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Postwachstumsökonomie: Geht es auch ohne Wirtschaftswachstum?

Postwachstumsökonomie
Foto: CC0 Public Domain / Pixabay / geralt

Die Postwachstumsökonomie kommt ohne Konsumzwang aus. Dafür gewinnen alle mehr Zeit für ein erfüllteres Leben mit intakter Umwelt. Wie das genau gehen soll, erfährst du hier.

Postwachstumsökonomie – ein Leben ohne Wachstum

Postwachstumsökonomie bedeutet wörtlich „die Wirtschaftslehre nach dem Wachstum“ und genau darum geht es auch. Sie hat eine einfache Erklärung, warum viele Probleme in der globalisierten Welt noch nicht gelöst sind: das Wirtschaftswachstum ist der Grund. Durch das ständige Wachstum nehmen beispielsweise soziale Ungleichheit und Umweltprobleme zu.

Die Wissenschaftler der Postwachstumsökonomie argumentieren, dass Wirtschaftswachstum als generelles Ziel ausgedient hat. Politiker sollten schnellstes umsteuern und sich neue Werte zum Ziel setzen. In einem offenen Brief an die EU forderten über 200 Wissenschaftler die Politiker auf, das Wirtschaftsziel Wachstum aufzugeben.

Die Wissenschaftler hinter der Postwachstumsökonomie haben nicht nur eine Erklärung, sondern schlagen auch Maßnahmen vor, wie die Wirtschaft nach dem Wachstum funktionieren soll.

Doch dazu müssen nicht nur Politiker umdenken – radikale Änderungen in fast allen Bereichen des täglichen Lebens sind notwendig. Jeder Einzelne wird seinen bisherigen Lebensstil neu definieren müssen. Geld und Arbeit erhalten einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft.

  • Konsum: In der westlichen Gesellschaft verbringen wir viel Zeit damit, nach Prestige und Statussymbolen zu streben. Konsum als vermeintliches Mittel zum Glück soll in der Postwachstumsökonomie ausgedient haben.
  • Arbeitszeit: Viele Menschen arbeiten 40 Stunden in der Woche plus Überstunden. Die Postwachstumsökonomie sagt, dass dabei unnötige Tätigkeiten viel Zeit beanspruchen. Deshalb soll Zeit geschaffen werden für produktive Tätigkeiten, die befriedigend sind und der Gemeinschaft nützen.

Noch gibt die Wachstumstheorie die Ziele vor

BIP-Wachstum ist das Ziel fast aller Staaten.
BIP-Wachstum ist das Ziel fast aller Staaten.
(Foto: CC0/pixabaygeralt)

Fast alle Staaten streben mit ihrer Politik ein Wachstum der wirtschaftlichen Leistung an. Damit folgen sie im Grunde der Wachstumstheorie, die besagt:

  • Durch wachsende industrielle Produktion steigt die Wirtschaftsleistung im Staat  und somit der Wohlstand der Bevölkerung.
  • Die Wirtschaftsleistung von Staaten wird als Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP bezeichnet.
  • Im Kern enthält die Theorie eine Formel, aus der sich zum Beispiel ablesen lässt, wieviele Jahre es dauert, den Wohlstand zu verdoppeln und welches regelmäßige Wachstum dazu notwendig ist.
  • Die Wachstumstheorie stammt aus den 1950er-Jahren, als sich vor allem die westliche die Welt von den zwei Weltkriegen erholte und es darum ging, die Wirtschaft wieder aufzubauen.
  • Jedoch lässt die Formel offen, wie es dann weitergehen soll – verdoppelt sich der Wohlstand nochmal? Kritiker merken daher an, das die Wachstumstheorie ins „Unendliche“ reicht, ohne einen Abschluss zu finden.

Postwachstumsökonomie – mit dem Wachstum nehmen auch die Probleme zu

Mit Wachstum nehmen auch die Waren und Transporte zu.
Mit Wachstum nehmen auch die Waren und Transporte zu.
(Foto: CC0/pixabay/Pexels)

Heute, nach über 60 Jahren Wirtschaftswachstum, stößt die Theorie an ihre Grenzen. Die Ressourcen der Erde an Energie, Rohstoffen aber auch Arbeitszeit sind begrenzt. Auf der anderen Seite ist auch ein unbegrenzter Konsum nicht tragbar.

1) Das Wachstum verursacht ökologische Probleme:

  • Ökologischer Fußabdruck:  Die Industrieländer leben über ihre Verhältnisse. Das Bundesinstitut für politische Bildung veranschaulicht den übermäßigen Einsatz der Bio-Kapzitäten aller Wirtschaftsregionen.
  • Earth Overshoot Day: Der Tag, an dem die Ressourcen der Erde für das Jahr schon aufgebraucht sind, ist jedes Jahr früher.
  • Abfall: Mit der Wirtschaft wachsen die Müllberge und die Ozeane ersticken in Plastikmüll.
  • Energie: Die Fabriken, vor allem in Asien verbrauchen Kohlestrom, der mit seinen CO2-Emissionen das Klima schädigt. Es sieht nicht so aus, dass die großen Industrienationen, wie USA, Japan, Deutschland und China die Klimaziele erreichen können. Im Rating von Germanwatch liegt kein Land im „grünen Bereich“.

2) Das Wachstum verursacht soziale und politische Spannungen:

  • Obwohl das BIP in allen Regionen zunimmt, verteilt sich der Wohlstand nicht gleichmäßig.
  • Der BUND schreibt in seiner Wachstumskritik, dass ein Prozent der Weltbevölkerung genauso viel Geld besitzt, wie alle übrigen 99 Prozent. Daraus entstehen soziale und politische Spannungen.
  • Löhne, die nicht zum Leben reichen, sind kein entferntes Problem aus dem globalen Süden. Immer häufiger sind auch Arbeitnehmer aus den „reichen“ Ländern davon betroffen. 

3) Das Wachstum wird durch Staatsschulden erkauft:

  • Um die Wachstums- und Wohlstandsziele zu erreichen, nehmen Staaten immer mehr Schulden auf. Die OECD listet die Entwicklung der Staatsschulden in Prozent zum BIP. 
  • Die Schuldenberge der Staaten wachsen deutlich stärker als das Wirtschaftswachstum.
  • Das hat auch Auswirkungen auf die Finanzmärkte, zum Beispiel auf die Höhe der Zinsen oder darauf, wie stabil Währungen sind.

Die Postwachstumsökonomie will die Probleme des Wirtschaftswachstums mit fünf Entwicklungsschritten lösen:

1. Schritt in der Postwachstumsökonomie: Tempo drosseln

Postwachstumsökonomie will entschleunigen.
Postwachstumsökonomie will entschleunigen.
(Foto: CC0/pixabay/webandi)

Am Anfang geht es darum, die Konsumspirale aufzuhalten und das Wachstum zu drosseln. Der allgemeine Zusammenhang um Angebot und Nachfrage zu regulieren ist bekannt: Sinkt die Nachfrage, geht auch die Produktion zurück und damit das Wachstum.

Das funktioniert nur, wenn jeder mitmacht und weniger Konsumgüter kauft. Das soll jedoch nicht heißen, das du auf notwendige Anschaffungen verzichten sollst. Vielmehr solltest du dir vor jedem Einkauf die Frage stellen, ob du das Produkt wirklich brauchst. 

Die Sozialwissenschaftler unter den Postwachstumsökonomen argumentieren, dass uns übervolle Auslagen in den Läden überfordern und Stress auslösen. In der Postwachstumsökonomie spart man Zeit, die man sonst vielleicht damit verbracht hätte, dem besten Schnäppchen hinterher zu jagen.

2. Schritt in der Postwachstumsökonomie: Mehr Selbstversorgung

Ein Balkongarten ist auch möglich.
Ein Balkongarten ist auch möglich.
(Foto: CC0/pixabay/Broesis)

In der Postwachstumökonomie soll sich jeder soweit möglich selbst versorgen können. Damit werden die Menschen unabhängiger von den Preisen und Angeboten in den Läden. Würden beispielsweise die Preise für Tomaten drastisch steigen, belastet dies nicht dein Budget, weil du eigene Tomaten hast. Was du jetzt schon tun kannst:

  • Eigenes Gemüse anbauen, auch ein Balkon reicht schon aus
  • Wasch- und Putzmittel selber machen
  • Kosmetika selber machen

Dafür brauchst du Zeit, die knapp ist, wenn du Vollzeit arbeitest. Die Lösung der Postwachstumsökonomie sind daher kürzere Arbeitszeiten. Hinzu kommen Modelle wie das bedingungslose Grundeinkommen.

  • Dadurch gewinnst du wieder mehr Zeit, um dich zum Beispiel in der Nachbarschaftshilfe zu engagieren oder einen Gemeinschaftsgarten mitzugestalten.
  • Du sparst Geld: Du bezahlst beispielsweise nicht mehr für einen Kindergarten oder Reparaturen, weil so etwas in der Nachbarschaft organisiert wird.
  • Die Ernte aus dem Gemeinschaftsgarten brauchst du auch nicht mehr kaufen.
  • Carsharing und andere Tauschbörsen können an die Stelle von Geschäften treten.

3. Schritt in der Postwachstumsökonomie: Mehr regionale Wirtschaft

In der Postwachstumsökonomie sind regionale Handwerker gefragt.
In der Postwachstumsökonomie sind regionale Handwerker gefragt.
(Foto: CC0/pixabay/christels)

Alle Waren, die du nicht in der Nachbarschaft tauschen oder leihen kannst, sollten möglichst aus deiner Region kommen ohne lange Transportwege.

  • So könntest du im Hofläden deine Lebensmittel einkaufen oder du bist an einer Landwirtschaft beteiligt, die dir für dafür die Lebensmittel liefert.

In der Postwachstumsökonomie sollen Waren möglichst lange genutzt werden. Die Industrie wächst nicht, sondern produziert auf gleichbleibenden Niveau. Sie ersetzt nur die Produkte, die am Schluss aus dem Kreislauf ausscheiden. Cradle to Cradel wird zum  Standard.

  • So würden zum Beispiel Elektrogeräte erst einmal von einem Fachmann in deiner Umgebung repariert werden.
  • Erst wenn ein Gerät wirklich kaputt ist, würdest du es durch ein Neues ersetzen.
  • Second Hand wird zur Norm.

In den Regionen entstehen dadurch neue Beschäftigungsmöglichkeiten. So könnten zum Beispiel Handwerker wie Schuster, Schneider oder Zimmermänner wieder ein gefragte Berufe werden. 

Die einzelnen Regionen werden unabhängiger, weltweite Wirtschaftskrisen mit Massenarbeitslosigkeit gehören dann der Vergangenheit an. Mit eigen Regionalwährungen, die staatlich gestützt sind, können auch extreme Schwankungen in den Finanzmärkten den lokalen Wirtschaftsgebieten nichts mehr anhaben.

4. Schritt in der Postwachstumsökonomie: Reparieren und recyceln, ein neuer Markt

Es lohnt sich wieder Produkte zu reparieren.
Es lohnt sich wieder Produkte zu reparieren.
(Foto: CC0/pixabay/Pexels)

Ein Ziel der Postwachstumsökonomie ist es, möglichst wenig Rohstoffe neu zu verwenden. Die industrielle Produktion soll sich aus den recycelten Materialien bedienen.

Die Postwachstumökonomen schlagen vor, Waren künftig so zu gestalten, dass sie eine lange Lebensdauer haben. Auch wenn es weniger Produkte gibt, wird es neue Beschäftigungen geben.

  • So müssen zum Beispiel Experten technische Geräte warten oder reparieren. Das stellt neue Anforderungen an das Konzept von Produkten, deren Design bislang eher für den kurzzeitigen Gebrauch gedacht war. 
  • Dienstleister könnten zum Beispiel veraltete technische Geräte umbauen. Die Geräte kommen so wieder auf den neusten technischen Standard oder werden nur äußerlich aufbereitet.
  • Auch allgemeines Upcycling durch Dienstleister ist denkbar.

5. Schritt in der Postwachstumsökonomie: Reform der Werte

Erneuerbare Energien gehören zur Postwachstumsökonomie.
Erneuerbare Energien gehören zur Postwachstumsökonomie.
(Foto: CC0/pixabay/RoyBuri)

Die Postwachstumsökonomie macht Bodenflächen frei, die bislang Industriegebiete, Logistikparks oder Autobahnen beanspruchten.

  • Diese Flächen sollen nach Möglichkeit „natürlich“ genutzt werden, wie zum Beispiel für Landwirtschaft und Gemeindegärten.
  • Eine andere Möglichkeit ist es, diese schon bebauten Flächen für Strom aus erneuerbaren Energien zu nutzen.

Die nachhaltige Entwicklung muss nach Auffassung der Postwachstumsökonomie endlich konkret messbar werden. Die Wissenschaftler empfehlen daher, bei jedem Produkt den jeweiligen CO2-Verbrauch anzugeben. Die Summe aller individuellen CO2-Bilanzen der Produkte müssen dann mit gesteckten CO2-Klimazielen vereinbar sein.

Die Postwachstumsökonomie will das Wirtschaftsziel „Wachstum“ durch neue Ziele ersetzten, die nicht nur das Vermögen messen, sondern höheren Werten verpflichtet sind. So lässt sich schon jetzt das kleine Land Bhutan am Bruttosozialglück seiner Bevölkerung messen. Als erstes Land der Welt hat es dem allgemeinen Wachstumsziel des Bruttoinlandsprodukts eine Absage erteilt.

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