Nachtschattengewächse wie Tomaten, Kartoffeln und Auberginen geraten seit Kurzem unter den Verdacht, gar nicht so gesund zu sein. Doch woher stammt diese Annahme und stimmt sie?
Auf Deutschlands Küchentischen landeten 2021/22 pro Kopf etwa 56 Kilogramm Kartoffeln und 30,5 Kilogramm Tomaten – eine besorgniserregende Menge, wenn man einigen Mythen Glauben schenken darf, laut derer diese Nachtschattengewächse ungesund seien. Zu den Nachtschattengewächsen gehören größtenteils Zierpflanzen wie die Engelstrompete und die Petunie, aber auch Gemüse: neben Kartoffeln und Tomaten auch Paprika, Auberginen sowie Goji-Beeren.
Nachtschattengewächse sind einzigartig, weil sie geringe Mengen an Alkaloiden enthalten: Sekundäre Pflanzenstoffe, die sich sowohl positiv als auch negativ auf den menschlichen Organismus auswirken können. Daher ranken sich um Kartoffeln, Tomaten und andere essbare Nachtschattengewächse einige Mythen: Sind diese Lebensmittel nun giftig oder nicht?
Mythos #1: Nachtschattengewächse sind giftig
Dieser Mythos stimmt teilweise. Denn neben den Alkaloiden enthalten Nachtschattengewächse auch Solanin. Solanin ist eine chemische Verbindung, die Pflanzen bilden, um sich vor Schädlingen zu schützen – und die tatsächlich auch für den Menschen leicht giftig ist. Eine Vergiftung durch Solanin macht sich laut dem Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) mit folgenden Symptomen bemerkbar:
- Brennen und Kratzen im Hals
- Magenbeschwerden
- Darmentzündungen
- Gliederschmerzen
- Übelkeit
- Brechreiz
- Nierenreizungen
- Durchfall
- in schlimmen Fällen: Auflösung der roten Blutkörperchen, Störungen der Kreislauf- und Atemtätigkeit sowie Schädigungen des zentralen Nervensystems (Krämpfe, Lähmungen)
In einem Beitrag des Guardian gibt Ernährungswissenschaftler Harry Snell jedoch Entwarnung: „Die Menge, die wir essen, reicht nicht aus, um Schaden anzurichten. Es gibt bereits bestimmte Pflanzenteile, die wir nicht essen – wie die Stängel oder die Augen und grünen Teile der Kartoffel – weil sie mehr Solanin enthalten, aber der Rest ist völlig gesund.“ Auch das BZfE sieht keinen Grund für Besorgnis, wenn man Kartoffeln und Co. in normalen Mengen isst. Denn um eine Solaninvergiftung zu bekommen, müssten Erwachsene mehr als zehn Portionen Pellkartoffeln am Tag essen.
Der Genuss von Nachtschattengewächsen ist, was das Solanin angeht, also völlig unbedenklich, wenn du die Pflanzenteile mit dem höchsten Gehalt dieses Giftstoffs entfernst. Bei Tomaten solltest du demnach nicht den grünen Tomatenstrunk essen, von Auberginen nie die grünen Blätter und auch grüne und keimende Kartoffeln solltest du besser nicht essen.
Zudem solltest du darauf achten, Nachtschattengewächse nicht unreif zu verzehren. Im reifen Zustand ist der Solaningehalt deutlich geringer, in reifen Tomaten sind zum Beispiel lediglich 0 bis 0,7 Milligramm Solanin pro 100 Gramm enthalten. Vergiftungen können erst ab einer Konzentration von einem Milligramm Solanin pro Kilogramm Körpergewicht auftreten, so das BZfE.
Mythos #2: Nachtschattengewächse verschlimmern Entzündungen
Dieser Mythos ist nicht belegt. Laut dem Guardian deuten einige ältere Studien darauf hin, dass die in Nachtschattengewächsen enthaltenen Glykoalkaloide bei Menschen mit entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis Probleme verursachen können. Dafür gibt es allerdings keine ausreichenden Beweise, so Dr. Bridgette Wilson, Diätassistentin für Gastroenterologie und Darmgesundheit gegenüber dem Guardian.
Das bestätigt die Arthritis Foundation: Bei den Studien handele es sich um jahrzehntealte Forschungen an Mäusen, die zu dem Schluss kamen, dass Solanin die Darmschleimhaut schädigt und die Darmentzündung bei Colitis, einer Art entzündlicher Darmerkrankung, verstärkt. Neuere Forschung an Mäusen hätten jedoch genau das Gegenteil gezeigt. Mehrere Studien würden darauf hindeuten, dass violette Kartoffeln und Goji-Beeren Entzündungen, eine gestörte Darmbarrierefunktion und schädliche Darmbakterien verringern. Dies alles sind Probleme, die bei Menschen mit rheumatoider Arthritis und anderen entzündlichen Formen der Krankheit auftreten.
Es gilt aber: Die Erkenntnisse aus Tierstudien lassen sich nicht ohne Einschränkungen auf Menschen übertragen. Es sind also weitere Untersuchungen erforderlich, die den Zusammenhang von Solanin und Entzündungskrankheiten erforschen.
Sicher ist allerdings, dass Kartoffeln, Paprika und andere Nachtschattengewächse neben Solanin auch wertvolle Nährstoffe wie Vitamine, Ballaststoffe und Mineralstoffe enthalten, die gesundheitsfördernd sind. Ernährungsberater Snell erläutert, dass die typische westliche Ernährung mit ihrem hohen Anteil an ultraverarbeiteten Süßigkeiten und Snacks daher viel eher einen negativen Einfluss auf Entzündungskrankheiten hat und zu Krankheiten führt als der Verzehr von Nachtschattengewächsen. Auch die Universität Würzburg hat 2022 eine Studie veröffentlicht, die bestätigt, dass Zucker entzündliche Prozesse im Körper begünstigt.
Mythos #3: Nachtschattengewächse können Autoimmunerkrankungen verschlimmern
An diesem Mythos ist etwas dran. Viele Gemüsesorten enthalten Lektine, doch einige Nachtschattengewächse weisen einen besonders hohen Gehalt an diesen Proteinen auf, so der Guardian. Lektine dienen als Abwehrstoffe für Pflanzen und laut der Harvard School of Public Health (HSPH) können die gleichen Eigenschaften, die Lektine in der Natur zum Schutz der Pflanzen nutzen, beim Menschen Verdauungsprobleme verursachen.
In großen Mengen verzehrt, können Lektine das Reizdarmsyndrom oder Autoimmunkrankheiten verschlimmern. Für Betroffene dieser Krankheiten kann es der HSPH zufolge vernünftig sein, weniger oder seltener Lebensmittel mit hohem Lektingehalt zu verzehren.
Echte Unverträglichkeiten gegenüber diesen Proteinen sind jedoch selten und die meisten gesunden Menschen können Lektine während des Verdauungsprozesses ohne Probleme vertragen, erklärt die Ernährungstherapeutin Natalie Burrows im Beitrag des Guardian.
Auch die Harvard School of Public Health sieht keinen Anlass, Lebensmittel mit Lektinen zu meiden, wenn man keine Probleme mit der Verdauung hat. Insbesondere, da wir Lebensmittel mit hohem Gehalt an aktiven Lektinen, wie Bohnen, Kartoffeln und Getreide, sowieso nicht roh verzehren. Nach dem Kochen enthalten sie viel weniger der Proteine.
Lektine haben im Übrigen nicht nur potenziell schädliche Auswirkungen. Die HSPH erklärt, dass Lektine auch als Antioxidantien wirken können, die die Zellen vor Schäden durch freie Radikale schützen. Außerdem verlangsamen sie die Verdauung und die Aufnahme von Kohlenhydraten, was einen starken Anstieg des Blutzuckerspiegels und hohe Insulinspiegel verhindern kann.
Die meisten lektinhaltigen Lebensmittel sind des Weiteren reich an Vitaminen, Mineralien, Ballaststoffen, Antioxidantien und mehr. Die Vorteile dieser gesunden Nährstoffe überwiegen bei weitem die negativen Auswirkungen von Spuren von Lektinen.
Mythos #4: Nachtschattengewächse enthalten Histamin
Das stimmt teilweise. Viele Lebensmittel sind histaminhaltig und einige Nachtschattengewächse, wie Tomaten und Auberginen, enthalten einen hohen Anteil an Histaminen. (Kartoffeln aber zum Beispiel nicht.) Histaminhaltige Nahrungsmittel sind für gesunde Menschen unbedenklich, so der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB). Das körpereigene Enzym Diaminoxidase (DAO) baut zugeführtes Histamin ab und gleicht einen Überschuss in der Regel umgehend aus. Bei einer Histaminintoleranz ist dieser Prozess jedoch gestört und der Körper entwickelt Symptome, zum Beispiel Magen-Darm-Beschwerden, Juckreiz, Kreislaufprobleme oder Kopfschmerzen.
Bei Verdacht auf eine Histaminintoleranz sollte man laut dem Guardian jedoch nicht gleich eine Selbstdiagnose stellen und dann unnötigerweise histaminhaltige Lebensmittel ausschließen. Wer tatsächlich betroffen ist, könne mithilfe von Ernährungsberater:innen eine spezielle Diät verfolgen.
Fazit zu Nachtschattengewächsen
Kartoffeln, Tomaten und Paprika sind nährstoffreiche Nachtschattengewächse, die trotz ihres Gehalts an Alkaloiden und Histamin für gesunde Menschen völlig unbedenklich sind und weiterhin auf dem Speiseplan stehen sollten. Wichtig ist, dass du sie richtig zubereitest, also zum Beispiel das Tomatengrün entfernst.
Menschen, die nach dem Verzehr von Nachtschattengewächsen plötzlich Beschwerden oder eine Verschlimmerung dieser bemerken, sollten nicht auf eigene Faust diese Lebensmittel meiden, sondern die Ursachen abklären lassen und professionellen Rat über eine angepasste Ernährung einziehen.
Es stehen außerdem noch weitere wissenschaftliche Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen in Nachtschattengewächsen enthaltene Stoffe und ihren genauen Auswirkungen auf den menschlichen Körper aus. Viele der im Netz kursierenden Warnungen vor dem Verzehr von Nachtschattengewächsen sind also derzeit tatsächlich nur Mythen.
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