Ökostrom ist gut. Aber Grünstrom ist nicht gleich Grünstrom. Zunehmend verwischen sich die Grenzen zwischen Ökostrom, Grünstrom und Graustrom – und wir sollten genauer hinschauen.
Die Zahl der Haushalte mit Ökostrom-Tarif ist mit 10 Millionen Haushalten und Gewerbetreibenden (!) bereits auf Rekordniveau. Doch der Konflikt um den vom Braunkohleabbau bedrohten Hambacher Forst half dem Trend erst recht auf die Sprünge – etliche Anbieter melden nun doppelt so viele Neukunden wie üblich.
Angesichts von derzeit etwa 8.000 verschiedenen Naturstrom-Angeboten in Deutschland darf man allerdings fragen, was diese Ökostrom-Tarife eigentlich taugen. Und die Frage nach dem Ökostrom-Anbieter stellt man am besten gleich mit.
Was du über Ökostrom wissen solltest (aber keiner laut sagen mag)
Der Sommer war groß, mit Sonnenschein und Dauerhitze, Windflaute und Niedrigwasser in den Flüssen: Trotzdem stieg der Anteil der Erneuerbaren Energien an der gesamten Stromproduktion auf jetzt 36 Prozent und überflügelte erstmals auch Braun- und Steinkohle.
Die guten Nachrichten und die Kohle-CO2-Diskussion sowieso haben viele Umweltbewusste überzeugt, ebenfalls Öko-Energie für den privaten Gebrauch zu wählen. Ist ja ganz einfach – auf eines der Vergleichsportale gehen (oder diesen Ökostromanbieter-Preisvergleich), den billigsten Öko-Tarif wählen, dreimal klicken, fertig.
Denn: Grünstrom ist ja Grünstrom, oder?
Wenn’s mal so einfach wäre. Denn sicher ist nur, dass die georderte Energie irgendwo in Europa auf ökologische Weise erzeugt wurde. Wann und wo, wie und von wem ist offen – und wird dem Kunden im Regelfall auch nicht konkret belegt.
Für allen Grünstrom gilt ohnehin die Physik, und die bedingt, dass aus der heimischen Steckdose immer der Strom vom nächstgelegenen Erzeuger fließt. Wer vom Küchenfenster auf ein Kohlekraftwerk schaut, bekommt dessen Strom auch dann, wenn ein 100-Prozent-Ökotarif auf der Rechnung steht. Es sei denn, auf dem Hausdach arbeitet eine Photovoltaik-Anlage – dieser Weg ist natürlich kürzer.
Deshalb ist die Wahl eines Grünstromtarifes zuallererst bloß ein Statement, dass einem die Energiewende wichtig ist. Was nicht bedeutet, dass dieses Statement nicht wichtig wäre.
Graustrom aus dem Doppelvermarktungsverbot
Viele Kunden in Deutschland würden ihren Ökostrom gern aus einer bekannten Quelle beziehen – sei es vom Windpark am Ortsrand oder dem Solardach ihrer früheren Schule.
Das ist momentan so gut wie ausgeschlossen. Und das wiederum liegt am „Doppelvermarktungsverbot“ des Gesetzgebers von 2014: Erzeugter Strom aus regenerativer Quelle wird dem Anlagenbetreiber meist über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vergütet. Deshalb darf er nicht noch einmal mit Öko-Aufschlag verkauft werden.
Die so ins Netz gespeiste Energie behandelt man daher als anonymen Graustrom und verkauft sie an der Leipziger Strombörse zum jeweils aktuellen Tarif. Weil dieser die Kosten nicht deckt, müssen Stromkunden die Differenz mit der EEG-Umlage in ihrer Jahresrechnung tragen. Gerade ist sie leicht abgesenkt worden und beträgt für 2019 noch 6,51 Cent pro verbrauchter Kilowattstunde.
Woher kommt dann mein bestellter Grünstrom?
Unsere deutschen Stromversorger kaufen deshalb in der Regel Ökostrom mit Herkunftsnachweis (HKN), den sie den Kunden liefern und berechnen – und zwar im europäischen Ausland. Dieser kommt zumeist aus Skandinavien (68 %), Österreich (15 %) und der Schweiz (9 %). Sie können aber auch nur den Herkunftsnachweis kaufen und damit ihren Fossil- oder Atomstrom zum „Grünstrom“ umdeklarieren und aufwerten.
Dieses legale Verfahren halten viele für Kundentäuschung. Ralph Kampwirth vom Hamburger Ökostrom-Versorger Lichtblick nennt das Beispiel der RWE-Tochter „Innogy“ – diese weist in ihrem 2017-Strommix einen Anteil von 45 Prozent als „Erneuerbare Energien, finanziert aus der EEG-Umlage“ aus. Dies sei aber nur die Menge, die ihr im „Innogy“-Verbreitungsgebiet rechnerisch zugewiesen sei. Tatsächlich beschaffe das Unternehmen für seine Kunden lediglich 3 Prozent Grünstrom mit HKN: „Das ist der eigentliche Skandal.“
Der (zum Beispiel) in Norwegen sauber aus Wasserkraft erzeugte Strom verliert dort darüber seine „Grün“-Eigenschaft. Deswegen schläft in Skandinavien niemand schlechter: Durch den HKN-Verkauf wird die heimische Emissionslage nicht getrübt, es entstehen Zusatzeinnahmen. Im besten Fall werden sie auch in neue Wasserkraftwerke investiert.
Gibt es „guten“ und „zweifelhaften“ Ökostrom?
Auf den Webseiten der gut 1.000 Anbieter von Naturstrom-Tarifen herrscht bildlich kein Zweifel: Große Windräder, sprühende Wasserturbinen und Photovoltaik-Parks im strahlendsten Sonnenschein sollen Zeugnis ablegen, dass hier alles zum Besten bestellt sei.
Das kann täuschen. Denn der Gesetzgeber verlangt lediglich, dass für die bereit gestellte Ökostrom-Menge ein Herkunftsnachweis existiert.
Besser beraten ist der Kunde mit zertifizierten Naturstrom-Tarifen. Von diesen „Ökostrom-Siegeln“ gibt es einige, die in ihrer Ausrichtung allerdings Unterschiede zeigen: So fordert das Label „Grüner Strom“, hinter dem Eurosolar, BUND und NABU stehen, dass von jeder verkauften Kilowattstunde zwischen 0,1 und 0,5 Cent für den Ausbau Erneuerbarer Energien verwendet werden. Unternehmen, die an Atomkraftwerken beteiligt sind, erhalten das Siegel nicht.
Kann ich verlässlichen Ökostrom aus der Region bekommen?
Das ist möglich – wenn die Erzeugungsanlagen nicht über das EEG vergütet werden. Meist handelt es sich hier um alte Wasserkraftwerke, die durchaus ökologisch modernisiert sein können. Ganz neue Windparks oder Flächen-Solaranlagen produzieren ihren Strom inzwischen so günstig, dass ihre Betreiber auf die für 20 Jahre garantierte EEG-Alimentierung verzichten und stattdessen auch die Direktvermarktung bevorzugen.
Ein Beispiel hierfür sind die noch jungen Heidelberger „Bürgerwerke“. Sie kaufen den Öko-„Bürgerstrom“ aus Wind- und Solaranlagen von lokalen Energie-Genossenschaften, die der Heidelberger Genossenschaft ihrerseits als Mitglied angehören.
„Wir wollen Strom ein Gesicht geben“, sagt ihr Vorstand Torsten Schwarz. Gemixt mit Strom aus dem bayerischen Wasserkraftwerk Töging kommt sogar ein konkurrenzfähiger Naturenergie-Tarif heraus. Für den weiteren Ausbau der Erzeugungskapazitäten sorgen die lokalen Genossen selbst.
Auch Anbieter wie „Lichtblick“ oder „Naturstrom“ kaufen Wasserkraft-Strom in Deutschland ein und investieren die Gewinne in neue Anlagen bzw. Innovationsprojekte wie Batterielösungen oder Mieterstrom-Modelle.
Ökostrom von Erzeuger-Marktplätzen
Ganz neu (und wohl auch ein Teil der Zukunft) ist übrigens die Möglichkeit, seinen Strom direkt beim Öko-Erzeuger abzurufen. Lichtblick hat dazu die Handelsplattform „Enyway“ ausgegründet. Sie macht es möglich, den Haushaltsbedarf zum Beispiel so beim Eigner einer Wassermühle zu kaufen wie Gemüse beim Bio-Bauern.
Mit „Tal.Markt“ läuft seit März 2018 eine ähnliche Blockchain-Plattform der Wuppertaler Stadtwerke, auch die Schwarzwälder „Stromrebellen“ aus Schönau starten 2019 ein solches Pilotprojekt, bei dem Ortsnachbarn sich gegenseitig ihren Ökostrom zugänglich machen.
Richtig Schwung in die Sache wird vermutlich ab 2021 kommen, wenn die älteste Generation von Wind- und Solarkraftwerken keine Förderung aus dem EEG mehr erhält. Weil diese Kraftwerke durchaus noch fünf bis zehn Jahre weiterproduzieren können, dürften viele ihrer Betreiber den Strom auf solchen digitalen Marktplätzen anbieten.
Ist Ökostrom denn nun sinnvoll oder nicht?
Er ist es. Doch für Klimaschützer stellt sich nicht die Frage, ob man Ökostrom für den eigenen Haushalt nutzt. Die Frage ist eher: Welcher Ökostromanbieter soll es sein?
Die Minimalanforderung müsste sein, dass der gewählte Tarif eines der bekannten Öko-Siegel trägt (die Utopia-Bestenliste Ökostrom weist die wichtigsten Ökostrom-Label aus). Und dann sollte man sich den Anbieter genau anschauen: Hat er fünfmal so viele Graustrom- wie Naturstrom-Produkte im Angebot? Ist er, die Konzernmutter oder ein maßgeblicher Gesellschafter noch in CO2-trächtiger Braun- oder Steinkohleverstromung involviert? Ein No-go, findet Ralph Kampwirth von Lichtblick: „Vegetarier kaufen ja auch nicht beim Metzger, der ein paar Möhren in der Auslage hat …“
Ob der Wasserstrom aus Norwegen oder vom Neckar kommt, ist zum Beispiel für das Freiburger Öko-Institut eher zweitrangig – das Klima entlastet er da und dort. Aber: Es gibt noch keine Gleichstrom-Leitung, die Energie verlustfrei vom Fjord nach Frankfurt transportieren könnte.
Und noch ein Argument gewinnt an Bedeutung: Wenn andere Länder Engagement beim Umsetzen des Pariser Klimavertrages zeigen sollen, werden sie ihrerseits auch darauf schauen, wie ausbaufreudig sich Deutschland verhält. Bundes- und Länderregierungen haben hier seit einigen Jahren mächtig gebremst.
Kohlekraftwerke macht man aber nicht dadurch überflüssig, indem man Herkunftsnachweise aus Skandinavien kauft, sondern hier in den Ausbau investiert und die „Treiber der Energiewende“ unterstützt.
Übrigens gilt: Energiesparen ist – egal in welchem Tarif – das wirksamste Mittel. Keine Kilowattstunde entlastet das Klima so direkt und nachhaltig wie die dauerhaft eingesparte.
Auf der Suche nach dem passenden Ökostromtarif? Stromvergleich Ökostrom: der Ökostrom-Vergleich von Utopia
Weiterlesen auf Utopia.de:
- Ökostrom: Einfacher Umstieg in fünf Schritten
- Ökostrom: Die besten Anbieter
- Wie gut ist Ökostrom von den Stadtwerken?
- Ökostrom: Die besten Siegel und Label
War dieser Artikel interessant?
- „Eigentlich ist alles dringend“: Wo wir bei der Energiewende stehen
- Ökostrom+: Das Kooperationsprojekt für nachhaltige Energien
- Kühlschrank abtauen: So geht es schnell und sicher
- Energy Harvesting – Die Zukunft braucht keine Akkus
- Stromverbrauch: die Verschwender sitzen im Westen
- Strompreis steigt: Liegt es an Ökostrom und Energiewende?
- Ökostrom-Label: die wichtigsten Siegel im Vergleich
- Fordert der Klimawandel bald Tausende Hitzetote in Deutschland?
- Veganer Strom: So wird er erzeugt