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Inflation und partnerschaftliche Gewalt: Expertin vermutet Zusammenhang

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Foto: CC0 Public Domain - Pexels/ Anete Lusina

Laut einem Bericht des Bundeskriminalamts sind immer mehr Menschen in Deutschland von häuslicher Gewalt und Gewalt in Partnerschaften betroffen. Eine Expertin ordnet die Zahlen ein – sie vermutet einen Zusammenhang mit der Inflation in Deutschland.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat am Dienstag einen Lagebericht vorgestellt, laut dem 2022 in Deutschland 240.547 Opfer häuslicher Gewalt registriert wurden. Das sind 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Zwei Drittel der Opfer waren demnach von Partnerschaftsgewalt betroffen, also 157.550 Menschen. In diesem Bereich stieg der Wert sogar um 9,4 Prozent an. Beim übrigen Drittel handelte es sich um Opfer von innerfamiliärer Gewalt.

Janina Isabel Steinert, Professorin für Global Health an der Hochschule für Politik der TU München, erklärt gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), wie die Zahlen des BKA einzuordnen sind. Ihr zufolge könnte der Anstieg der Fallzahlen auch mit der aktuellen Inflation in Deutschland zusammenhängen. Laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) lag die Inflation im Juni bei 6,4 Prozent gegenüber des Vorjahresmonats. 2022 hatten sich Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt 2022 um 7,9 Prozent gegenüber 2021 erhöht, so das Statistische Bundesamt.

Ökonomische Sorgen als „Risikofaktor“ für häusliche Gewalt

Wieso die Fallzahlen zu Opfern häuslicher Gewalt des BKA ansteigen, müsse laut Steinert noch erforscht werden. Doch laut der Forscherin könnte zum Beispiel die Inflation eine Rolle spielen. Für häusliche Gewalt seinen „eine prekäre finanzielle Situation und ökonomische Sorgen […] typische Risikofaktoren“, erklärt die Expertin. „Und davon waren während der Corona-Pandemie und auch im vergangenen Jahr durch den Krieg in der Ukraine viele Menschen betroffen.“

Wie finanzielle Sorgen und Gewalt genau zusammenhängen, ist noch nicht erwiesen – laut Steinert mangelt es an Studien. Doch verweist die Expertin auf verschiedene Erklärungsansätze: Finanziellen Sorgen seien oft verbunden mit psychischen Belastungen, solche Belastungen könnten erwiesenermaßen zu mehr Aggression und mehr Konflikten führen. Auch ein gesteigerter Alkoholkonsum bei finanziellen Problemen könnte das Aggressionspotenzial steigern. Aus Daten der US-Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren gehe ebenfalls ein Anstieg häuslicher Gewalt hervor.

Die Expertin stellt im Gespräch mit dem RND jedoch klar: Auch wenn finanzielle Sorgen ein Risikofaktor für häusliche Gewalt sind, könne Partnerschaftsgewalt alle Teile der Gesellschaft betreffen.

Häusliche Gewalt: BKA-Bericht zeigt „Spitze des Eisbergs“

Steinert verweist auf andere Erklärungsmöglichkeiten für die Zunahme der Fallzahlen im Bericht des BKA. So sei denkbar, dass durch die öffentliche Debatte über häusliche Gewalt im Zuge des hohen Anstiegs während der Corona-Lockdowns inzwischen mehr Fälle gemeldet werden.

Trotzdem vermutet die Expertin eine hohe Dunkelziffer: Steinert mahnt, dass es sich bei den durch das BKA erfassten Fälle nur um „die Spitze des Eisbergs“ handle. Ein Großteil der Betroffenen wende sich nie an die Polizei, einer von ihr durchgeführten Studie zufolge würden sich weniger als 10 Prozent der von Gewalt in Partnerschaft betroffenen Frauen Hilfe suchen. Wie viele Fälle von häuslicher Gewalt es in Deutschland tatsächlich gibt, darüber könnten die Zahlen des BKA „nur wenig Aufschluss“ geben.

Frauen besonders häufig Opfer von Gewalt in der Partnerschaft

Frauen sind laut BKA-Bericht besonders oft von Gewalt in Partnerschaften betroffen: Sie machten 80 Prozent der Opfer aus. Steinert erklärt dies ebenfalls mit Bezug auf Finanzen: „Wenn eine Frau finanziell von ihrem Partner abhängig ist, ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich geringer, dass sie eine gewalttätige Partnerschaft verlässt.“ Auch die Angst, dass gemeinsame Kinder Armut erfahren müssen, könne ein Faktor sein. Auch nach der Trennung könnten Partner noch viel Einfluss auf ihre ehemaligen Partnerinnen haben – auch wegen finanzieller Abhängigkeiten. Laut BKA sind 40 Prozent der Gewalttäter die Ex-Partner.

Die Expertin plädiert unter anderem für eine frühe Sensibilisierung für das Thema Partnerschaftsgewalt in der Schule, um gegen Gewalt in der Partnerschaft vorzugehen. Ihr zufolge sollten nicht nur potenzielle Opfer von Gewalt früh über Schutzmaßnahmen aufgeklärt werden. Auch potenzielle Täter sollten frühzeitig davon abgehalten werden, gewalttätig zu werden.

Hinweis: Opfer von häuslicher Gewalt können sich zum Beispiel an das Opfertelefon Weißer Ring (116 006, täglich von 7 bis 22 Uhr) wenden. Außerdem erhalten sie beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (116 016, jeden Tag 24 Stunden erreichbar) und beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Männer“ (0800 1239900, Mo-Do 8-20 Uhr, Fr 8-15 Uhr) Beratung und Hilfe.

Verwendete Quellen: BKA, RND, dpa, Statistisches Bundesamt

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