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Das soll die „Wahrheit über vegane Ersatzprodukte“ sein?

TikTok-Creatorin verrennt sich mit Clip zur „Wahrheit über vegane Ersatzprodukte“
Fotos: Unsplash - Food Photographer (li.) / Screenshot TikTok @Bambis FoodLab (re.)

Auf TikTok und Instagram tummeln sich etliche Gesundheit- und Ernährungsgurus. Sie pachten „die Wahrheit“ für sich. Regelmäßig im Kreuzfeuer stehen dabei pflanzliche Ersatzprodukte – etwa, wenn ein Inhaltsstoff sowohl in Tapetenkleister als auch veganem Hack vorkommt. Eine Einordnung.

„Die Wahrheit über vegane Ersatzprodukte“ will die Content-Creatorin Bambis FoodLab auf TikTok gefunden haben. Ihr Video dazu wurde rund 1,6 Millionen Mal aufgerufen und fast 70.000 Mal geliked. Darin holt Bambis FoodLab zum Rundumschlag gegen Fleischalternativen aus. Sie sagt: „Vegane Produkte sind keine echten Lebensmittel“ – die Industrie wolle uns reine „Chemie“ auftischen. Schließlich kommt veganes Hack nicht in der Natur vor.

Die Content-Creatorin knöpft sich die Zutatenliste einiger Produkte vor und spricht wichtige Punkte an – allerdings arbeitet sie nicht sauber, vermengt Meinung mit Fakten. Und befeuert dadurch die ohnehin schon aufgeheizte Debatte um vegane Ernährung, die regelmäßig Fleisch- sowie Allesesser:innen vor den Kopf stößt. Denn eine rein pflanzliche Ernährung schont Ressourcen, die Umwelt, beugt Tierleid vor und unterstützt die Gesundheit.

Letzteren Effekt hebt auch Bambis FoodLab am Ende ihres Wut-Videos hervor. Aber vegane Ersatzprodukte, vor allem Fleischalternativen, gehen laut ihr gar nicht. Die Content-Creatorin will wachrütteln. Doch das Problem, das solche kurzen social-media-wirksamen Clips haben: Sie verzerren Tatsachen, blenden Feinheiten aus oder vereinfachen Zusammenhänge, auf die es ankommt.

Dabei dürfte man von einer Person, die sich auf Instagram „Ernährungsberaterin“ nennt, eine ausgewogene Aufarbeitung der Thematik erwarten.

Klingt so pauschal falsch, oder? Ist es auch!

Ein Beispiel: In ihrem TikTok-Video prangert Bambis FoodLab den Zusatzstoff Methylcellulose an. Dabei handelt es sich um ein Verdickungsmittel, das Fleischersatzprodukten ihre spezifische Konsistenz verleiht. Derselbe Inhaltsstoff findet sich auch in Tapetenkleister. Bambis FoodLab schlussfolgert daher: Methylcellulose habe nichts im menschlichen Körper zu suchen! Die TikTokerin verweist auf einen Artikel, dessen Quelle unbekannt ist, in dem es heißt, Produkte mit Methylcellulose können chronische Entzündungen der Darmschleimhaut hervorrufen.

„Ich würde sagen: Sie sorgen dafür“, erklärt Bambis FoodLab selbstbewusst. Und vergisst dabei offenbar, dass zwischen „können“ und „sein“ – vor allem in der Wissenschaft – Welten liegen. Zum Vergleich: An Pommes kann man ersticken. Oder: An Pommes erstickt man. Klingt so pauschal falsch, oder? Ist es auch.

Methylcellulose in Tapetenkleister und veganem Hack: wieso?

Was aber hat es nun mit Methylcellulose auf sich? Wie kann es sein, dass ein Zusatzstoff in Tapetenkleister und Nahrung gleichzeitig vorkommt? Und wie schädlich ist er?

Methylcellulose (E 461) ist chemisch betrachtet eine Modifikation von Cellulose, die in pflanzlichen Zellwänden vorkommt. Die Grundlage für Methylcellulose sind Nebenprodukte, die bei der Baumwollverarbeitung anfallen. E 461 macht Produkte gelartig, sämig, voluminöser oder stichfester. Auch als Überzugsmittel – etwa bei Medikamenten – dient der kennzeichnungspflichtige Zusatzstoff.

In Tapetenkleister wiederum fungiert Methylcellulose als Bindemittel. Denn Klebstoff ist nicht gleich Klebstoff und damit nicht gleichermaßen gefährlich. Auch wenn die Assoziation nahe liegt. Im Gegensatz zu Sekundenkleber etwa besteht Kleister hauptsächlich aus gequollener Stärke oder modifizierter Cellulose (Celluloseether). „Einfacher Kleister aus Methylzellulose ist preiswert und frei von problematischen Zusatzstoffen“, bilanziert die Verbraucherzentrale.

Der menschliche Körper kann Methylcellulose nicht verwerten. Sie wird wieder ausgeschieden – wie manche Ballaststoffe auch. Es gibt bislang keine gesicherten Daten, dass E 461 der Gesundheit schadet. Allerdings kann der Inhaltsstoff abführend, manchmal auch verstopfend, wirken. Der Verzehr größerer Menge ist daher nicht ratsam, zumal es keinen gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwert gibt.

Hier macht Bambis FoodLab einen berechtigten Punkt

Grundsätzlich ist E 461 – und hier macht Bambis FoodLab einen berechtigten Punkt – ein Indikator dafür, dass es sich bei dem Produkt um ein hochverarbeitetes handelt. Nur findet sich Methylcellulose eben auch in konventionellem Eis, Saucen oder Gebäck. Sprich: nicht-veganen Lebensmitteln. Studien, wie sie in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen sind, legen nahe, dass der Konsum hochverarbeiteter Nahrung wie etwa Chips, Fleischwurst oder Softdrinks mit einem höheren Krebsrisiko verbunden ist.

In einer kürzlich veröffentlichten Kohortenstudie in „The Lancet Regional Health“ schnitten vegane hochverarbeitete Produkte sogar besser ab als ihr konventionelles Pendant. Demnach konnte bei pflanzlichen Alternativen im Gegensatz zu tierischen Produkten kein Zusammenhang zwischen dem Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel und einem Multimorbiditätsrisiko festgestellt werden. Unter Multimorbidität sind Erkrankungen zu verstehen, die zeitgleich auftreten. In der Studie ist von Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Stoffwechselproblemen die Rede. Mehr dazu:

Sich damit auseinanderzusetzen ist mühsam. Das Abwägen und ins Detail gehen. Aber die Realität ist nun mal komplexer als manche Menschen, die auf TikTok und Co. „die Wahrheit“ für sich reklamieren, zugeben wollen. Auch, weil „Natürlichkeit“ nicht das alleinige Kriterium dafür ist, ob ein Lebensmittel gesund ist oder nicht – oder nichts von beidem.

„Natürlichkeit“ als Indikator für gesunde Lebensmittel?

Unverarbeitetes rotes Fleisch etwa, das viele Menschen als „natürlich“ deklarieren würden – schließlich kommt es direkt vom Tier – wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Die zuständigen Forschenden ermittelten einen Anstieg des Darmkrebsrisikos um 17 Prozent bei 100 Gramm Konsum täglich. Die Dosis macht wie so oft das Gift. Aber auch das blendet Bambis FoodLab, die eine „evolutionäre“ Ernährungsweise hervorhebt, aus.

Stattdessen schreibt sie hochverarbeitete Lebensmittel – im Fachjargon UPF (ultra-processed foods) genannt – dem „veganen Trend“ zu. Und das, obwohl Softdrinks, Würstchen und Instant-Produkte, die ebenfalls eine lange „künstliche“ Zutatenliste haben, schon seit Jahrzehnten verzehrt werden.

Als Verbraucher:in tut man prinzipiell gut daran, genau auf die Inhaltsstoffe von Produkten zu schauen und die Industrie dahinter kritisch zu hinterfragen. Gleiches gilt aber auch für Inhalte, die einem angebliche Gesundheits- und Ernährungsexpert:innen auf Social Media auftischen.

Quellen: Instagram, TikTok, Verbraucherzentrale, WHO, Deutsches Ärzteblatt, The LancetThe Lancet Regional Health, BVL (Regelungen für die Verwendung von Zusatzstoffen), EU-Verordnung

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