Essen oder Tampons: Was würdest du tun, wenn du vor dieser Wahl stehen würdest? Lieber hungern oder lieber bluten? Ein Dilemma, das bei uns in Deutschland zu viele Menschen trifft. Periodenarmut berührt ein Tabu-Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Seit Jahren kursiert eine Zahl in den Medien, wie viel die Periode eine menstruierende Person im Laufe ihres Lebens angeblich kosten soll: um die 20.000 Euro. Andere Schätzungen kommen auf um die 15.000 oder 7.000 Euro. Die Basis für diese Zahlen ist wacklig, aber die Tatsache bleibt: Die Monatsblutung verursacht Kosten – in Form von Tampons, Binden, Einlagen, Menstruationstassen, mitunter auch Schmerzmitteln und der ein oder anderen neuen Unterhose.
Für die meisten Betroffenen ist es keine große Sache, eine Packung Tampons für 3 oder 4 Euro in den Einkaufskorb zu legen. Aber es gibt Menschen in Deutschland, für die 3 oder 4 Euro einen Unterschied machen. Menschen, die von Grundsicherung oder Arbeitslosengeld 2 leben oder Menschen ohne festen Wohnsitz etwa. Vor allem letztere können sich Menstruationsprodukte oft kaum leisten.
Periodenarmut betrifft Millionen
„Für diese Menschen bedeutet das, die Entscheidung treffen zu müssen: Kann ich mir Essen kaufen, die Notunterkunft für die Nacht nutzen oder kaufe ich doch lieber Menstruationsprodukte?“, erklärt die Psychologin Gesa Luise Rittinghaus. Sie ist Mitgründerin des Vereins Periodensystem e.V., der sich gegen Periodenarmut einsetzt. Die Mission: „Periodenarmut beenden“.
Rittinghaus und ihre Mitstreiter:innen leisten Aufklärungsarbeit rund um das Thema Zyklus und Periode, verteilen vor allem aber ganz konkret Tampons, Binden und Inkontinenzeinlagen an Frauen-Notunterkünfte. Sie gehen von grob geschätzten 2.500 menstruierenden Obdach- und Wohnungslosen in allein in Berlin aus. Auch wenn die Erfassung extrem schwierig ist: Hochrechnungen reichen bis zu 100.000 Betroffenen in ganz Deutschland.
Weltweit betrifft Periodenarmut Millionen Menschen – mit weitreichenden Folgen. Weil sie keinen Zugang zu vernünftigen Hygieneprodukten oder sauberem Wasser haben sind etwa Millionen Mädchen regelmäßig gezwungen in der Schule zu fehlen und haben so letztendlich weniger Bildungschancen. Dazu kommen gesundheitliche Folgen für Menstruierende, die keine hygienischen Periodenprodukte benutzen können.
Die Periode als Gesundheitsrisiko
Vor allem letzteres Problem betrifft auch Menschen hierzulande, die keinen Zugang zu Periodenprodukten haben. Dass sie schlicht kein Geld haben für Tampons oder Binden, ist dabei der Hauptfaktor. Die gesellschaftliche Tabuisierung des Themas Menstruation kommt erschwerend hinzu – und führt nicht nur bei Obdachlosen, sondern auch bei Schüler:innen und Personen mit geringem Einkommen dazu, dass sie ohne die richtigen Produkte auskommen müssen.
„Es gibt Menschen, die sich während der Periode mit Taschentüchern, Lappen, Handtüchern oder sogar Socken behelfen“, sagt Rittinghaus. „Oder sie lassen Tampons viel zu lange im Körper.“ Das allein ist schon ungesund; dazu kommt noch, dass auch Händewaschen für Obdachlose nicht immer möglich ist (deshalb sind Menstruationstassen auch weniger geeignet als Binden). So wird die Periode für manche Betroffene zum Gesundheitsrisiko. Rittinghaus erzählt von Menstruierenden mit Infektionen und Toxischem Schocksyndrom.
Dabei ist Periodenarmut ein Problem, das weitgehend im Verborgenen stattfindet. Denn zum einen haben die Personen, die damit am ehesten Schwierigkeiten haben, keine starke Lobby – etwa Wohnungs- und Obdachlose, Arme und Schüler:innen. Zum anderen spricht man über Menstruation auch im Jahr 2021 noch kaum öffentlich, ist das Thema noch immer behaftet mit Ekel, Scham oder einfach Desinteresse.
Als Schottland 2020 ankündigte, kostenlose Periodenprodukte in öffentlichen Einrichtungen anzubieten, äußerten sich nicht wenige Cis-Männer online entrüstet: Wo bleiben die kostenlosen Rasierer für Männer? Das zeigt ein grundsätzliches Wahrnehmungsproblem: Hygieneprodukte sind für Menstruierende eine (oft zeitkritische) Notwendigkeit wie Lebensmittel, Wasser und Klopapier. Rasierer sind das nicht.
„Tampons sollten so normal sein wie Klopapier“
Der Verein Periodensystem setzt sich deshalb neben der Versorgung von Bedürftigen mit Periodenprodukten auch für Aufklärung, Normalisierung und Ent-Tabuisierung des Themas Periode ein, gibt Workshops an Schulen und bietet Infos online. Denn nur beides zusammen – Ent-Tabuisierung und Zugang zu kostenlosen oder kostengünstigen Menstruationsprodukten – kann Periodenarmut irgendwann beenden. Wie letzteres geht machen neben Schottland auch Neuseeland und Frankreich vor: mit kostenlosen Periodenprodukten auf öffentlichen Toiletten, in Schulen oder Universitäten.
Auch Gesa Luise Rittinghaus wünscht sich kostenfreie Tampons und Binden in Schulen. Und nicht nur dort. Sie findet:
„Auf jeder Toilette sollten ganz selbstverständlich Tampons und Binden liegen. Man erwartet von Gästen ja auch nicht, dass sie ihr eigenes Toilettenpapier mitbringen. Tampons sollten so normal sein wie Klopapier.“
Petition gegen Periodenarmut
Periodensystem ist nicht die einzige Organisation, die öffentlich gegen Periodenarmut kämpft: Das Unternehmen erdbeerwoche informiert über das Thema und kooperiert immer wieder mit Schulen und Unis, um diese mit nachhaltigen Periodenprodukten auszustatten. Die Hilfsorganisation Social Period aus Berlin versorgt Bedürftige mit Periodenprodukten – mithilfe von Spendenboxen in Drogerie- und Supermärkten in Berlin.
Social Period hat sogar eine Petition gestartet – für freien Zugang zu Menstruationsprodukten in öffentlichen Einrichtungen. Der Appell: „Wir fordern von der Bundesfrauenministerin Franziska Giffey, dass Menstruationsprodukte in allen öffentlichen Einrichtungen in Deutschland frei zur Verfügung gestellt werden!“
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