Mit dem 1,5-Grad-Ziel ließen sich die fatalen Folgen der Erderwärmung noch abmildern. Aber wie realistisch ist es, dieses Ziel rechtzeitig zu erreichen? Was die Forschung dazu sagt.
Den rasanten Anstieg der Erderwärmung auf unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad Celsius zu verlangsamen, ist das weltweite Ziel. Dazu hatten sich 195 Staaten schon 2015 im Pariser Klimaabkommen verpflichtet.
1,5 Grad Celsius ist der Wert, bei dem die Wissenschaftler:innen davon ausgehen, dass sich die Folgen des Klimawan-els noch ertragen lassen. Ihre Szenarien zeigen, dass jedes Zehntelgrad mehr die Auswirkungen auf das Klima der Erde verschärfen können. Unstabiles Wetter und Naturkatastrophen sowie Ernteausfälle können sich dadurch häufen.
Das 1,5 Grad Ziell – ein sicher Korridor für die Menschheit
Das 1,5-Grad-Ziel bedeutet, dass die durchschnittlichen Temperaturen auf der Erdoberfläche nicht um mehr als 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter ansteigen dürfen. Das Alfred-Wegner-Institut (AWI) weist darauf hin, dass durch diese Eingrenzung Mensch und Ökosysteme mehr Spielraum erhalten, sich an den Temperaturanstieg und die damit verbundenen Veränderungen anzupassen.
Das Ziel von 1,5 Grad Celsius wurde in einem Weltklimarat-Sonderbericht von 2018 empfohlen. Damit konkretisierten die internationalen Entscheidungsträger:innen die ursprüngliche Formulierung des Pariser Klimaabkommens. In diesem Abkommen von 2015 war noch die Rede davon, „die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu drücken“.
Auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris beschlossen 195 Staaten, mit konkreten Maßnahmen in der Agenda 2030 den Klimawandel zu begrenzen. Das Bundesministerium für Wirtschaft erläutert, dass die Staaten damit eine gemeinsame Grundlage schufen, um die Erderwärmung zu verlangsamen.
An dem 1,5-Grad-Ziel müssen sich nun Staaten und die Gesellschaft in ihrem Erfolg messen lassen, den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Die internationale Staatengemeinschaft hat die Aufgabe, die Maßnahmen in nationale Gesetze zu fassen. In der EU und auch in Deutschland findest du sie in den jeweils entsprechenden Klimaschutzgesetzen. Den europäischen Rahmen gibt der Green Deal vor, mehr dazu im nächsten Absatz.
Wie das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen ist
Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste die Menschheit die von ihnen verursachten Treibhausgase praktisch auf null zurückfahren. Dann sind die Auswirkungen des Menschen für die Erde und das Klima neutral.
Der Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) von 2018 erklärt, dass ein Großteil (etwa ein Grad Celsius) des Temperaturanstiegs schon jetzt auf das Konto des Menschen gehen.
Den immensen Energiebedarf von Industrie, Transportwesen oder privaten Haushalte decken seit der Industrialisierung vor rund 200 Jahren hauptsächlich fossile Brennstoffe. Die Verbrennung von Kohle, Erdöl oder Erdgas erzeugt Energie, setzt dabei aber das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2) frei. Zusammen mit anderen Treibhausgasen wie Methan sammelt es sich in der Atmosphäre und bewirkt den Treibhauseffekt, der die Erde aufheizt.
Das Europäische Parlament hat sich einen schrittweisen Fahrplan zur angestrebten Klimaneutralität vorgenommen. Damit könnte die EU ihren Beitrag leisten, um das weltweite 1,5 Grad Ziel zu erreichen.
- Bis 2030 müssen die CO2-Emissionen um 55 Prozent sinken. Deutschland hat sich vorgenommen, die Emissionen um 65 Prozent zu senken.
- Bis 2050 müssen alle EU-Staaten die Netto-Null erreichen. Deutschland hat sich dieses Ziel schon für 2045 gesteckt. Netto-Null oder „Net Zero“ bedeutet, dass alle menschlichen Emissionen, die sich nicht einsparen lassen, auszugleichen sind. Das kann durch natürliche Kohlenstoffspeicher wie Wälder, Moore oder Ozeane erfolgen. Die Helmholtz-Klima-Initiative berichtet noch von anderen Möglichkeiten. Wissenschaftler:innen untersuchen zusätzliche technische Lösungen, um das CO2 wieder aus der Atmosphäre zu entfernen.
Ist das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen?
Das 1,5-Grad-Ziel steht fest und die Staaten haben die entsprechenden Maßnahmen in Gesetze gepackt. Nun geht es um die Umsetzung.
Doch die scheint nur langsam voranzukommen. Der Weltklimarat IPCC sowie die Vereinten Nationen untersuchen regelmäßig den Fortschritt. In ihren Bestandsaufnahmen von 2021 bescheinigen beide Institutionen jedoch, dass der Weg zur Klimaneutralität noch weit ist. Vielleicht zu weit, wenn nicht schnell und unverzügliche gehandelt wird.
Alarmiert durch die Ergebnisse in dem UN-Bericht vom September 2021, rief der UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu einem sofortigen Umdenken auf:
Der sechste Sachstandsbericht des IPCC mit Stand Oktober 2021 zeichnet ebenfalls ein sehr düsteres Bild:
- Die Grenze von 1,5 Grad wird wahrscheinlich noch im 21. Jahrhundert erreicht. Bis Mitte des Jahrhunderts wird die Temperatur weiter ansteigen. Die Szenarien deuten darauf hin, dass der Temperaturanstieg noch in diesem Jahrhundert bis die Grenze von 1,5 Grad Celsius oder auch von zwei Grad Celsius überschreitet. Nur sofortige und drastische Maßnahmen könnten dies noch verhindern.
- Die vom Menschen verursachten Klimaveränderungen sind schon sichtbar. Zahlreiche Extremereignisse sind schneller eingetreten. Das sind zum Beispiel Überschwemmungen, Hitzewellen, Wirbelstürme oder Dürren. Ähnliche Entwicklungen gab es in den letzten Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden nicht.
- Einige Veränderungen der Umwelt bleiben. Einige der Veränderungen sind aller Wahrscheinlichkeit schon jetzt unumkehrbar, wie die Eisschilde, die weiter schmelzen oder der Anstieg des Meeresspiegels. Dagegen bewerten die Expert:innen beispielsweise die abrupte Veränderung der Ozeanzirkulation als weniger wahrscheinlich – aber trotzdem durchaus möglich.
Laut dem EU-Klimadienst Copernicus hat die Erderwärmung die Marke von 1,5 Grad Celsius in 2024 für zwölf Monate in Folge schon überschritten. Wie Copernicus berichtet, heizte auch ein sich entwickelndes „La Nina“-Wetterphänomen die Temperaturen mit auf. Doch die Werte zeigen insgesamt in Richtung weiterer Temperaturanstieg.
In einer Studie des Guardian vom Mai 2024 halten nur sechs Prozent der 380 befragten Wissenschaftler:innen das 1,5-Grad-Ziel für realistisch. Ein Großteil davon gehen von einer Erwärmung um mindestens 2,5 Grad bis zum Jahr 2099 verglichen zum vorindustriellen Niveau aus.
Was ist nun zu tun?
Der IPCC weist darauf hin, dass an der Netto-Null für die Menschheit kein Weg vorbeiführt. Zusätzlich müssen auch die Emissionswerte anderer Treibhausgase wie Methan (CH4) stark sinken. Methan entweicht beispielsweise bei der Förderung von Erdgas. Mit einem solchen konsequenten Umbau in der Gesellschaft ließe sich der Erwärmungseffekt noch begrenzen, so die Einschätzung des IPCC.
Was, wenn das 1,5-Grad-Ziel kippt?
Die Klimaforscher:innen warnen, dass jeder zusätzliche Zehntelgrad über der 1,5 Grad Ziel das Risiko erhöht.
Das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) fasst zusammen, was beispielsweise bei einer Erderwärmung von zwei Grad zu erwarten ist:
- Fast alle Korallenriffe sterben ab (98 bis 99 Prozent)
- Der Nordpol könnte alle drei bis fünf Jahre eisfrei sein.
- Katastrophale Sturmfluten, wie sie bislang statistisch alle 500 Jahre auftreten, könnten dann alle 33 Jahre die Küsten zerstören. Für 21 Prozent der weltweiten Uferregionen an Flüssen steigt das Überschwemmungsrisiko.
- Die Artenvielfalt nimmt ab. 16 Prozent der Pflanzenarten sind betroffen.18 Prozent der Insektenarten und acht Prozent der Wirbeltiere.
Es können unwiderrufliche Veränderungen eintreten. Beispielsweise könnte das Grönlandeis abschmelzen. Die Helmholtz-Klima-Initiative erklärt, dass die Eisschicht in Grönland kilometerdick ist. Die kühleren Temperaturen in dieser Höhenlage schützen das Eis zusätzlich vor Erwärmung. Würden diese Eismassen tatsächlich schmelzen, bräuchte es auf der Erde im Mittel vier Grad Celsius weniger, damit das Eis wieder den derzeitigen massiven Zustand erreichen könnte.
Das Grönlandeis gilt daher als Kippelement. Der Begriff bezeichnet Ereignisse, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen, sobald sie einmal eingetreten sind. Andere Kippelemente sind zum Beispiel die Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes oder das Absterben der Korallenriffe.
Daneben gibt es auch Kippelemente, die das Potenzial haben, den Klimawandel noch zu verstärken. Eines ist zum Beispiel der Permafrostboden. Taut er einmal auf, tritt das gebundene Methan aus. Das Treibhausgas entweicht in die Atmosphäre und verstärkt die Erderwärmung.
Das kannst du zum 1,5-Grad-Ziel beitragen
Die Forderung zum sofortigen Umdenken betrifft nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern auch jeden einzelnen Menschen. Eine Studie der Universität Hamburg hält das 1,5 Grad Ziel für nicht plausibel. Sie untersucht, inwieweit soziale Faktoren auf das globale 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet sind.
- In die falsche Richtung weisen laut der Studie die allgemeinen Konsumgewohnheiten. Ebenso mangelt es in Unternehmen noch an Verantwortungsbewusstsein für den Klimaschutz. Die COVID-19 Pandemie sowie das Kriegsgeschehen in der Ukraine sind ebenfalls als Risikofaktoren zu bewerten.
- Das 1,5-Grad-Ziel unterstützen dagegen die Aktivitäten internationaler Organisationen wie der UN oder staatliche Gesetzgebungen und Regulierungen. Die Studie wertete auch die Divestment-Bewegung in der Finanzwirtschaft als positives Zeichen. Dabei ziehen meist nachhaltige Wertpapierfonds ihre Gelder systematisch aus Industrien ab, die mit fossilen Brennstoffen Geld verdienen. Sie investieren stattdessen in grüne Technologien, die den Klimaschutz voranbringen.
Mit deinem eigenen Konsumverhalten kannst du bereits einen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel leisten. Folgendes kannst du im Alltag beispielsweise zum Klimaschutz beitragen:
- Weniger kaufen: Es muss nicht immer etwas Neues sein. Statt zu kaufen, kannst du deine gebrauchten Sachen vielleicht reparieren lassen oder du beispielsweise Werkzeug von Nachbar:innen leihen. Auch gebrauchte Second-Hand-Produkte sind eine Möglichkeit, Ressourcen zu sparen. Bei einem Neukauf kannst du auf klimaneutrale Produkte achten.
- Du kannst deinen CO2-Fußabdruck minimieren.
- Hilf mit, Strom zu sparen: Schalte den Stand-by-Modus an deinen Geräten aus, zum Beispiel an der Mikrowelle. Achte auf energieeffiziente Elektrogeräte. Denke daran, regelmäßig deine E-Mails zu löschen, denn jede gespeicherte Nachricht verbraucht zusätzlich Strom und kann dadurch das Klima durch Treibhausgase belasten.
- Wechsle zu einem Ökostromanbieter: Unser Vergleich der wichtigsten Ökostrom-Label hilft dir bei der Orientierung.
- Das Auto stehen lassen: Für kurze Wege, zum Beispiel unter drei Kilometern, nimm das Rad oder geh die Strecke zu Fuß.
- Nachhaltige Geldanlage: Lege dein Geld in grünen Fonds an, die eine Divestment-Strategie haben. Eine ethische Bank kann dich bei der klimafreundlichen Geldanlage beraten.
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