungen: Eine ganze Reihe von Alltagsgegenständen gibt es inzwischen auch aus Biokunststoff. Das Einwegplastik-Verbot der EU im Sommer 2021 hat die Suche nach Alternativen noch weiter beschleunigt.

Oft sind „Bioplastik“-Produkte mit Hinweisen wie „biologisch abbaubar“ oder „kompostierbar“ versehen. Doch hinter den Begriffen Biokunststoff oder Bioplastik kann sich Verschiedenes verbergen; eine klare Definition gibt es nicht.

  • Zum einen kann Kunststoff gemeint sein, der auf Basis von nachwachsenden organischen Rohstoffen wie etwa Zuckerrohr, Bambus oder Mais hergestellt wurde („biobasiert“).
  • Zum anderen werden biologisch abbaubare Kunststoffe als Bioplastik bezeichnet.
  • Oft, aber nicht immer, ist beides der Fall. Biobasierter Kunststoff ist nicht automatisch biologisch abbaubar – während erdölbasierter Kunststoff abbaubar sein kann.
  • Zudem gibt es zahlreiche Plastikprodukte, die aus Mischungen von konventionellem und Bioplastik bestehen.

Zumindest bisher konnten sich Verpackungen aus Bioplastik nicht großflächig durchsetzen: Der Marktanteil von Biokunststoff in Europa liegt derzeit bei unter einem Prozent. Industrie und Wissenschaft allerdings forschen intensiv an neuen Zusammensetzungen, Herstellungsweisen und Anwendungsgebieten von Plastik-Alternativen.

Dilemma: Biokunststoff aus Lebensmitteln

Aus ökologischer Sicht hat Bioplastik aus Pflanzenmaterial gegenüber herkömmlichen Kunststoffen auf den ersten Blick Vorteile: Biobasierte Kunststoffe brauchen zur Herstellung keine fossilen Rohstoffe (sprich: Erdöl), sondern nutzen nachwachsende Ressourcen. Mittels verschiedener Verfahren können aus Rohmaterialien wie Mais, Weizen, Kartoffeln, Zuckerrohr, Zuckerrüben, Bambus oder Holz unterschiedliche Kunststoffarten produziert werden (Stärke-, PLA- oder zellulosebasierte Biokunststoffe). In einem Paper der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) ist dabei von Emissionseinsparungen von 20 bis 80 Prozent die Rede.

Maisfeld
Die Produktion von Biokunststoff – z.B. aus Mais – konkurriert mit dem Anbau von Nahrungsmitteln. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay Free-Photos )

Aber: Genau wie bei Biokraftstoffen kann der Anbau der Ausgangsmaterialien für Biokunststoffe mit dem Nahrungsmittelanbau konkurrieren. Wenn essbare Pflanzen als Rohmaterial für Plastik verwendet werden, gehen diese für die Ernährung für Menschen verloren – wenn man von einer künftigen Bioplastik-Produktion in großem Stil ausgeht. Auch für nicht-essbares Pflanzenmaterial gehen wertvolle Anbauflächen verloren.

👉 Anders ausgedrückt: Während in vielen Teilen der Welt Menschen hungern, werden Nahrungsmittel und Anbauflächen für Einweg-Verpackungen genutzt.

Bioplastik-Rohstoffe aus industrieller Landwirtschaft

Für den Anbau der Pflanzen kommen zudem oft große Mengen an Düngemitteln und Pestiziden zum Einsatz, die Böden und Gewässer belasten. Auch einen hohen Wasserverbrauch kritisieren Umweltverbände. Denn die pflanzlichen Rohstoffe für Bioplastik stammen heute in ersten Linie aus der industriellen Landwirtschaft.

„Durch die aktuellen Anbaumethoden der industriellen Landwirtschaft für die […]
Feldfrüchte für die vielen neuen Produkte wird die weitreichende Zerstörung der natürlichen Ressourcen massiv vorangetrieben. Die industrielle Landwirtschaft ist dabei einer der Haupttreiber für den Klimawandel und den Verlust von Biodiversität“,

heißt es in einem neuen Hintergrundpapier des BUND aus dem Mai 2022.

Das Umweltbundesamt schreibt, aus diesem Grund seien die Umweltauswirkungen von biobasierten Kunststoffen insgesamt nicht geringer. „Die Auswirkungen verschieben sich eher: Während konventionelle […] Kunststoffe mehr klimawirksames CO2 freisetzen, äußert sich der ökologische Fußabdruck biobasierter Kunststoffe in einem höheren Versauerungs- und Eutrophierungspotential sowie einem gewissen Flächenbedarf.“

Ein wichtiger Lichtblick: Es existieren verschiedene Forschungsansätze, um Biokunststoffe aus kaum anderweitig verwendbaren organischen Rohstoffen herzustellen, beispielsweise aus Holz-, landwirtschaftlichen oder Lebensmittelabfällen. Die Idee ist viel versprechend, noch befinden sich diese Materialien aber in der Entwicklung.

Neue Lösungen? Kunststoff aus Reststoffen: „Die Idee hat Potenzial“

Aussichtsreich scheinen hier vor allem PHA- oder PLA (Polymilchsäure)-basierte Kunststoffe. Milchsäure-Bakterien müssen, um Kunststoffe herstellen zu können, zunächst mit irgendeiner Art Zucker „gefüttert“ werden. An dieser Stelle kommen die nachwachsenden Rohstoffe ins Spiel.

„Zucker kann auch aus Reststoffen gewonnen werden“, erklärt Dr. Susanne Zibek vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. Es gibt hierzu bereits seit Jahren diverse Versuche – in der Vergangenheit wurde in verschiedenen Forschungseinrichtungen etwa mit Molkeresten, Chicorée-Wurzeln, Öl- und Zuckerresten, Holzresten sowie Schlachtabfällen experimentiert.

Zibek sagt jedoch auch: „Von der Idee bis zur Anwendung in der Industrie muss man in der Regel mit mehreren Jahren bis Jahrzehnten rechnen.“ So richtig durchgesetzt hat sich bislang keines der Verfahren oder Bioplastikmaterialien.

👉 Ob und wann also Biokunststoffe tatsächlich im industriellen Stil aus Reststoffen entstehen können und ob sie eine echte Alternative zu herkömmlichem Plastik werden können, ist unklar.

Das Entsorgungs-Problem: Bioplastik gehört nicht in die Umwelt

Biologisch abbaubarer Kunststoff darf sich „kompostierbar“ nennen und beispielsweise das „Keimling“-Logo tragen, wenn er unter industriellen Bedingungen innerhalb von höchstens 90 Tagen zu 90 Prozent in kleinste Teilchen (kleiner als zwei Millimeter) zerfällt. Theoretisch dürfen beim Abbau nur CO2 und Wasser übrig bleiben.

Zwar gibt es auch Zertifizierungen für heim-kompostierbare Plastikprodukte, diese sind jedoch selten zu finden, und auch der Branchenverband European Bioplastics scheint solchen Produkten gegenüber skeptisch.

Bislang der einzige größere Anwendungsfall: In Landwirtschaft und Gartenbau können natürlich verrottende Folien aus Bioplastik die Arbeit erleichtern, da sie nicht aufgesammelt und aufwendig entsorgt werden müssen.

Einweggeschirr aus Bioplastik: solche Biokunstoffe sind selbst dann keine gute Idee, wenn sie biologisch abbaubar sind.
Einweggeschirr aus Bioplastik: Solche Biokunstoffe sind selbst dann keine gute Idee, wenn sie biologisch abbaubar sind. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash Brian Yurasits)

Vermeintlich biologisch abbaubare oder kompostierbare Alltagsprodukte wie Verpackungen jedoch sollten – auch wenn dies manchen kontraintuitiv erscheint – auf gar keinen Fall einfach in der Umwelt oder auf dem Kompost landen. Unter den dortigen schwer kontrollierbaren Bedingungen kann der Abbau extrem lange dauern.

Thomas Fischer, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) kritisiert daher:

„Die vermeintliche Abbaubarkeit mag zwar unter Laborbedingungen möglich sein. Mit den Gegebenheiten in der Natur hat das aber nicht viel zu tun. Hier kann der Abbau Jahre dauern und dabei Lebewesen gefährden. Die skrupellose Bewerbung von sogenannten Biokunststoffen als biologisch abbaubar kann zu noch mehr Plastikmüll in der Umwelt führen und von wirklich umweltfreundlichen Mehrweglösungen ablenken.“

Der BUND warnt zudem davor, dass in Biokunststoffen enthaltene Chemikalien, sogenannte Additive, potenziell toxische Wirkungen auf die Umwelt haben könnten und dies noch nicht ausreichend erforscht sei.

Bioplastik im Biomüll: meist nicht erwünscht

Seit vergangenem Jahr legt eine Verordnung eindeutig fest: In den Biomüll darf gar nichts aus Plastik, auch nicht aus Bioplastik – mit einer Ausnahme: „biologisch abbaubare Kunststoff-Sammelbeutel“. Diese müssen aber eine Reihe von strengen Voraussetzungen erfüllen.

👉 Gesetzlich erlaubt sind grundsätzlich nur Beutel, die nach bestimmten DIN-Normen zertifiziert sind und nachweisbar innerhalb von sechs Wochen „eine vollständige Desintegration“ erreichen. Erkennbar sind solche Tüten für Verbraucher:innen am Logo „DIN Plus“.

Das heißt: Längst nicht alle angeblich biologisch abbaubaren Beutel dürfen in die Biotonne. Ob überhaupt Bioplastik-Beutel in der Biotonne erlaubt sind oder nicht, entscheidet der kommunale Entsorger. Und derzeit wollen die meisten kein Plastik in ihren Kompostieranlagen. Im Zweifelsfall muss man sich vor Ort informieren, was erlaubt ist.

Der Abfallwirtschaftsbetriebs München (AWM) etwa verbietet die Sammelbeutel per Satzung. Eine AWM-Pressesprecherin weist darauf hin, dass in der Praxis rund 90 Prozent der deutschen Kompostierungsanlagen Bio-Kunststoffe nicht ordnungsgemäß kompostieren können.

Erstes Problem: Viele der Beutel im Handel bräuchten in industriellen Kompostieranlagen mindestens zwölf Wochen, um zu zerfallen. In den meisten Anlagen dauert die Kompostierung des Biomülls aber nur sechs bis zehn Wochen. Es würden Kunststoffteilchen im Kompost zurückbleiben – und zum Mikroplastikproblem. Zweites Problem: Es ist für die Anlagen schwierig, biologisch abbaubare Kunststoffe von anderen Kunststoffen zu unterscheiden. 

Bioplastik darf nicht in den Biomüll
Bioplastik ist im Biomüll meist nicht gern gesehen. Manche Entsorgungsbetriebe leeren die Tonne gar nicht, wenn Kunststoffbeutel sichtbar sind. (Foto: © stock.adobe.com – Patryssia)

👉 Die meisten Kompostierbetriebe sortieren Biokunststoffe daher von vornherein aus und führen sie der Restmüllverwertung zu – sprich: der Müllverbrennung.

Die meisten Fachleute empfehlen derzeit, Biokunststoff im Restmüll zu entsorgen – und Bioabfälle in ungefärbten Papiertüten oder Zeitungspapier.

Entsorgung von Bioplastik: Recycling oder Verbrennung?

Und wie sieht es mit dem Recycling aus – darf Bioplastik statt in den Restmüll auch in die gelbe Tonne? Hier kommt es auf die Materialzusammensetzung an (s. Positionspapier des Fraunhofer UMSICHT). Kunststoffe, die in ihrer chemischen Struktur herkömmlichen Kunststoffen ähneln, können genau wie diese recycelt werden. Dazu gehören beispielsweise PET-Plastikflaschen mit biobasiertem Anteil oder andere biobasierte Varianten von PE, PP und PET.

In Recyclinganlagen meist aussortiert werden dagegen Kunststoffe mit anderer chemischer Struktur – die Anlagen sind darauf (noch) nicht ausgerichtet. Auch hier landen viele Bioplastik-Produkte also letztlich in der Müllverbrennung.

Ist dann durch Biokunstoff-Müllbeutel und ähnliches überhaupt etwas gewonnen? Immerhin: Bei der Verbrennung ist biobasierter Biokunststoff klimafreundlicher als herkömmliches Plastik. Denn es wird dabei nur so viel CO2 freigesetzt, wie das pflanzliche Ausgangsmaterial gespeichert hatte – deutlich weniger als bei erdölbasierten Materialien.

Der Umweltverband BUND schreibt daher in einer Stellungnahme zu biologisch abbaubarem Kunststoff, der Restmüll sei „der geeignete Platz für den sogenannten Biokunststoff“.

Lenkt Bioplastik vom echten Problem ab?

Die Abfallhierarchie der EU legt fest: Wenn Abfälle nicht vermeidbar sind, hat Recycling die Top-Priorität. Der Einsatz wertvoller Ressourcen für Produkte, die sich nach einmaliger Verwendung zersetzen sollen oder verbrannt werden, anstatt wiederverwertet zu werden, widerspricht dem.

Auch der BUND sieht in der Debatte um Bioplastik vor allem die Gefahr, dass von dem eigentlichen Problem abgelenkt wird: unserem sorglosen Umgang mit Plastik. Wichtiger als der Einsatz neuer Plastikarten sei die Vermeidung von Kunststoffen – und die stärkere Etablierung von Mehrwegsystemen.

„Erstes Ziel als Antwort auf die Plastikkrise ist und bleibt die Vermeidung überflüssiger Kunststoffanwendungen, insbesondere im Verpackungs- und Einwegsektor.“

Aus Sicht des BUND lenke die Debatte um den Einsatz und die potentiellen Vorteile von Bioplastik „vom eigentlich notwendigen Umbau im Verpackungs- und im Kunststoffsektor allgemein ab.“

Fazit: Ohne Plastik ist fast immer besser

Derzeit scheinen sich die Vor- und Nachteile von Bioplastik gegenseitig aufzuheben. Die verfügbaren Materialien sind nach aktuellem Stand weder eindeutig besser noch eindeutig schlechter als herkömmliches Plastik – die Probleme liegen nur woanders. Eine echte Lösung für das Plastikproblem ist Biokunststoff nicht.

Das Hauptproblem liegt nach wie vor in unserem viel zu hohen (Einweg-)Plastikkonsum; die Frage nach der Zusammensetzung des Kunststoffes ist dabei zweitrangig. Genau wie der BUND empfehlen wir, weiterhin so weit wie möglich (Einweg-)Plastik zu vermeiden – egal ob „Bio“ oder nicht.

Dort, wo sich Plastik schwer umgehen lässt, sind Mehrwegsysteme sinnvoll. Für die Herstellung scheint aktuell die sinnvollste Variante nicht Bioplastik, sondern Recycling-Kunststoff zu sein. Auch Christoph Lauwigi vom BUND findet die Antwort auf die Frage nach dem „besten“ Kunststoff einfach: „Wiederverwendet oder recycelt aus vorhandenem Kunststoff, langlebig, wiederverwendbar und nach Ende seines langen, intensiven und sinnvollen Einsatzes gut wieder in den Kreislauf integrierbar.“

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English version available: Bioplastics: How Green and Sustainable Are They?

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