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Neue Klima-Studie zum 1,5-Grad-Ziel: „Derzeit nicht plausibel“

Neue Klima-Studie zum 1,5-Grad-Ziel: "Derzeit nicht plausibel"
Foto: CC0 / Pixabay / dmncwndrlch

Trotz aller Abkommen, Gesetze und Proteste für den Klimaschutz wird die globale Temperatur um mehr als 1,5 Grad steigen. Das geht aus einer Studie der Universität Hamburg hervor. Die Autor:innen sehen Unternehmen, Medien und Konsument:innen in der Verantwortung.

Das Klimaziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist nach Ansicht von Hamburger Wissenschaftler:innen unrealistisch. „Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius ist derzeit nicht plausibel“, heißt es in einer Mitteilung der Universität Hamburg zum Hamburg Climate Futures Outlook 2023.

Für die am Mittwoch vorgestellte Studie haben rund 60 Sozial- und Naturwissenschaftler:innen in einem interdisziplinären Team zehn gesellschaftliche, klimarelevante Faktoren untersucht. Dazu zählen die UN-Klimapolitik, die Gesetzgebung zum Klimaschutz, Proteste, soziale Bewegungen, transnationale Initiativen, Klagen vor Gericht, Konsumverhalten, den Abzug von Investitionen aus der fossilen Wirtschaft, die Wissensproduktion und die Medien.

1,5 Grad Ziel unerreichbar: „Notwendige Dekarbonisierung einfach zu langsam“

Es sei einiges in Bewegung gekommen, heißt es in der Studie. Doch vor allem das Verhalten von Konsument:innen und Unternehmen bremse den weltweit dringend notwendigen Klimaschutz. „Die notwendige umfassende Dekarbonisierung verläuft einfach zu langsam“, erklärte die Leiterin des Exzellenzclusters „Klima, Klimawandel und Gesellschaft“ (Cliccs), Anita Engels. Dekarbonisierung bedeutet die Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen.

Auch die Medien verhalten sich nach Ansicht der Autor:innen ambivalent: Mal unterstützten sie das Ziel einer CO2-neutralen Gesellschaft, mal unterminierten sie es. Engels sieht dabei den professionellen Journalismus eher positiv. Anders als in den USA verzichteten Medien in Europa zunehmend auf ein „Ausbalancieren“ zwischen der Mehrheitsmeinung der Wissenschaft und „randständigen“ Stimmen. „Das ist ein sehr wichtiger Punkt“, sagte die Soziologin am Mittwoch. In sozialen Medien fänden sich dagegen viele Fake-News, vor allem Autor:innen aus dem rechten Spektrum verbreiteten unzutreffende Berichte.

„Rückkopplungseffekt auf das Klima geringer als angenommen“

Die physikalischen Prozesse wie der Verlust des arktische Meereises, das Schmelzen der Eisschilde und die regionalen Klimaveränderungen halten die Wissenschaftler:innen zwar für gravierend. „Auf die globale mittlere Temperatur bis 2050 hätten sie aber kaum Einfluss“, hieß es. „Es gibt für das Schmelzen des arktischen Meereises keinen Kipppunkt“, sagte der Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Jochem Marotzke. Eis bilde sich neu, wenn es kälter werde.

Durch das Schmelzen des Eises entstehe zwar eine dunklere Oberfläche, die sich theoretisch im Sonnenlicht mehr erwärme. Ein Blick aus dem All auf die Erde zeige aber: Wolken schirmten das Meer oft ab. Der Rückkopplungseffekt auf das Klima sei viel geringer als angenommen. „Die globale Auswirkung (auf das Klima) ist sehr gering„, sagte Marotzke.

Sozialer Wandel entscheidend

Entscheidend für eine Eindämmung der Erderwärmung ist nach Auffassung der Wissenschaftler:innen der soziale Wandel. Der reiche bislang nicht aus. „Wir sind nicht mal in Ansätzen auf dem richtigen Pfad“, sagte Engels. Die staatlichen Investitionen, um die Folgen der Corona-Krise und des russischen Einmarsches in die Ukraine abzumildern, hätten die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen noch verfestigt. „Verfehlen wir die Klimaziele, wird es umso wichtiger, sich an die Folgen anzupassen“, betonte die Soziologin. Dennoch müssten die Bemühungen um Klimaschutz weitergehen. Jedes halbe Grad globaler Klimaerwärmung sei wahrnehmbar, warnte Marotzke.

Von „Kipppunkten“ hält der Physiker aber nichts. „Dieser Begriff ist so aufgeweicht, dass er als wissenschaftlicher Begriff nicht mehr taugt“, sagte Marotzke, der auch Mitautor der jüngsten Berichte des Weltklimarats (IPCC) war. Die Entwicklung der globalen Temperatur hänge sowohl von den Emissionen als auch von der Reaktion des Klimas darauf ab.

Diese Rückkopplungen zeigten die Klimasensitivität. So sei etwa die Furcht vor einem Tauen des Permafrostes komplett unbegründet. Eine erwärmte Erdatmosphäre strahle auch mehr Energie in den Weltraum ab. Dieser Effekt sei 40-mal so stark wie der Klimaeffekt des Methans, das beim Tauen des Permafrosts frei werde.

Wieso 1,5-Grad? Das Pariser Klimaabkommen auf einen Blick:

Das 1,5-Grad-Ziel ist Teil des Pariser Klimaabkommens (auch „Übereinkommen von Paris“ oder „COP 21″). Dieses Abkommen wurde am 12. Dezember 2015 auf der internationalen Klimakonferenz in Paris beschlossen. Es enthält Ziele und Maßnahmen, um die Ursachen des Klimawandels global einzudämmen. Mit mittlerweile 197 Vertragsstaaten ist das Pariser Klimaabkommen die erste völkerrechtlich bindende Klimaschutzvereinbarung globalen Ausmaßes. Jeder Staat verpflichtet sich mit seinem Beitritt unter anderem zu folgenden Zielen:

  • Beschränkung der Erderwärmung auf zwei beziehungsweise 1,5 Grad Celsius
  • Treibhausgasneutralität in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
  • Verluste und Schäden durch den Klimawandel vorbeugen

Ein Großteil der Klimaschutzmaßnahmen, die Staaten in den vergangenen Jahren ergriffen haben, ist auf das 1,5-Ziel ausgerichtet. Sollte sich die Erde stärker erwärmen, kann das ernsthafte Konsequenzen haben: Einige Forschende sprechen zum Beispiel davon, dass die Erde dann ihre sichere Klimazone verlässt. Jedoch betonen Wissenschaftler:innen auch immer wieder, dass jedes Grad, um das die Erderwärmung reduziert werden kann, einen Unterschied macht.

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