Tofu-Würstchen und Seitan-Döner? Schon klar, wir werden uns nicht alle von heute auf morgen komplett pflanzlich ernähren. Bio-Fleisch ist immerhin besser als Nicht-Bio. Doch wir sollten uns nicht auf der Ausrede ausruhen, wenn wir nur Bio kaufen, sei das tägliche Wurstbrot oder Schnitzel vertretbar. Ein Kommentar.
„Wie, du isst kein Fleisch mehr?“ Bei Treffen mit Freund:innen und Verwandten führt kaum ein Thema zu so hitzigen Diskussionen wie das der eigenen Ernährung – und das seit Jahren. „Veganer:innen haben doch keinen Spaß am Essen“ oder: „Gesund kann der ganze Verzicht ja nicht sein.“ Diese Reihe an Vorurteilen gegenüber einer vegetarischen oder veganen Ernährung ließe sich beliebig fortsetzen.
Statt weiteren Beispielen oder Gegenargumenten empfehle ich die Lektüre unseres Artikels Vegan oder vegetarisch: Wie du mit Fragen zu deinem Lebensstil umgehst
Auf einen Aspekt der Debatte um Fleisch – oder viel mehr Fleischverzicht – kommen wir aber offensichtlich nicht herum: Im Freundeskreis erzählte ich neulich von Jan Böhmermanns Sendung über Tönnies, in der der Satiriker den Fleischproduzenten unter anderem wegen ausbeuterischer Arbeitsbedingungen und dem Umgang mit Nutztieren anprangerte. Auch den exzessiven Fleischkonsum machte Böhmermann zum Thema – pünktlich zur Grillsaison.
Ich gab zu bedenken, wie viele Billig-Nackensteaks und Grillwürstchen bald wieder auf den Rosten brutzeln werden und wie wichtig es ist, dass wir anfangen, weniger Fleisch zu essen. Daraufhin konfrontierte mich eine Freundin folgender Aussage: „Billigfleisch ist schrecklich, aber ich bin nicht Teil dieses Problems. Schließlich kaufe ich mein Fleisch ausschließlich in der Bio-Metzgerei. Deshalb muss ich meinen täglichen Konsum auch nicht reduzieren.“
Darf Bio-Fleisch bedenkenlos täglich auf den Teller?
Da musste ich erst mal kurz nachdenken, um nicht nur reflexhaft „Doch!“ zu entgegnen. Ich glaube an den Ansatz von Utopia, niemandem ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen, sondern stattdessen nachhaltige(re) Alternativen aufzuzeigen.
Im konkreten Fall wollte ich meiner Freundin als Stellvertreterin aller Bio-Fleisch-Fans erklären, dass der tägliche Konsum von Bio-Fleisch alles andere als nachhaltig oder gesund ist. Denn bei Fleisch gilt für mich persönlich nicht nur, wenig ist besser, sondern keines ist das Ziel.
Die Aussage „Ich kaufe nur Bio-Fleisch, das kann ich dann auch jeden Tag essen.“ ist für mich aus vorrangig drei Gründen falsch; ein täglicher Konsum von Bio-Fleisch ist:
- Klimaschädlich
- Gesundheitsschädlich
- Logistisch nicht nachhaltig möglich
1. Auch regionales Bio-Fleisch bleibt schädlich für das Klima
Auch wenn regionales Bio-Fleisch deutlich besser ist als Fleisch aus Massentierhaltung, bleibt die Fleischindustrie eine der umweltschädlichsten Industriezweige. Die Tiere benötigen viel Futter, für das teils wertvolle Waldflächen überall auf der Welt gerodet werden. Außerdem verursacht die Viehhaltung hohe Treibhausgasemissionen.
Fleisch, insbesondere Rindfleisch, zählt zu den klimaschädlichsten Lebensmitteln überhaupt. Laut einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) emittiert ein Kilogramm Rindfleisch 13,6 kg CO2-Äquivalente. Bio-Fleisch schnitt hier nicht besser ab. Zum Vergleich: Ein Kilo Bio-Äpfel verbraucht nur 0,2 kg CO2-Äquivalente. Statt einem Kilo Bio-Rindfleisch könnte meine Freundin also satte 68 Kilo Äpfel verspeisen.
Im Umkehrschluss schonen eine vegetarische und vor allem eine vegane Ernährung das Klima, da sie den CO2-Fußabdruck unserer Ernährung deutlich senken. Besonders gut zeigt das der Fleischrechner; ein Tool, in das man die eigene Verzehrmenge an Fleisch eingeben kann. Daraus errechnet das Tool, wie viel Wasser der eigene Fleischkonsum pro Jahr benötigt und wie viel Kilogramm CO2 ausgestoßen werden – und wie viel man durch weniger Fleisch einsparen kann.
Mit nackten Zahlen sieht das folgendermaßen aus: Vegetarier:innen sparen knapp 24 Prozent und Veganer:innen rund 53 Prozent der Treibhausgasemissionen ein, die bei einer „durchschnittlichen Ernährung“ (47 Kilo Fleisch pro Jahr) entstehen (Quelle: Öko-Institut).
2. Ein hoher Fleischkonsum schadet der Gesundheit
Nun zum deutlich emotionaleren Argument, wenn es um Sachen (Bio-)Fleisch geht: die gesundheitlichen Auswirkungen. Das Thema Antibiotika-Einsatz bei der Viehhaltung spare ich dabei aus, da dies vorrangig ein Problem der konventionellen Massentierhaltung ist.
Bleiben die durchaus gesunden Inhaltsstoffe von Fleisch: Vitamine, Mineralstoffe, Proteine und viel Eisen. Doch all diese Nährstoffe stecken auch in pflanzlichen Lebensmitteln – die die Tiere ja essen, bevor wir sie schlachten. Statt Proteine und Eisen über Fleisch zu sich zu nehmen, können meine Freundin und alle anderen Ominvor:innen genauso gut Nüsse, Saaten und Hülsenfrüchte essen.
Nicht nur ist der „Umweg“ über das Tier überflüssig, er birgt auch gesundheitliche Gefahren. So stuft die Internationale Krebsforschungsbehörde (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO unverarbeitetes rotes Fleisch als „wahrscheinlich krebserregend“ und verarbeitetes rotes Fleisch sogar als „krebserregend“ ein. Zu rotem Fleisch gehört Schweine-, Rind-, Lamm-, Kaninchen-, Pferde- und Ziegenfleisch. Als verarbeitet zählt Fleisch, wenn es haltbar gemacht wurde – etwa durch Salzen oder Räuchern. In diese Kategorie gehören deshalb unter anderem Wurst, Salami und Schinken.
Die WHO empfiehlt für Erwachsene nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleischwaren pro Woche, in Deutschland ist der durchschnittliche Konsum aber deutlich höher. Ein täglicher Verzehr an Bio-Fleisch ist aus gesundheitlicher Sicht damit nicht verträglich.
3. Bio-Erzeugnisse reichen für den täglichen Konsum nicht aus
Ein weiteres Argument gegen den täglichen Konsum von Bio-Fleisch: Würde jede Person in Deutschland nur noch Bio-Fleisch kaufen, ohne die Gesamtmenge zu reduzieren, könnten die Ertragsmengen die Nachfrage nicht decken. Der Versorgungsgrad für Fleisch ist in Deutschland insgesamt mehr als gedeckt, er lag 2021 laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bei 121 Prozent.
Auch die Bio-Fleischerzeugung ist in den letzten zehn Jahren gestiegen: Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) gibt in seinem Branchenreport 2021 an, dass vergangenes Jahr über 50 Prozent mehr Bio-Fleisch gekauft wurde als noch 2020. Die Richtung stimmt also, dennoch macht der Bio-Anteil in der Rindfleischproduktion nur rund fünf Prozent aus, bei Schweine- und Geflügelfleisch sind die Anteile laut BÖLW sogar noch geringer.
Würden wir also – wie meine Freundin es vorschlug – bei unserem derzeitig hohen Fleischkonsum bleiben und alle auf Bio-Fleisch umsteigen, könnten die Landwirt:innen den extrem hohen Bedarf nicht decken.
Unser hoher Fleischkonsum belastet die globale Nahrungssicherheit
Nicht zuletzt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zeigt eindringlich, wie stark unsere Ernährung in Deutschland auf den Fleischkonsum ausgerichtet ist und zu welchen Problemen das (international) führen kann: Die Ukraine ist einer der größten Exporteure für Weizen. Bereits im März warnten Hilfsorganisationen angesichts des Ukraine-Kriegs vor einer Hungersnot in Nordafrika.
In Deutschland aber verarbeiten wir den Weizen nicht direkt zu Lebensmitteln, sondern verfüttern ihn an Nutztiere für die Fleischproduktion: Nur rund 20 Prozent des in Deutschland produzierten Getreides landet auf den Tellern, circa 60 Prozent wird als Tierfutter verwendet.
Anders ausgedrückt: Die Getreidemenge, die Deutschland an Tiere verfüttert, entspricht laut Spiegel etwa der gesamten Weizenexporte der Ukraine. Zugleich bezieht das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen 50 Prozent seines Weizens aus der Ukraine. Würden wir also den Weizen nicht verfüttern, sondern direkt verzehren, kämen wir der Nahrungssicherheit auf der Welt einen großen Schritt näher.
Fazit: Nicht Bio, sondern weniger Fleisch bleibt das Ziel
Zusammengefasst ist eine regionale Bio-Qualität bei Fleisch nicht verhandelbar, wenn man auf das Tierwohl achten möchte ohne ganz auf Fleisch zu verzichten. Wir müssen uns aber dringend von dem romantisierten Bild verabschieden, dass in der Bio-Landwirtschaft nur glückliche Kühe auf den Weiden grasen und Schweine sich zufrieden in der Sonne suhlen.
Gleichzeitig kann eine klimaschonende Ernährung nur damit einhergehen, dass wir unseren wahnsinnig hohen Verzehr von Fleisch massiv einschränken – Bio hin oder her. Ohne Verzicht wird es nicht gehen, der Umstieg von Fleisch aus Massentierhaltung auf Bio-Fleisch darf nur ein – wichtiger – Zwischenstopp sein. Ebenso wie der Umstieg aufs E-Auto allein keine echte Verkehrswende bringt oder der Wechsel zu Ökostrom einen nicht davor bewahrt, Strom zu sparen.
Das Schöne ist: Wir haben bei unserer Ernährung einen relativ einfachen und gleichzeitig großen Hebel für den Klimaschutz, sie zählt derzeit zu den fünf größten Klimakillern überhaupt. Wer auf tierische Lebensmittel verzichtet und regionale, saisonale und frische Produkte kauft, lebt eindeutig klimafreundlicher. Zum Glück wird es für uns von Woche zu Woche leichter, tierische Produkte – allen voran Fleisch – von unserem Speiseplan zu streichen: Das vegane Angebot in den Supermärkten steigt, Restaurants und Kantinen vergrößern ihr vegetarisches und veganes Angebot.
Meiner Freundin habe ich zur Inspiration vorgeschlagen, einmal klassische Fleischgerichte als vegetarische Variante auszuprobieren und doch mal vegetarisch zu grillen. Erste Achtungserfolge sind bereits da: Der gemeinsame Besuch im veganen Restaurant hat uns allen sehr gut geschmeckt.
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