Die „Blue Economy“ von Gunter Pauli ist eine Wirtschaft, die sich an der Natur orientiert. Wir erklären dir anhand von zehn Prinzipien, was die „Blue Economy“ ausmacht.
1992 war Gunter Pauli der CEO des Unternehmens „Ecover“ und errichtete die ersten Seifenfabrik, die komplett ohne CO2-Emissionen auskam. In der Fabrik wurde unter anderem Palmöl verwendet – für das, wie Pauli wenig später erfuhr, Regenwald abgeholzt wurde. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass „grün“ nicht gleich „nachhaltig“ bedeutet. Oder anders gesagt: Es reicht nicht, an der einen oder anderen Stelle Emissionen einzusparen. Wirtschaft muss grundsätzlich neu gedacht werden.
Zwei Jahre später entstand „ZERI“, das „Zero Emission Research and Initiative“-Netzwerk, in dem weltweit Unternehmen und Wissenschaftler vernetzt sind. 2004 schließlich führte Pauli den Begriff „Blue Economy“ ein. Blau wie unser Planet, an dessen regionalen Ökosystemen sich eine nachhaltige Wirtschaft orientieren soll. Inzwischen werden Paulis Prinzipien weltweit vor allem in Entwicklungsländern in über 200 Projekten angewandt. Laut Pauli wurden dadurch bis 2016 etwa drei Millionen Jobs geschaffen.
Vorbild Natur: Die zehn Prinzipien der „Blue Economy“
Die Natur ist das Vorbild der „Blue Economy“. Indem Pauli analysierte, wie sie funktioniert, kam er zu den Prinzipien einer nachhaltigen Wirtschaft. Hier sind seine Leitlinien in zehn Punkte unterteilt – man kann sie natürlich auch weiter aufspalten oder zu wenigen großen Konzepten zusammenfassen. Stelle dir vor, dass alle Punkte nur zusammen als ganzheitliches Konzept sinnvoll sind. Genau wie ein Ökosystem, an dem sich die „Blue Economy“ orientiert.
1. Die Natur funktioniert in regionalen Kreisläufen
Konventionelle Unternehmen schauen üblicherweise nach vorne: Wie lässt sich noch mehr erwirtschaften? Die Abfallprodukte, die auf diesem Weg anfallen, sind meist nur ein lästiges Übel. In der Natur ist das anders. Dort dient jedes Abfallprodukt einer Entwicklung als Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung. Die Natur funktioniert in Kreisläufen und vor allem auf regionaler Ebene. Daran angelehnt ist das Konzept der „Circular Economy„, der Kreislaufwirtschaft.
In der „Blue Economy“ ist die regionale Kreislaufwirtschaft eines der zentralsten Konzepte. Ein Beispiel aus Simbabwe verdeutlicht das Prinzip: In dem Projekt züchten Frauen auf Pflanzenabfällen oder Kaffeesatz Pilze. Anschließend werden die Abfälle als Kompost verwendet und erzeugen so gleich zweimal neues Leben.
2. In der Natur gibt es keinen Mangel
In einem Interview im „Factory-Magazin“ über sein Konzept der „Blue Economy“ stellt Pauli fest: „Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf dem Planeten mit einem Konzept von Mangel. Für die anderen Lebewesen war es immer ausreichend oder gar zu viel. Und wenn es nicht reichte, passte man sich eben an.“
Tiere nehmen sich, was die Natur ihnen zur Verfügung stellt – wenn es nicht mehr genug Nahrung gibt, ziehen sie weiter, stellen ihre Ernährung um oder ihre Population schrumpft. Die Menschen dagegen roden Wälder, um noch mehr Felder anzulegen und verwenden (künstlichen) Dünger, Pestizide und Gentechnik, um den ausgelaugten Böden Nahrung abzuringen. So hat die Umwelt keine Möglichkeit, sich zu regenerieren und die Produktion gerät irgendwann an ihre Grenzen.
3. Die Natur passt sich lokalen Gegebenheiten an
An jedem Ort herrscht ein bestimmtes Klima, die Böden enthalten unterschiedliche Nährstoffe und die Landschaften sind mal zerklüftete Berge, mal weite Ebenen. Die Natur passt sich an diese Gegebenheiten an – der Mensch aber nicht unbedingt. Mithilfe von künstlicher Bewässerung, Düngemitteln und Gewächshäusern baut er beispielsweise Obst- und Gemüsesorten an Orten an, wo sie von alleine nie wachsen würden. Gut für das Klima und die Umwelt ist das meistens nicht.
Die „Blue Economy“ dagegen setzt auf Unternehmen, die an die örtlichen Gegebenheiten angepasst sind. Dazu gehören im Konzept von Gunter Pauli übrigens auch lokale soziale Strukturen und kulturelle Traditionen der ansässigen Bevölkerung. Genauso gehört dazu, die lokal verfügbaren Energiequellen zu nutzen: Pauli setzt auf Solarenergie und die Schwerkraft (die zum Beispiel in Wasserkraftwerken genutzt wird) als die wichtigsten natürlichen Energiequellen.
4. Die Natur gehört allen
Im Konzept der „Blue Economy“ ist die Natur ein Gut, das jedem Lebewesen gleichermaßen zur Verfügung steht. Unternehmen wie Monsanto, die sich Saatgut patentieren lassen, passen dazu ebenso wenig wie Industrienationen oder Konzerne, die in Entwicklungsländern „Land Grabbing“ betreiben.
5. Alles in der Natur ist verbunden
Die „Blue Economy“ will sich natürliche Symbiosen zum Vorbild nehmen. Damit beschreibt man in der Biologie eine Beziehung zwischen zwei verschiedenen Organismen, die für beide von Vorteil ist. Beispielsweise ernähren sich Bienen vom Nektar verschiedener Pflanzen und sorgen umgekehrt dafür, dass letztere sich fortpflanzen können. Je nachdem, welche Pflanzen an einem Ort wachsen, gibt es bestimmte Insekten – und umgekehrt. So hat in einem Ökosystem jedes Lebewesen seinen Sinn.
Eine Landwirtschaftsform, die sich Symbiosen zunutze macht, ist die Permakultur. Dort wachsen verschiedenste Pflanzen so nebeneinander und nacheinander, dass sie am besten voneinander profitieren können.
6. In der Natur ist alles biologisch abbaubar
Jeder natürliche Stoff wird nach einer bestimmten Zeit abgebaut, auch wenn es manchmal sehr lange dauern kann. Aber Achtung: Das bedeutet nicht, dass jedes biologisch abbaubare Material gut für Umwelt und Klima ist. Beispielsweise hat eine Untersuchung des Österreichischen Ökologie Instituts ergeben, dass die Ökobilanz von Mehrwegbechern besser ist als die von einigen biologisch abbaubaren Einwegbechern. Dieses Prinzip kann also nur als Teil des gesamten Konzepts der „Blue Economy“ verstanden werden.
7. Die Natur ist effizient
Die „Blue Economy“ ist nicht einfach ein Nachhaltigkeitskonzept, sondern auch ein Wirtschaftskonzept. Das heißt, Prozesse sollen sich rechnen. Deshalb müssen sie effizient sein. Laut Pauli ist auch hier die Natur ein Vorbild. Das ist verständlich, denn da in der Natur nichts verschwendet wird und aus allem der maximale Nutzen gezogen wird, kann man sie durchaus als effizient bezeichnen.
Die Pilzzucht in Simbabwe ist ein gutes Beispiel für effizientes Wirtschaften: Ohne viele Kosten aufzuwenden, produzieren die Menschen Pilze, die sie gut verkaufen können. Und den Untergrund, auf dem die Pilze wachsen, können sie anschließend weiterverwerten.
8. Die Natur ist ständig im Wandel
Da sich Lebewesen fortlaufend an ihre Umgebung anpassen, ist die Natur ständig im Wandel. Gunter Pauli drückt es so aus: „Innovations take place in every moment“. Wenn beispielsweise an einem Ort in einem Jahr ungewöhnlich viel Regen gefallen ist, passt sich die Natur daran an.
In einer „Blue Economy“ erfinden sich auch die Unternehmen beständig neu – je nachdem, was ihnen die Natur vor Ort zur Verfügung stellt. Wer flexibel ist, kann sich eher auf Veränderungen einstellen und auf Probleme reagieren.
9. Die Natur ist divers
In der unberührten Natur leben selbst an Orten, wo man es nicht erwartet, hunderte verschiedene Lebewesen – beispielsweise in Wüsten. Diese Artenvielfalt ist nicht nur schützenswert, sondern auch ein Vorbild für die „Blue Economy“ oder Landwirtschaftsformen wie die Permakultur. Denn wie in Punkt fünf gesagt wurde: Jedes Lebewesen in einem Ökosystem erfüllt eine besondere Aufgabe.
10. Von einem natürlichen Prozess profitieren viele
Wenn ein Baum stirbt, ist das ein natürlicher Vorgang, der nur auf den ersten Blick traurig erscheint: Verschiedene Tiere und Mikroorganismen verwerten das Holz und führen dem Boden so neue Nährstoffe zu. Gleichzeitig können umstehende Bäume möglicherweise besser gedeihen, weil sie nun mehr Platz haben und mehr Sonnenlicht, Wasser und Nährstoffe abbekommen. So kann ein einziges Ereignis einem ganzen Ökosystem zu Gute kommen.
In einer „Blue Economy“ soll es genauso sein. Die Pilze sind erneut ein gutes Beispiel: Die Pilzzüchterinnen können durch den Verkauf ihrer Pilze die Familie ernähren und gleichzeitig andere Menschen mit gesundem Essen versorgen.
„Blue Economy“ – ein Konzept für die Zukunft?
Laut dem „International Panel on Climate Change“ (IPCC) kann die Klimaerwärmung nur auf eineinhalb Grad begrenzt werden, wenn wir schnell und radikal handeln. Es reicht nicht, hier und da Emissionen einzusparen, sondern unser gesamtes Wirtschaftssystem und unser Lebensstil müssen sich verändern.
Genau das will die „Blue Economy“ im Gegensatz zur „Green Economy„. Bei der Green Economy soll Nachhaltigkeit durch technologische Innovationen erreicht werden, ohne dass das System grundsätzlich verändert wird. Leider gibt es bisher fast nur „Blue Economy“-Projekte in Entwicklungsländern.
Pauli versucht zwar, auch große Unternehmen in Industrienationen von seinem Konzept zu überzeugen, bisher jedoch ohne Erfolg. Aus seiner Sicht lassen viele Unternehmen vermissen, was die Natur ausmacht: Kreativität und beständiger Wandel.
Deshalb ist schwer zu beurteilen, ob eine weltweite „Blue Economy“ möglich und sinnvoll wäre. Die Vorstellung erscheint in der heutigen globalisierten Welt eher utopisch. Im Kleinen ist das Konzept jedoch anwendbar und kann viel Gutes bewirken – sicher ist das Potential noch nicht voll ausgeschöpft.
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