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Umweltmedizinerin im Interview: „An Hitze kann man sich niemals gewöhnen“

Umweltmedizinerin Prof. Traidl-Hoffmann im Utopia-Interview zu Hitze
Fotos: CC0 Public Domain / Pixabay - geralt, Anatoli Oskin, Universität Augsburg

30 Grad bereits im April und jeden Sommer eine Hitzewelle: Die Erderwärmung ist längst da. Umso wichtiger, dass wir uns gegen Hitze wappnen – doch können wir uns an hohe Temperaturen überhaupt gewöhnen? Umweltmedizinerin Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann erklärt im Interview, inwieweit wir Hitze „lernen“ können.

Vereinzelte Tage über 30 Grad und viel Regen: Der Sommer 2024 fühlt sich bislang noch nicht nach einem Hitzesommer an. Doch das täuscht: Statistisch gesehen war der Juni der zwölfte Monat in Folge, der das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens erreicht bzw. überschritten hat. Klar ist: Es wird heißer.

Was können wir tun, um Hitze besser auszuhalten? Kann man seinen Körper darauf trainieren? Und woran erkennt man, wenn es zu viel ist und die Hitze die eigene Gesundheit beeinträchtigt?

Genau das habe ich Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann gefragt. Sie ist Direktorin des Instituts für Umweltmedizin und Integrative Gesundheit am Universitätsklinikum Augsburg sowie Direktorin des Instituts für Umweltmedizin bei Helmholtz Munich. Die Medizinerin ist zudem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und Sonderbeauftragte für Klimaresilienz und Prävention des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege.

Umweltmedizinerin im Utopia-Interview

Utopia: Derzeit herrschen in München wieder über 30 Grad – kann man sich an solche Temperaturen irgendwann gewöhnen?

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann: Ja und nein. Wenn man jung und gesund ist, kann man sich an diese Temperaturen anpassen, aber niemals wirklich gewöhnen. Denn wenn ich den ganzen Tag in praller Sonne bei 35 Grad draußen bin, dann sterbe ich. Wer gesund ist, hat zwar bis zu einem gewissen Grad einen Gewöhnungsmechanismus. Die Hitze zeigt uns aber klar die Grenzen auf – und diese starten zum Teil schon bei 28 oder 29 Grad.

Utopia: Wenn der Mensch zu einem gewissen Grad anpassungsfähig ist, wie kann man konkret trainieren, Hitze besser auszuhalten?

Traidl-Hoffmann: Das machen vor allem Sportlerinnen und Sportler, die beispielsweise auf Hawaii einen Marathon laufen wollen. Die betreiben knallhartes Training bei Hitze und versuchen, sich anzupassen.

Hitzetraining nur für Profisportler empfehlenswert

Utopia: Das erscheint selbst für fitte und gesunde Menschen ohne medizinische Begleitung riskant.

Traidl-Hoffmann: Absolut, das ist nichts für den Otto-Normalverbraucher. Wir sollten uns nicht so fordern wie Profisportler.

Utopia: Muss man jedes Jahr wieder neu damit starten, sich an Hitze zu gewöhnen – ähnlich wie die Haut sich an die Sonne gewöhnen muss?

Traidl-Hoffmann: Nein, wenn ich ein gesunder, sportlicher Mensch bin, der sich gesund ernährt, kann ich mir eine Adaptationsfreundlichkeit meines Körpers auch aneignen. Dann geht es schneller, dass ich mich an Hitze anpassen kann. Ausdauersport ist dabei wesentlich. Und ich muss mich auch wirklich daran halten, nicht zu rauchen, möglichst keinen Alkohol zu trinken, mich möglichst gesund zu ernähren, sprich möglichst pflanzenbasiert.

Medizinerin: Ernährung beeinflusst, wie gut man Hitze verträgt

Utopia: Bei der Anpassungsfähigkeit an Hitze spielt es eine Rolle, ob ich mich vegan, vegetarisch oder omnivor ernähre?

Traidl-Hoffmann: Ja, indirekt. Eine pflanzendominierte Ernährung mit Produkten, die wenig verarbeitet sind, ist für unseren Körper wirklich gesund. Und wenn unser Körper gesund ist, stärkt das wiederum die eigene Klimaresilienz und die generelle Anpassungsfähigkeit unseres Körpers.

Utopia: Wenn Sie sagen, Junge und Gesunde können sich anpassen, bedeutet das im Umkehrschluss, dass das alten und kranken Menschen schwerer fällt.

Traidl-Hoffmann: Ja, Alte und Kranke haben hier Probleme, aber auch Neurodermitiker und kleine Kinder sind extrem empfindlich, was Hitze angeht. Sie zählen zu den sogenannten vulnerablen Gruppen. Dazu gehören auch Menschen mit chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Lungenerkrankungen oder Asthma. Sie reagieren sehr empfindlich auf Hitze und spüren währenddessen oft eine Verschlechterung ihrer chronischen Erkrankungen bis hin zum Tod durch Herzinfarkt, Schlaganfall oder Lungenversagen. Das sind Menschen, die ohne Hitze nicht gestorben wären.

Utopia: Haben diese Todesfälle in den vergangenen Jahren zugenommen?

Traidl-Hoffmann: Andauernde Hitzeperioden mit über 30 Grad treiben die Menschen ins Krankenhaus. Und diese nehmen zu. Wir haben vermehrt nicht nur Hitzetage, sondern langanhaltende Hitze. Wir sehen klar: Je länger diese Hitzeperioden andauern, umso mehr Leute kommen ins Krankenhaus. Sie erleiden Flüssigkeitsverlust, Nierenversagen, Lungenversagen oder Multiorganversagen. Diese Krankheiten beobachten wir bei uns in der Notaufnahme vor allem dann, wenn es richtig lange heiß ist. Krankenhausdaten und die Daten niedergelassener Ärztinnen und Ärzte aus ganz Bayern, die wir momentan auswerten, bestätigen diese Beobachtungen.

Prof. Traidl-Hoffmann: „Je länger diese Hitzeperioden andauern, umso mehr Leute kommen ins Krankenhaus“

Utopia: Neben den vulnerablen Gruppen sind Menschen, die draußen arbeiten, bei Hitze besonders gefährdet. Wie können Landwirt:innen, Gärtner:innen und Co. sich schützen und ab welchen Temperaturen sollten diese Menschen ihre Arbeit unterbrechen?

Traidl-Hoffmann: Für Innenraumtemperaturen besagt der Arbeitsschutz, dass Arbeitgeber ab 30 Grad eingreifen müssen. Bei Außentemperaturen gibt es aber noch keine offiziell festgelegten Richtwerte, ab denen man seine Arbeit niederlegen darf. Hier braucht es politische Regelungen, damit die zwei Millionen Menschen, die in Deutschland draußen arbeiten, auch geschützt sind.

Denkbar ist ein Ampelsystem wie in Frankreich, bei dem zum Beispiel bei einer Temperatur von 35 Grad Sportfeste abgesagt werden. Natürlich muss man dann festlegen, ob eine rote Ampel ein Arbeitsverbot bedeutet oder ob man flexible Arbeitszeiten braucht, bei denen die Menschen schon früh morgens anfangen können zu arbeiten.

Utopia: Was sollten Menschen, die sich drinnen aufhalten, bei Hitze beachten?

Traidl-Hoffmann: Das Wichtige ist, sich auf die heißen Tage vorzubereiten. Ich muss beobachten, wie sich die Temperatur in den nächsten Tagen entwickelt. Ein alter, kranker Mensch hat am besten so vorgesorgt, dass er am Hitzetag nicht einkaufen gehen muss, dass er ausreichend Wasser daheim hat und konsequent ein Glas Wasser pro Stunde trinkt.

Die Räume sollten über den Tag abdunkelt sein. Gelüftet wird bestenfalls nachts, tagsüber bleiben die Fenster zu, damit die Hitze von draußen nicht nach drinnen gelangt. Ventilatoren können helfen, ebenso ein kühles Fußbad oder der feuchte Lappen im Nacken. Doch Fakt ist: Je heißer es im Büro ist, umso schlechter kann ich denken. 23 Grad ist die optimale Außentemperatur für unser Gehirn. Alles, was darüber liegt, führt dazu, dass wir nicht mehr so produktiv sind.

Utopia: Klar ist: Niemand sollte bei 30 Grad länger in die pralle Sonne. Welche Fehler machen Leute noch bei Hitze? 

Traidl-Hoffmann: Was grundsätzlich falsch gemacht wird, ist, dass Hitze nicht als Gesundheitsrisiko wahrgenommen wird. Man denkt: „Passt schon“. Im Handwerk etwa arbeiten Männer bei Hitze mit freiem Oberkörper auf Baustellen. Doch genau diese Menschen erleiden einen Sonnenstich. Man sollte sich der Hitze niemals unbedacht aussetzen, sprich ohne Kopfbedeckung unterwegs sein oder nichts trinken. Und bei den kleinsten Anzeichen versuchen, sofort raus aus der Hitze zu kommen und sich abzukühlen.

Fataler Fehler: Hitze unterschätzen

Utopia: Auf welche Warnsignale muss man achten?

Traidl-Hoffmann: Das können Konzentrationsschwäche sein, etwa wenn man merkt, dass die Augen schmerzen oder der Kopf schmerzt. Hinzu kommen Schwindelattacken. Wenn die Haut schon nicht mehr schwitzen kann und ganz trocken ist, steht man kurz vorm Hitzschlag. Bei unseren Mitmenschen können wir auch auf einen roten Kopf achten.

Utopia: Welche Notfallmaßnahmen helfen in solchen Fällen?

Traidl-Hoffmann: Raus aus der Sonne, ab in den Schatten und etwas trinken. Auch kühlende Umschläge helfen. Im Zweifel ab ins Krankenhaus.

Utopia: Neben körperlichen Symptomen kann Hitze auch psychisch erschöpfen. Welche Gefahren lauern in diesem Bereich?

Traidl-Hoffmann: Stimmungsschwankungen und ein höheres Aggressivitätslevel. Wir wissen, dass während Hitze vermehrt Suizide begangen werden, aber auch mehr Gewalttaten. Dessen müssen wir uns bewusst sein.

Hinweis: Wenn du dich depressiv fühlst oder Suizid-Gedanken hast, wende dich an die Telefonseelsorge online oder unter Tel. 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222 oder 116123 oder an die Deutsche Depressionshilfe unter Tel. 0800 / 33 44 533 (wochentags tagsüber). In Notfällen kontaktiere bitte die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter Tel. 112.

Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.

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