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Verleitet zu Überkonsum? 4 Argumente gegen Secondhand im Check

Ist Secondhand doch nicht nachhaltiger? 4 Argumente im Check
Foto: CC0 Public Domain - Pexels/ cottonbro studio

Wer gebrauchte Kleidung statt Neuware kauft, bewahrt Textilien vor dem Müll. Das schont Ressourcen und sorgt dafür, dass weniger neue Kleidung produziert werden muss – oder? Vier Argumente gegen Secondhand-Kleidung im Check.

Das gute Image von Secondhand-Ware ist nicht unumstritten. Der weite Transport der Kleidung schade der Klimabilanz, heißt es. Oder: Nur online gekaufte Secondhandware ist nachhaltig. Was ist dran? Utopia hat recherchiert und bei einer Expertin nachgefragt.

Argument 1: Der weite Transportweg schadet der Klimabilanz

Wer Secondhand-Kleidung kauft, tut dies entweder online oder in einem Secondhandladen beziehungsweise Flohmarkt vor Ort. Bei beiden Optionen können allerdings lange Transportwege anfallen.

Große Online-Anbieter für Secondhandware haben oft Kund:innen in vielen Ländern. Der Anbieter Momox Fashion liefert zum Beispiel versandkostenfrei nach Deutschland (ab einem gewissen Bestellwert) – für eine Gebühr aber auch in andere europäische Länder wie Frankreich, Griechenland, Kroatien und Finnland. Kommt es zu Retouren, fallen entsprechend mehrmals weite Wege an.

Auch lokale Secondhand-Verkäufer:innen beziehen ihre Ware nicht unbedingt aus der Region. Denn sie nehmen nicht nur Kleidung von Privatleuten an, die diese im Laden vorbeibringen, sondern beziehen sie oft von Zwischenhändlern (oder „Wholesellers“). Diese wiederum kaufen Kleidung oft von Altkleider-Sortierbetrieben, welche sich ebenfalls teils im Ausland befinden.

Alttextilien aus Deutschland werden beispielsweise oftmals in osteuropäische Länder transportiert, erklärt Burcu Gözet – Expertin für Kreislaufwirtschaft und eine leitende Forscherin am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie – gegenüber Utopia. Denn sie müssen von Hand sortiert werden und in Osteuropa sind die Löhne für diese Arbeit niedriger. Auch beim Transport zwischen Sortierbetrieb, Zwischenhändler und Geschäft entstehen also Emissionen.

„Dennoch muss man bedenken, dass auch Neuware ähnliche Transportwege zurücklegt, und zwar ganz abgesehen von den Transportwegen für die Produktion“, betont Gözet. Laut einer Recherche von Zeit, SWR und Flip lagert etwa der Versandhändler Zalando Retourware in LKWs und schickt sie mehrmals quer durch Europa – basierend auf Prognosen, wo ein Artikel als nächstes bestellt werden könnte. Retouren von Ultra-Fast-Fashion-Händler Shein legten einer SRF-Recherche zufolge sogar noch weitere Strecken zurück – fast 100.000 Kilometer für drei Artikel.

Die Expertin verweist auch auf die energieintensive Produktion von neuen Textilien – oft mittels dem Energieträger Kohle. Dazu verbraucht jedes neue Kleidungsstück Ressourcen: Ein Baumwollshirt benötigt beispielsweise Land, Wasser und oftmals Pesitizide, und trägt zum Verlust der Artenvielfalt, Bodendegradation, Wassermangel und dessen Folgen sowie zu Umweltverschmutzung bei. „Und dabei sprechen wir noch nicht über die gravierenden Missstände in den Fabriken, denen insbesondere Frauen ausgesetzt sind“, so Gözet.

Der Forscherin greift der Fokus auf die Klimabilanz zu kurz. Für sie gilt: „Jede Kreislaufwirtschaftsmaßnahme, die eine Alternative zum Erwerb von Neuwaren darstellt, sollte aus Nachhaltigkeitsperspektive bevorzugt werden.“ Secondhand ist also sinnvoll, wenn man Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet.

Argument 2: Secondhand-Shopping ist nur online nachhaltig

Ein Secondhand-Laden benötigt Strom, muss im Winter geheizt werden, und wer dort einkaufen will, fährt oftmals mit dem Auto hin.  All diese Faktoren verursachen Emissionen, die beim Onlineshoppen nicht anfallen. Da könnte man annehmen, dass Onlineshopping nachhaltiger ist als der stationäre Verkauf von (Secondhand-)Ware.

Ganz so leicht ist das allerdings nicht. Laut Burcu Gözet gibt es keine validen Zahlen, die diese Rechnung bestätigen. Die Expertin bezweifelt zudem, dass Onlineshopping einen Vorteil in Sachen Nachhaltigkeit hat, da auch hier zusätzliche Umwelteffekte eintreten. Sie nennt zum Beispiel das Verpackungsmaterial und dessen Entsorgung sowie Retouren – denn anders als im Laden kann man online gekaufte Ware nicht vorab anprobieren.

„Auch ist bei dieser Diskussion unklar, wie denn die Kleidung in den Onlinehandel gelangt“, argumentiert Gözet. Denn wer getragene Kleidung auf großen Onlineplattformen wie Zalando verkauft, der versendet die Ware nicht direkt an Käufer:innen, sondern im ersten Schritt an den Konzern. Auch hierfür fallen Transport, Logistik, Verpackung an. Zalando packt die Ware für eine Prüfung aus und muss sie für den zweiten Versand an Käufer:innen folglich neu verpacken und versenden.

Onlineshopping ist also keineswegs eindeutig im Vorteil gegenüber stationärem Secondhandverkauf. Wie immer beeinflusst eine Reihe von Faktoren die Klimabilanz.

Argument 3: Menschen verkaufen ihre Kleidung nur, um Platz für Neuanschaffungen zu machen

Viele Modelabels nehmen inzwischen auch gebrauchte Kleidung zurück, zum Beispiel die Modekette H&M. Das Versprechen: Die alten Kleidungsstücke werden weiterverkauft oder recycelt. Doch tun die Ketten dies nicht unbedingt nur aus Engagement für die Umwelt.

Mode-Marketing-Experte Jochen Strähle erklärt gegenüber Deutschlandfunk Nova, dass sich für die Konzerne mit Secondhand-Kleidung eigentlich kein Geld verdienen lasse. Ihm zufolge spekulieren Modefirmen darauf, dass ihre Kund:innen erst alte Kleidung abgeben müssen, um Platz für neue zu schaffen – die sie dann am besten gleich bei ihnen kaufen. Über Annahmeoptionen für gebrauchte Kleidung würde für Verbraucher:innen ein Anreiz geschaffen, um einen Modeladen oder eine entsprechende Webseite zu besuchen.

Stimmt das? Geben Verbraucher:innen wirklich nur Kleidung ab, um Platz für Neues zu schaffen? Aktuelle Studien zu diesem Thema sind rar. Oft wird eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes forsa zu dem Thema zitiert – diese stammt allerdings aus dem Jahr 2013. Ihr zufolge geben 86 Prozent der Menschen ihre Altkleider zur Kleidersammlung. 88 Prozent davon sagen, sie tun dies, weil sie hilfsbedürftige Menschen oder karitative Organisationen unterstützen möchten. 85 Prozent geben an, sie möchten, dass die Sachen weitergetragen werden, da sie zum Wegwerfen zu schade wären. 54 Prozent wollen zum Umweltschutz beitragen, nur 13 Prozent möchten ihre Sachen loswerden.

In ihrer eigenen Wahrnehmung spenden Verbraucher:innen also Kleidung vor allem, um etwas Gutes zu tun. Burcu Gözet vom Wuppertal Institut betont jedoch, dass meist ein emotionaler Beweggrund dazu führe, dass Mode nicht mehr getragen wird: Verbraucher:innen geben demnach an, die Kleidung sei „out of fashion“ und „gefällt nicht mehr“.

„Durch die Weitergabe vorhandener Kleidung wird nicht nur Platz geschaffen für die Anschaffung neuer Kleidung, teilweise kann dies sogar mit einem besseren Gewissen erfolgen“, ordnet die Expertin ein. Dieses gute Gefühl führe zu einem Rebound-Effekt: Man konsumiert mehr Kleidung, was den positiven Effekt von Spenden & Secondhandkauf zunichte macht.

Argument 4: Der günstige Preis motiviert dazu, mehr zu kaufen als nötig

In vielen Fast-Fashion-Shops gibt es neue T-Shirts ab 5 Euro zu kaufen, bei Fair-Fashion-Labels liegen die Preise oft deutlich drüber. Beim Flohmarkt etwa sind viele Shirts dagegen schon ab 2 Euro zu haben, einige verkaufen ihre Ware sogar nach Kilopreis. Das kann dazu verleiten, mehr Teile einzukaufen, als man zwingend benötigt.

Daten spiegeln diesen Effekt wider: Laut Burcu Gözet vom Wuppertal Institut wird zwar vermehrt Secondhandkleidung gekauft, aber dies führt nicht dazu, dass der Umsatz von Firsthand-Mode sinkt. Stattdessen nimmt beides zu, es wird also insgesamt mehr Mode konsumiert. Die Expertin betont, dass auch Fast-Fashion-Neuware „unfassbar günstig“ sein kann. Sie vermutet jedoch, dass das „gute Gewissen“ beim Kauf von Secondhand die Hemmschwelle zum Überkonsum zusätzlich senken kann.

Genau diesen Effekt sehen auch weitere Expert:innen kritisch. Jochen Strähle erklärt gegenüber Deutschlandfunk Nova, wenn durch Secondhand mehr konsumiert werde als vorher, sei das nicht nachhaltig. Denn für Secondhand- braucht es erst Firsthand-Ware. Wenn man also gebrauchte Klamotten nutzt, um ein kaputtes Kleidungsstück zu ersetzen, dann schont das Ressourcen. Wenn man aber wegen des günstigen Preises mehr kauft, als man normalerweise erworben hätte, dann fördert man damit indirekt die Produktion von neuer Kleidung.

Sollte man also lieber wenig teure Neuware kaufen als viel günstiges Secondhand? Das hängt laut Gözet davon ob, was für Kleidung man erwerben möchte.

„Soll es ein Kleid für ein spezielles Event sein, macht es vermutlich Sinn, das Secondhand zu erwerben und im Nachgang weiterzugeben“, findet sie. „Sucht man nach einer Winterjacke oder nach Schuhen, die man die nächsten 10-20 Jahre tragen möchte, so steht die Langlebigkeit im Vordergrund.“ Sollte man hier auf Neuware zurückgreifen, findet die Expertin das mit Blick auf Langlebigkeit vertretbar. In diesem Fall rät sie, etwas mehr für höhere Qualität auszugeben und sich vorab mit dem Material auseinanderzusetzen. Von überflüssigen, spontanen Käufen rät die Expertin ab – aus ökologischen Gründen sollte man nur das kaufen, was man braucht – auch bei Secondhand-Ware.

Utopia meint: Secondhand ist kein Freifahrtschein

Secondhand-Kleidung zu kaufen bedeutet, bereits getragene Kleidung weiterzuverwenden. Das ist nachhaltig – allerdings nicht ohne Einschränkung.

Denn gebrauchte Kleidung zu kaufen ist kein Freifahrtschein für übermäßigen Konsum. Wer dieser Annahme aufsitzt und zum Spaß shoppt, befeuert Fast-Fashion-Konsum – auch beim Kauf von Secondhand-Ware.

Tatsächlich gilt, egal ob neu oder secondhand: Ökologischer Konsum gelingt nur, wenn wir nur das kaufen, was wir wirklich brauchen. Tut man dies, hat gebrauchte Kleidung einen echten ökologischen Vorteil.

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