Die Schimpansenforscherin Jane Goodall ist die vermutlich bekannteste Umwelt- und Tierschutzaktivistin der Welt. Am 3. April ist ihr 90. Geburtstag – und noch immer trägt sie ihre Botschaft um die Erde. Wir haben mit Jane Goodall über Anfänge, Verantwortung und Hoffnung gesprochen.
Die Britin Jane Goodall begann 1960 im Alter von 26 Jahren im heutigen Tansania, das Verhalten von Schimpansen zu erforschen. Sie machte einige bahnbrechende Beobachtungen – zum Beispiel entdeckte sie, dass Schimpansen Werkzeuge herstellen und benutzen. Ihre Arbeit stellte die öffentliche Wahrnehmung der Tiere und die Methodik der Verhaltensforschung auf den Kopf.
In den achtziger Jahren begann Goodall als Aktivistin um die Welt zu reisen, um Menschen für Natur- und Tierschutz zu begeistern und ihnen Hoffnung zu geben. Wir haben Dr. Goodall im Juni 2019 in München zum Gespräch getroffen.
Jane Goodall: „Wir sind ein Teil der Umwelt.“
Utopia: Dr. Goodall, Sie haben den Großteil ihres Lebens damit verbracht, Schimpansen zu erforschen und sich für deren Schutz einzusetzen. Warum sollte es uns Menschen hier in Europa interessieren, was mit wilden Tieren in Afrika passiert?
Jane Goodall: Zunächst einmal sind Schimpansen eine Schirmart: Wenn wir die Schimpansen schützen, werden auch andere Spezies gerettet.
Aber noch wichtiger: Die Arbeit, die ich jetzt mache, konzentriert sich nicht nur auf Schimpansen, sondern darauf, was wir dem Planeten antun. Wie wir ihn verschmutzen, rücksichtslos fossile Brennstoffe verbrennen, die Ozeane mit Plastik verdrecken, unsere Nahrung erzeugen, mit Pestiziden Gift verbreiten, Monokulturen schaffen und die Natur zerstören. Ich könnte immer weiter aufzählen. Das Hauptproblem ist die Zerstörung von Wald und Ozean, den beiden großen Lungen der Erde, die Kohlenstoffdioxid aufnehmen und Sauerstoff abgeben.
Wir müssen verstehen: Wir sind ein Teil der Umwelt. Unsere Zukunft hängt davon ab. Und dennoch sind wir, die intelligenteste Spezies, die es auf diesem Planeten je gegeben hat, dabei, unser einziges Zuhause zu zerstören. Wir müssen lernen, mit der Umwelt in Einklang zu leben, denn was wird sonst in 100 Jahren noch übrig sein?
Viele Menschen fragen sich da, ob es nicht schon zu spät ist – und was es noch bringt, als Einzelner etwas zu ändern. Was sagen Sie diesen Menschen?
Es gibt weltweit ein immer größeres Bewusstsein dafür, welchen Schaden wir anrichten. Aber: Erschreckend viele Menschen wissen das, tun aber nichts. Man hört immer wieder das Motto „Think global, act local“ [„Denke global, handle lokal“, Anm. d. Red.]. Aber wenn man global denkt, was diese Menschen tun, ist alles sehr deprimierend. Also versinkt man in Gleichgültigkeit und Trägheit.
Darum ist die wichtige Botschaft: Handle lokal. Jede:r Einzelne von uns auf diesem Planeten macht einen Unterschied, jeden einzelnen Tag. Und diejenigen von uns, die das Glück haben, nicht in Armut zu leben, können entscheiden, welche Art Unterschied wir machen wollen. Wir können über die Auswirkungen der Dinge nachdenken, die wir kaufen: Woher kommt das, hat es der Umwelt geschadet, haben Tiere dafür gelitten, stammt es aus Kinderarbeit? Wir können es uns leisten, ethische Konsumentscheidungen zu treffen – und wenn Milliarden Menschen ethische Konsumentscheidungen treffen, bewegen wir uns auf eine bessere Welt zu.
Was können wir also tun?
Jeder kann auf verschiedene Arten helfen. Wir können alle etwas beitragen. Zum Beispiel: Wenn mich all der Plastikmüll stört, kann ich anfangen, ihn aufzusammeln, ich kann eine Gruppe gründen, mich in Supermärkten gegen Plastikverpackungen einsetzen, bei der Regierung für ein Einwegplastik-Verbot protestieren – was an manchen Orten übrigens bereits geschehen ist. Oder man kann ehrenamtlich in einer Suppenküche arbeiten. Oder Lebensmittel spenden für Menschen, die sich kein Essen leisten können. Und wir können anfangen, die Einstellungen von Menschen zu ändern.
In meinem „Roots & Shoots“-Programm arbeiten wir mit jungen Menschen in etwa 60 Ländern zusammen. Die Hauptbotschaft von „Roots & Shoots“ ist: Jedes Individuum macht jeden Tag einen Unterschied.
Ist das Ihre Botschaft an Menschen, die gerne etwas tun möchten, aber nicht wissen, wo anfangen? Einfach da anzufangen, wo sie eben können und wollen?
Fangt da an, wo ihr könnt und mit etwas, was euch wirklich interessiert. Ich hoffe doch, es gibt da etwas, wofür ihr euch interessiert. Wenn jeder bei einer Sache tätig wird, für die er sich leidenschaftlich interessiert, dann fangen wir auf jeden Fall an, die Welt zu verändern.
Wir haben vier grundlegende Probleme, die wir irgendwie angehen müssen. Eines davon ist Armut. Wenn du arm bist, fällst du in deiner Verzweiflung die letzten Bäume, um Lebensmittel anzubauen oder du kaufst das allerbilligste Essen und kannst es dir nicht leisten, nach den Produktionsbedingungen zu fragen.
Das zweite Problem ist unser unnachhaltiger Lebensstil. Wir haben fast alle mehr als wir brauchen. Und uns wird beigebracht, dass das wichtig ist, um die Wirtschaft zu stärken. Aber es macht keinen Sinn zu denken, dass es auf einem Planeten mit begrenzten natürlichen Ressourcen unbegrenztes Wirtschaftswachstum geben kann. Und wir verbrauchen diese Ressourcen an vielen Orten schneller, als sie nachwachsen können. Deswegen: Wir müssen unsere unnachhaltigen Lebensstile ändern und auch, wie wir über die Wirtschaft denken.
Drittens müssen wir etwas gegen Korruption tun, weil das wirklich enorm vielen Dingen schadet. Und viertens ist das Bevölkerungswachstum – darüber wollen die Leute nicht sprechen, aber wir müssen.
„Wohlhabende sollten nicht mehr als zwei Kinder bekommen.“
Und was sollte man da Ihrer Meinung nach tun?
In unserem Hilfsprogramm in Afrika, TACARE, bieten wir Informationen zur Familienplanung, und wir sorgen dafür, dass Mädchen auch während und nach der Pubertät weiter zur Schule gehen. Es hat sich auf der ganzen Welt gezeigt, dass die Familien kleiner werden, wenn sich die Bildung von Frauen verbessert.
Viele Reiche denken, es sei in Ordnung fünf oder sechs Kinder zu bekommen, weil ihre Kinder ja die Welt verändern werden. Aber: Ein Kind einer wohlhabenden Familie verbraucht mehr Ressourcen als zehn Kinder, die in einem Dorf in Afrika aufwachsen. Also müssen wir auch den Lebensstil der Wohlhabenden verändern – sie sollten nicht mehr als zwei Kinder bekommen.
Wir müssen Verständnis dafür erreichen, ohne etwas zu verbieten. Das dürfen wir niemals tun. Die Leute wollen nicht über das Thema sprechen, weil wir angefangen haben von Bevölkerungskontrolle zu reden. Das ist das falsche Wort. Man kann keine persönlichen Entscheidungen kontrollieren.
Deswegen habe ich den Begriff „freiwillige Bevölkerungsoptimierung“ [voluntary population optimization, Anm. d. Red.] erfunden. Wenn man „freiwillige Bevölkerungsoptimierung“ sagt, ist das freiwillig, es ist deine Wahl. Ich wurde deswegen auch nie angegangen. Von keinem, nicht mal von Katholiken. Sogar Papst Franziskus hat zu mir gesagt: „Nur weil wir uns wie Kaninchen vermehren können, heißt es nicht, dass wir das auch tun sollten.“ Das finde ich ziemlich großartig für einen Papst, so etwas zu sagen.
Trotz der Umweltauswirkungen fliegen Sie sehr viel, das ist Teil ihres Jobs. Mit Widersprüchen dieser Art ist fast jeder konfrontiert, der versucht, nachhaltiger zu leben. Wie gehen Sie damit um?
Wir müssen einsehen, dass die meisten von uns einen unnachhaltigen Lebensstil haben. Ich auf jeden Fall. Ich fliege ständig durch die Welt und das ist sehr umweltschädlich. Aber noch hat mir niemand einen fliegenden Teppich gegeben und wir haben auch noch keine Solar-Flugzeuge – obwohl die kommen werden.
Gleichzeitig haben aber die Mitglieder von meiner Jugendorganisation „Roots & Shoots“ schon hunderte Millionen Bäume gepflanzt.
Wenn das Reisen es nicht wert wäre, würde ich es nicht machen. Ich hasse es. Aber ich habe in den letzten fünf Jahren keinen Vortrag gehalten, nach dem nicht Leute zu mir kamen und sagten: „Sie haben heute mein Leben verändert.“ Das ist mein Beitrag, den ich versprochen habe, zu leisten.
„Ohne Hoffnung tut man gar nichts.“
Das heißt also: Keiner muss perfekt sein, sondern vor allem das tun, was innerhalb der eigenen Möglichkeiten liegt?
Ja. Und außerdem: Weniger Fleisch essen. Unser Fleischkonsum schadet der Umwelt sehr. Es geht nicht nur um die fürchterliche Grausamkeit gegenüber den Tieren. Es geht auch darum, dass man sie füttern muss und die Umwelt zerstört wird, um das Getreide für Tierfutter herzustellen. Man braucht fossile Brennstoffe, um das Tierfutter zu den Tieren zu bringen und die Tiere zum Schlachthaus und das Fleisch auf den Teller. Es werden Riesenmengen Wasser verbraucht – während uns das Süßwasser ausgeht. Das alles, um pflanzliches in tierisches Protein umzuwandeln.
Was dazu kommt: All diese Tiere produzieren Methan-Gas. Das tun wir alle, aber vor allem Kühe, weil sie viel rülpsen. Methan ist eines der schlimmsten Treibhausgase.
Noch gibt es ein Zeitfenster, um die Erde zu retten, wenn wir uns alle zusammentun – falls wir uns alle zusammentun. Aber wie bringen wir genug Menschen dazu, zu verstehen, dass ihr Verhalten einen Unterschied macht? Wie rütteln wir sie wach? Das ist der Grund, weshalb ich 300 Tage im Jahr um die Welt reise, was ich hasse. Es ist schrecklich. Aber es ist mein Job. Und mein Job ist es, Menschen Hoffnung zu machen. Denn ohne Hoffnung tut man gar nichts.
Jane Goodalls Arbeit geht weiter – mit dem Jane Goodall Institut. Das Institut setzt sich für den Schutz von Primaten und ihren Lebensräumen ein und baut dabei auf das Vermächtnis von Dr. Jane Goodall auf. Es will Menschen jeden Alters zum Handeln inspirieren, um Tieren, anderen Menschen und der Erde zu helfen. Hier geht’s zur Webseite des Instituts.
Das Interview führten Annika Flatley und Nadja Ayoub
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