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Pseudologia Phantastica: Wann ist meine Lüge ein echtes Problem?

Wann wird Lügen krankhaft?
Foto: Unspash / Vince Fleming

Vermutlich jede:r hat es schon einmal gemacht: gelogen. Allerdings kann das Lügen krankhaft werden, dann ist von Pseudologia Phantastica die Rede. Ein Psychiater gibt Einblicke, was es mit sogenannten Pseudolog:innen auf sich hat.

Man kennt es: Die Wahrheit etwas ausschmücken oder relevante Informationen im Gespräch weglassen. Kurzum: Lügen. Doch das verbale Schummeln kann zwanghaft sein – und eine handfeste psychische Erkrankung darstellen. Allerdings ist sie behandelbar, erklärt Psychiater Hans Stoffels im Interview mit Zeit Campus.

Stoffels ist langjähriger Leiter der Psychiatrischen Abteilung der Schlosspark-Klinik Berlin. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Menschen, die von Pseudologia Phantastica betroffen sind. Dem krankhaften Lügen.

Pseudolog:innen, also Menschen, die krankhaft Dinge erfinden oder die Realität verdrehen, können laut dem Experten nicht anders. „Sie werden von Fantasien so sehr bedrängt, dass sie nicht anders können, als diese auch zu äußern und für wahr zu erklären. Das führt dazu, dass krankhafte Lügner so selbstverständlich schwindeln, wie sie atmen“, sagt Stoffels.

Was ist „gesundes“ Lügen?

Ein Kennzeichen sei, dass die Betroffenen ihre Lügen zumeist selbst glaubten. Diese Form des Schwindelns muss „nicht bewusst oder böswillig“ passieren, erklärt der Psychiater weiter.

Wie unterscheidet sich krankhaftes Lügen von gelegentlichem Schwindeln? Stoffels sagt: „Zum ‚gesunden‘ Lügen zählen kleine Notlügen, Höflichkeitslügen oder auch einfach nur das Weglassen von Informationen.“ Jedoch könne Lügen auch manipulativ werden. Etwa wenn der betroffene Mensch damit versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen – betrügerisch und bewusst. „Beim krankhaften Lügen sprechen wir von einem Zwang zum Schwindeln.“

Für das Umfeld der Betroffenen ist es nicht einfach zu erkennen, ob die Person absichtlich oder unwillkürlich lügt. Die Unwillkürlichkeit, die krankhaftem Lügen zugrunde liegt, sei dem Experten zufolge Ausdruck „schweren Form der Persönlichkeitsstörung“. Sie sei „meist auf schwere emotionale Entbehrungen zurückzuführen“. Krankhafte Lügner:innen zeichnen demnach ein Bild von sich, das nicht der Wahrheit entspricht – oder behaupten „Dinge erlebt zu haben, die nie passiert sind“, so Stoffels.

„Betroffene jeden Alters zeichnen sich durch eine starke Ungebundenheit aus“

Ursache hierfür kann fehlende Anerkennung und Aufmerksamkeit sein, die die Betroffenen durch das Lügen suchen. „Betroffene jeden Alters zeichnen sich durch eine starke Ungebundenheit aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine sehr entbehrungsreiche und schwierige Kindheit zurückzuführen ist, deren Umstände zu diesen Bindungsschwierigkeiten geführt haben.“

Lügengeschichten können von einem Helden- oder Opfer Narrativ geprägt sein. Heißt: Dass man etwas erreicht habe, was nicht stimmt. Zum Beispiel, zu Geld gekommen zu sein oder einen Doktortitel erworben zu haben. Bei Opfer-Narrationen hingegen erzählen Betroffene, so Stoffels, dass ihnen etwas Furchtbares widerfahren sei. Beispielsweise der Tod eines Familienmitglieds oder die Erkrankung einer nahestehenden Person. Derartige Lügen zu erkennen sei schwer, weil die Menschen, die an Pseudologia Phantastica erkrankt sind, oftmals suggestiv begabt sind. Psychiater Stoffels erklärt: Sie „können ihre erfundene Identität so glaubwürdig verkaufen, dass ihr ganzes Umfeld ihnen glaubt“.

Wie geht man mit Menschen um, die krankhaft Lügen?

Wie aber mit einer Person umgehen, wenn man vermutet, dass sie einen krankhaften Zwang zum Lügen hat? Stoffels rät dazu, die Betroffenen zu konfrontieren. Jedoch nicht aus einer Emotion heraus, etwa wütend, sondern in Form einer „gut gemeinten Frage“. Die könnte laut dem Experten so aussehen: „Mir ist aufgefallen, dass dies oder jenes nicht stimmt, weshalb erzählst du mir nicht die Wahrheit?“

Man müsse die Betroffenen sozusagen motivieren, professionelle Hilfe zu suchen. „Von den vielen Betroffenen, die mich kontaktiert haben, hat sich kaum jemand aus Eigeninitiative gemeldet, sondern weil ihre Partner oder andere nahestehende Personen das gefordert haben.“ Wie bei anderen psychischen Erkrankungen auch hilft dem Experten zufolge gegen Pseudologia Phantastica eine fachkompetente Therapie. 

Der Anspruch sollte allerdings nicht sein, „diese Störung durch eine Therapie vollständig heilen zu können“, so Stoffels. Er sagt, eine Option sei, einen „anderen Umgang mit diesen kreativen Neigungen zu finden“.

Hinweis: Wer sich psychisch belastet fühlt, kann etwa bei der Telefonseelsorge Hilfe finden: Unter der Telefonnummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Alternativ gibt es das Chat-Angebot unter: online.telefonseelsorge.de 

Der Artikel erschien erstmals im April 2023.

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