Um die Klimakrise zu bekämpfen, müssen wir unseren CO2-Ausstoß reduzieren, daran gibt es nichts zu rütteln. Aber um wie viel und wie schnell müssen wir reduzieren? Das Konzept des CO2-Budgets liefert konkrete Zahlen – und die zeigen: Nur ein radikaler Wandel kann den Planeten und die Menschheit noch retten.
Paris, 12. Dezember 2015: Fast 200 Staaten einigen sich auf ein neues Klimabündnis. Am 4. November 2016 tritt das Pariser Klimaabkommen offiziell in Kraft. 191 Länder sollten seitdem eigentlich alles daran setzen, die Erderwärmung einzudämmen. Doch noch ist der Kampf gegen die Klimakrise längst nicht überall Priorität.
Kernstück des historischen Abkommens von Paris ist das Ziel, dass der „globale Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert deutlich unter 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird.“ Mehr noch, die Länder sollen sich bemühen, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Die damals verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin: Diese Begrenzung könnte möglicherweise noch vermeiden, dass Klima-Kipppunkte erreicht werden, welche die Erhitzung weiter beschleunigen und den Klimawandel unumkehrbar machen.
Direkter Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperaturanstieg
Die Erderwärmung ist im Wesentlichen auf den menschengemachten Ausstoß von Treibhausgasen zurückzuführen – insbesondere Kohlenstoffdioxid (CO2). Wissenschaftler:innen sprechen von einem linearen Zusammenhang.
„Jede zusätzliche Tonne CO2 führt zu einer zusätzlichen Erwärmung“, erklärt Dr. Sönke Zaehle, Direktor am Max Planck Institut für Biogeochemie und Mitautor des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats.
Zu dieser Erkenntnis über den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Temperaturanstieg kommt das Wissen, dass wir seit dem vorindustriellen Zeitalter bereits eine Erwärmung von etwa einem Grad verursacht haben – und diese Erwärmung setzt sich rasant fort.
„Weil es diesen nahezu linearen Zusammenhang gibt, kann man daraus ableiten, wie viele Emissionen wir noch verursachen dürfen, um die Erwärmung auf ein bestimmtes Limit zu begrenzen – zum Beispiel, wie in Paris vereinbart, 1,5 Grad“, so Zaehle. Neuen Berechnungen zufolge könnte die 1,5-Grad-Marke bereits in wenigen Jahren erreicht sein.
Das ist das CO2-Budget der Menschheit: Die Menge CO2, die wir noch emittieren dürfen, um die Klimaerwärmung auf einen bestimmten Temperaturanstieg – idealerweise 1,5 Grad – zu begrenzen.
Das CO2-Budget: Wie viele Emissionen bleiben noch?
Der Weltklimarat IPCC hat für seinen jüngsten Sachstandsbericht aus dem August 2021 relativ konkrete Berechnungen für das verbleibende CO2-Budget angestellt. Diese regelmäßigen Berichte des Weltklimarats, verfasst von hunderten Forscher:innen, stellen die jeweils wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel vor und bieten eine Grundlage für Entscheidungen der Politik.
Klar ist: Um das Ziel einzuhalten, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, bleibt nur noch eine vergleichsweise geringe Menge CO2, die in die Atmosphäre gelangen darf.
Die kurze Version: Wissenschaftler:innen haben für den IPCC berechnet, dass dieses globale CO2-Budget – gerechnet ab Anfang 2020 – noch 400 Gigatonnen CO2 umfasst.
Weil es gerade in der Klimawissenschaft selten ganz einfache Antworten gibt, gibt es auch noch diese etwas kompliziertere Version: Laut Weltklimarat können wir das 1,5-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent erreichen, wenn wir den restlichen weltweiten CO2-Ausstoß auf die genannten 400 Gigatonnen begrenzen.
Wenn wir nur noch 300 Gigatonnen CO2 ausstießen, würde das die Wahrscheinlichkeit, unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, auf 83 Prozent erhöhen.
Das Problem mit den Wahrscheinlichkeiten erklärt Klimaexperte Zaehle, der das CO2-Budget mitentwickelt hat, so: „Wir berücksichtigen bei diesen Berechnungen auch mögliche Entwicklungen der anderen Treibhausgase und Wechselwirkungen, die das Klima beeinflussen. Zudem gibt es leichte Unterschiede in den Projektionen der Klimamodellen – das führt zu gewissen Unsicherheiten in der Größe des Budgets. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieses Budget begrenzt ist.“
Es ist kein ganz rundes Bild, aber: Man kann sich das CO2-Budget vorstellen, wie ein Bankkonto, auf dem zu Monatsanfang ein Betrag X liegt. Es gibt – um das Bild zu vereinfachen – keine Einzahlungen auf dieses Konto, sehr wohl aber jede Menge Ausgaben. Bei Null ist Schluss. Also müssen die Kontoinhaber:innen das Geld gut einteilen und ihre Ausgaben möglichst immer weiter minimieren – um am Ende gelernt zu haben, wie sie ohne Geld leben.
Und was heißt das jetzt für Deutschland?
Das CO2-Budget, das der Weltklimarat berechnet hat, gilt dabei für die gesamte Welt. Wenn man es ins Verhältnis setzt zur Einwohnerwahl der einzelnen Länder, ergeben sich daraus länderspezifische CO2-Budgets.
Noch gibt es leicht unterschiedliche Angaben zum verbleibenden CO2-Budget Deutschlands; die zweite Version der europäischen Klimaschutzmaßnahmen („Nationally Determined Contributions = NDCs“) steht noch aus. Eine Rechnung, die die Runde macht, weil sie schön griffig ist: Basierend auf der Bevölkerungszahl Deutschlands (rund 1,1 Prozent der globalen Bevölkerung; Stand 2015), bliebe uns ein CO2-Budget von rund 4,4 Milliarden Tonnen – oder 3,3 Milliarden Tonnen, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erreichen wollen. Zum Vergleich: Der gesamte Treibhausgasausstoß Deutschlands lag 2020 bei rund 740 Millionen Tonnen.
Einer Analyse des Instituts Energy Brainpool zufolge könnten alleine die Emissionen aus den deutschen Kohlekraftwerken bis zu deren geplanten Abschaltung 2038 45 Prozent dieses Budgets „verbrauchen“ – ein gutes Argument, um früher aus der Kohle auszusteigen. Denn die Zahlen machen deutlich: Bei unseren derzeitigen Emissionsraten bleibt uns nur sehr wenig Zeit, bis unser Budget „aufgebraucht“ ist.
Diese konkrete Berechnung zeigt auch die große Stärke des CO2-Budgets: Das Konzept kann vor allem dabei helfen, effektive Klimaschutzmaßnahmen zu identifizieren und umzusetzen. IPCC-Autor Zaehle nennt es „ein sehr hilfreiches Kommunikationstool“. Es könne uns deutlich machen: „Was ist die Größenordnung, die wir uns noch erlauben können, wenn es uns ernst ist mit dem Pariser Klimaabkommen?“ So kann es einen dringend nötigen Anstoß geben – vor allem, wenn weltweit quasi in derselben Währung gerechnet würde.
Von vielen Klimaschutzmaßnahmen wissen wir relativ genau, wie viele Emissionen sie einsparen könnten – etwa die Abschaltung der Kohlekraftwerke, aber auch ein Umbau des Verkehrssystems, verbesserte Produktionsmethoden in der Industrie oder ein reduzierter Fleischkonsum. Kombiniert mit dem Wissen, wie viel CO2 wir insgesamt noch ausstoßen dürfen, ließen sich also eigentlich recht klare Maßnahmen identifizieren – zumindest in der Theorie.
Dr. Zaehle glaubt:
„Das CO2-Budget kann helfen, uns klar zu machen, dass wir nur noch sehr wenig Zeit haben und wenn wir nicht schnell anfangen, unsere Emissionsraten zu senken, keine Chance mehr haben unter 1,5 Grad zu bleiben.“
Das persönliche CO2-Budget
Auch auf ganz individueller Ebene könnte es helfen: Mittels CO2-Rechnern kann jede:r heute ausrechnen lassen, wie viel CO2 er oder sie in etwa pro Jahr produziert. Spoiler: Viel zu viel. In Deutschland verursacht ein durchschnittlicher Mensch jährlich um die 11 Tonnen CO2-Äquivalente (Quelle: UBA). Andere Quellen gehen von um die neun oder zehn Tonnen aus.
Zusammen mit dem Wissen, wie viel uns eigentlich noch zur Verfügung stünde – nämlich, je nach Quelle, nur eine Tonne – lässt es eine persönliche Einschätzung zu: Wie klimaverträglich lebe ich bereits? Wie viel muss ich vielleicht noch ändern, um dem Zielwert etwas näher zu kommen?
Es gibt dazu einige Berechnungen, in welchen Lebensbereichen wir derzeit am meisten CO2-Ausstoß verursachen – und was wir dagegen tun können: Von Konsum bis Kohle: Was du gegen die 5 größten Klimakiller tun kannst.
Während es Sinn macht, sich auf individueller Ebene zu informieren, wie man den persönlichen CO2-Fußabdruck senken kann, kritisieren viele Aktivist:innen, dass dies von der Verantwortung der Industrie und Politik ablenke. Unternehmen und Politiker:innen setzen dagegen oft auf technologische Lösungen anstatt auf Verzicht. Dabei sollten die Debatten nicht davon ablenken, dass am Ende ein gemeinsames Ziel stehen muss: Das Ende der CO2-Emissionen.
Irgendwann muss Schluss sein
Besser noch als sämtliche Debatten und Berechnungen dieser Art macht das Konzept des CO2-Budgets relativ radikal klar: Irgendwann muss komplett Schluss sein. Wenn wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für die kommenden Generationen noch ein einigermaßen sicheres, stabiles Überleben auf diesem Planeten ermöglichen wollen, bleibt uns – Zahlen hin oder her – nichts anderes übrig, als unsere Emissionen so bald wie möglich so weit wie möglich zu reduzieren.
„Die Temperaturänderung hört nur dann auf, wenn wir netto kein CO2 mehr emittieren“, sagt Zaehle. Es führt kein Weg daran vorbei: „Wir müssen Wege finden, unseren Energiebedarf weitestgehend ohne fossile Energieträger zu decken.“
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