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Prinzip Schwammstadt: „Regenwasser hilft den Städten, sich an den Klimawandel anpassen“

Interview zur Schwammstadt: Stadtgrün kann Hitze und Überflutungen entgegenwirken
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash.com – Mitchell Bryson

Zwischen Asphalt und Beton spürt man die Folgen der Klimakrise schon heute besonders deutlich: Regen kann kaum abfließen, Hitze staut sich. Wie das Konzept der Schwammstadt deutschen Städten helfen könnte, erklärt eine Expertin der Berliner Regenwasseragentur im Interview.

Die Klimakrise macht nicht nur Hitzewellen, sondern auch Starkregen wahrscheinlicher – und damit paradoxerweise Dürren und Überflutungen. Die meisten deutschen Städte sind auf solche Extreme heute nicht ausgelegt oder verstärken die Folgen sogar. Denn versiegelte Flächen können kaum Regenwasser aufnehmen und wo es kein Grün gibt, gibt es auch kaum kühlende Verdunstung.

Wie man Städte so gestalten könnte, dass sie Regenwasser aufnehmen, speichern und wieder abgeben könnten, zeigt das Konzept der Schwammstadt. Als eine der ersten deutschen Großstädte hat Berlin sich bereits auf den Weg gemacht, Schwammstadt zu werden. Die eigens gegründete Berliner Regenwasseragentur unterstützt dabei: Die gemeinsame Initiative der Berliner Wasserbetriebe und des Landes Berlin berät, kommuniziert, moderiert und informiert zum Thema. Utopia hat mit Hanna Meyer, Geografin und Mitarbeiterin der Regenwasseragentur, gesprochen.

Utopia: Zurzeit ist viel die Rede davon, dass Städte sich besser an die Folgen der Klimakrise anpassen müssen. Welche Folgen machen den Städten besonders zu schaffen?

Hanna Meyer: Zunächst sind das die extremen Temperaturen. Wir haben in der Stadt sowieso schon Hitzeinseln und nun auch noch steigende Temperaturen. Wenn es in der Nacht nicht mehr richtig abkühlt, weil die Stadt noch aufgeheizt ist, leiden gerade vulnerable Bevölkerungsgruppen deutlich darunter.

Städte müssen mit zwei zunächst gegensätzlich erscheinenden Herausforderungen umgehen: Hitze und langen Trockenphasen einerseits und Starkregenereignissen mit Überflutungen andererseits. Die Trockenphasen sind eine Herausforderung für die Versorgung des Stadtgrüns – was ja essentiell ist, um die Stadt lebenswert zu erhalten. Die innerstädtischen Überflutungen können unmittelbar Leib und Leben gefährden, aber auch die kritische Infrastruktur und die Gewässer.

„Unsere Kanalisation ist nur auf bestimmte Regenmengen ausgelegt“

Woran liegt es, dass nicht nur Hitze, sondern immer stärker auch Regen gerade in den Städten zum Problem wird?

Wir haben in der Stadt einen ganz stark veränderten Wasserhaushalt. Dadurch, dass die Städte so stark versiegelt sind, kann das Regenwasser nicht wie im natürlichen Zustand versickern, von der Vegetation aufgenommen werden und wieder verdunsten – gerade die Verdunstung hätte übrigens auch einen großen Kühlungseffekt.

Stattdessen bleibt das Wasser an der Oberfläche und wird dann schnell in die Kanalisation geleitet. Beim Bau von Städten hat man sehr lange das Ziel verfolgt, Wasser möglichst schnell aus der Stadt abzuleiten. Unsere Kanalisation ist aber nur auf bestimmte Regenmengen ausgelegt, nämlich auf Regenereignisse, die statistisch gesehen alle fünf Jahre auftreten. Es gibt aber immer mehr Starkregenereignisse und solche Wassermengen kann das Abwassersystem so schnell nicht fassen.

Wie wir in Berlin haben viele deutsche Städte eine Mischwasserkanalisation. Dort wird nicht nur das häusliche Abwasser eingeleitet, sondern auch das Regenwasser. Wenn es sehr viel regnet, kann dieses ungeklärte Abwasser überlaufen und in unsere Gewässer gelangen. Der Gewässerschutz ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine große Herausforderung und daher eine wichtige Zielgröße für den Umbau zur Schwammstadt.

Können Sie genauer erklären, warum das „Stadtgrün“ so wichtig ist?

Zunächst ist eine natürliche Bodenfunktion wichtig. So kann das Regenwasser in den Boden versickern und das Grundwasser wieder anreichern. Dies ist – vor allem in Berlin – auch ein wichtiger Faktor in Bezug auf die Trinkwasserversorgung.

Dachbegrünungen helfen, Regenwasser aufzufangen
Dachbegrünungen können helfen, Regenwasser aufzufangen. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash.com – CHUTTERSNAP)

Pflanzen wie beispielsweise Stadtbäume nehmen dann das Wasser aus dem Boden auf, verdunsten es und kühlen dabei die Umgebung. Natürlich spenden Bäume auch Schatten. Gesundes Stadtgrün kann also Hitze und Überflutungen entgegenwirken, auch indem es den natürlichen Wasserkreislauf stärkt. Deswegen müssen wir Regenwasser wieder stärker als Ressource ansehen und schauen, dass wir es nicht ausschließlich schnell ableiten, sondern vor Ort bewirtschaften.

„Regenwasser hilft den Städten, sich an den Klimawandel anpassen“

Was ist damit genau gemeint, Regenwasser vor Ort zu bewirtschaften?

Wir wollen es versickern, zwischenspeichern, verdunsten und wir wollen es nutzen. Wir müssen Städte viel stärker so planen und entwickeln, dass das Wasser, wenn es mal sehr stark regnet, auch irgendwo eine Zeit lang einfach schadlos stehen kann. Wir sollten Regenwasser als etwas begreifen, was den Städten hilft, sich an den Klimawandel anzupassen.

Die Regenwasserbewirtschaftung beginnt zum Beispiel auf Gebäude-Ebene mit Dachbegrünungen oder Fassadenbegrünungen. Man kann Regenwasser auch im Gebäude nutzen, zum Beispiel für die Toilettenspülung, zum Wäschewaschen oder zur Bewässerung. Auf dem Grundstück oder in öffentlichen Grünanlagen kann man Regenwasser versickern. Sogar auf den meisten Straßen gibt es Möglichkeiten, Regenwasser zu bewirtschaften, zum Beispiel über Versickerungsanlagen. Es gibt auch die Möglichkeit, künstliche Gewässer anzulegen, also Teiche oder dergleichen, die Regenwasser auffangen können. Letztlich geht es darum, das Regenwasser lokal wieder in den Wasserkreislauf einzubringen.

Sie würden also gerne eine Schwammstadt entstehen lassen? Diesen Begriff hört man derzeit häufig, wenn es um das Thema städtische Anpassung an die Klimakrise geht.

Genau, die Maßnahmen, die ich eben genannt habe, stecken auch hinter dem Begriff der Schwammstadt. Erweitern würde ich das noch um sogenannte Retentionsflächen. Damit sind Flächen gemeint, die Starkregen so auffangen, dass er keinen Schaden anrichtet, aber ohne riesige technische Anlagen zu bauen. Etwa, indem man ein Gelände etwas tiefer ausmuldet, damit das Wasser nicht in Keller, Tiefgaragen, U-Bahn-Eingänge etc. läuft. Oder einen Parkplatz so nutzt, dass mal kurzzeitig Regenwasser darauf parken kann. Hauptsache es gelangt nicht dorthin, wo es Schaden anrichtet.

Der Begriff Schwammstadt erklärt sehr gut, was damit gemeint ist: Ein Schwamm kann das Wasser erstmal aufnehmen. Es wird nicht gleich weitergeleitet, sondern in dem Schwamm gespeichert und dann nach und nach wieder abgegeben.

Berlin bereits auf dem Weg zur Schwammstadt

Was müssten wir denn tun, damit eine durchschnittliche deutsche Stadt zur Schwammstadt wird?

Wir in Berlin haben uns schon auf den Weg gemacht, Schwammstadt zu werden und bereits Erfahrungen gesammelt. Wir wissen inzwischen, dass die Regenwasserbewirtschaftung bei Neubauvorhaben und neuen Stadtquartieren frühzeitig mitgeplant werden muss. Bisher hat man sich erst irgendwann am Ende des Planungsprozesses ums Regenwasser gekümmert, da das ohnehin unterhalb der Oberfläche abgeleitet wurde.

Jetzt muss man wirklich von Anfang an bedenken, zum Beispiel: Wo planen wir Flächen für die Versickerungsanlagen? Welche Vorgaben können wir zum Beispiel schon in der Bebauungsplanung machen, sodass möglichst viel Regenwasser über Dachbegrünung zurückgehalten und verdunstet werden kann? Gibt es Bedarf, das Regenwasser auch innerhalb des Gebäudes zu nutzen? Wir müssen das Thema in die Planungsprozesse ganz zu Beginn mit einbringen. Eine der größten Herausforderungen ist es, dass die Flächenressourcen in der Stadt endlich sind und es sehr viele Nutzungsansprüche auf diese Flächen gibt.

Und was ist mit den Millionen Bestandsgebäuden?

Hier muss man viel stärker prüfen, was jeweils möglich und umsetzbar ist. Es gibt Maßnahmen, die sich auch im Bestand vergleichsweise leicht umsetzen lassen, doch für manche Situationen findet man einfach keine guten Lösungen, ohne grundlegend was zu ändern.

Man kann aber zum Beispiel immer gucken: Kann man im Hinterhof eine Betonfläche wieder entsiegeln? Muss eine Straße sowieso saniert werden und kann sie im Zuge dessen so umgestaltet werden, dass Versickerungsmulden angelegt werden können oder das Regenwasser den Bäumen verfügbar gemacht werden kann? Es gibt auch die Möglichkeit teildurchlässiger Befestigungen – die guten alten Rasengittersteine zum Beispiel. Manchmal kann man auch Dachbegrünungen nachrüsten. Hierfür gibt es in Berlin sogar ein Förderprogramm.

Berlin will Schwammstadt werden.
Berlin will Schwammstadt werden. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash.com – Sabine Freiberger)

„Die ideale Schwammstadt wäre sehr grün“

Flächen entsiegeln, Grünflächen ausdehnen, Parkplätze umwandeln – das sind teils schon recht große Eingriffe in die Stadtgestaltung. Da gibt es sicher Konfliktpotenzial?

Absolut. Es ist auch ein Stück weit Aufgabe der Regenwasseragentur, moderierend zu unterstützen. Es hilft oft, die Beteiligten wirklich an einen Tisch zu holen, damit jeder seine Belange einbringen kann und man Verständnis für die jeweiligen Interessen herstellt.

Alle Konflikte kann man aber nicht auflösen und dann kommt es unter anderem auf politische Entscheidungen an: Wo soll es in der Stadt zum Beispiel beim Thema Mobilität hingehen? Wollen wir Parkplätze zum Teil umwandeln, entsiegeln, Versickerungsmulden umsetzen, Bäume pflanzen – oder wollen wir die Parkplätze behalten?

In vielen Fällen gibt es eine Möglichkeit zur Multicodierung, dass man also durch einen guten Planungsprozess die Dinge zusammendenkt und sie sich nicht unbedingt ausschließen müssen.

Wenn Sie die ideale Schwammstadt am Reißbrett entwerfen dürften, wie würde die aussehen?

Auf jeden Fall wäre sie sehr grün, mit vielen Parks, Versickerungsanlagen, Dach- und Fassadenbegrünungen, auch in Kombination mit Photovoltaik. Man würde das Regenwasser nutzen, sodass wir eigentlich keine Kanalisation für das Regenwasser bräuchten. Es gäbe kleine Gewässer, die sich aus sauberem Regenwasser speisen und so kleine Biotope bilden. Da wären dann viele Bäume mit Platz für die Wurzeln, sodass das Wasser auf natürlichem Wege auch zu den Bäumen gelangen kann.

Wir könnten in dieser Stadt einen Beitrag zur Biodiversität leisten, weil wir unsere Versickerungsmulden artenreich bepflanzen, nicht nur mit Rasen. Wir würden das Wasser auch wieder viel mehr sehen in der Stadt, es würde nicht mehr nur unterirdisch fließen. Vielleicht könnten wir sogar auf Wasserspielplätzen mit dem Regenwasser spielen und es wieder viel mehr sicht- und erlebbar machen.

Was kann ich als Bürger:in aktiv dafür tun, dass wir näher an diese schöne Vision der Schwammstadt herankommen?

Als Eigentümer:in kann man gucken, ob wirklich alle Flächen versiegelt sein müssen, ob die Fallrohre außen liegend und somit einfach abzuklemmen sind und sich das Regenwasser in eine Versickerungsmulde leiten ließe. Oder man prüft, ob das Dach statisch geeignet ist für eine Dachbegrünung.

Ein bisschen schwieriger wird es, wenn man Mieter:in ist. Dann kann man sich aber zumindest beim dem oder der Eigentümer:in für die gerade genannten Ideen einsetzen und Vorschläge zum Beispiel auch zu Fördermöglichkeiten machen. Es gibt auch Initiativen, in denen man sich engagieren kann. Der Umbau zur Schwammstadt ist eine Gemeinschaftsaufgabe, für die es die Akzeptanz und Unterstützung aller Bürger:innen braucht.

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