Konsumverzicht, wo immer er möglich ist und eine rein vegane Ernährung – lösen wir damit die Klimakrise? Oder müssen wir verstärkt technische Innovationen vorantreiben? Das können wir als Konsument:innen tun.
Mit dem E-Camper-Van durch Oberbayern oder lieber mit dem Flieger zum Backpacking? Vegane Burger aus dem Labor oder Steak aus der Massenzucht? Heute scheinen wir uns bei jedem Einkauf für oder gegen die Rettung der Welt entscheiden zu müssen. Können uns technische Innovationen den Weg aus der Klimakrise weisen – oder müssen wir auf Konsum verzichten?
Klimakrise lösen: technische Innovationen oder Verzicht?
Es gibt viele Ideen und Erfindungen, die eine grünere Zukunft versprechen, beispielsweise Elektromobilität, Farmen auf Supermarktdächern, Vertical Farms, Fleisch aus dem Labor oder Kleidung aus Ozean-Plastik. Und die Innovationen gehen weiter, zum Beispiel könnte aus Algen Energie gewonnen werden.
Der Sozialpsychologe Prof. Dr. Wilhelm Hofmann meint: „Eine bislang viel zu wenig genutzte Lösung für die urbane Lebensmittelproduktion ist Aquaponik.“ Er erforscht an der Ruhr-Universität Bochum, wie der Klimawandel unser Handeln und unsere Gesellschaft verändert.
Bei der Aquaponik bildet die Zucht von Wasserlebewesen wie Fischen, Muscheln oder Algen und der Anbau von Gemüse einen kleinen ökologischen Kreislauf. So können auch in Großstädten auf kleinen Flächen gesunde Nahrungsmittel entstehen. Ideen wie diese können über die weitere Entwicklung des Klimawandels mitentscheiden.
Alles hat seinen Preis – auch grüne Technologien
Doch auch wir als Konsument:innen müssen erfinderisch werden. Denn: „In der westlichen Welt leben wir über unsere ökologischen Verhältnisse“, erklärt Hofmann.
„Wir hoffen wohl alle, dass sich der Klimawandel durch technische Innovationen bremsen lässt und die Wirtschaft immerfort wachsen kann. Aber auch die besten Innovationen verbrauchen erst einmal Ressourcen und insofern lassen sich Wachstum und Ressourcenverbrauch nicht völlig entkoppeln.“
Für ihn steht fest: Wir können unseren Wohlstand nicht immer weiter steigern – auch nicht mit grünen Technologien.
Das gelte auch für die Elektromobilität: „E-Autos sind wegen der für ihre Herstellung verbrauchten Ressourcen immer wieder in der Diskussion“, so Hofmann. „Aber wenn sie sparsam produziert und mit Ökostrom betrieben werden, dann sind sie auf Dauer ökologisch sinnvoller als Verbrenner. So gesehen können Innovationen schon einen spürbaren Unterschied machen.“
Aber eben nur, wenn wir zudem unseren Umgang mit Ressourcen überdenken. Der Forscher warnt vor dem Bumerang-Effekt – „etwa, wenn Menschen das jährlich mit einer Photovoltaik-Anlage eingesparte Geld in eine zusätzliche Flugreise stecken. Dann ist in der CO2-Gesamtbilanz ja nichts gewonnen.“
Deshalb geht es für Sozialpsychologe Hofmann nicht nur darum, dass wir bestimmte Dinge anders machen – sondern auch, dass wir weniger davon tun.
Die Klimakrise lösen – auf der Suche nach dem Allheilmittel
Innovationen und technischer Fortschritt allein können die Klimawandel nicht aufhalten. Das sieht auch Prof. Dr. Mi-Yong Becker so. Sie unterrichtet Nachhaltigkeit an der Hochschule Bochum und ist überzeugt: Der Klimawandel lässt sich nur durch einen Mix aus Innovationen, Gesetzen und Selbermachen aufhalten.
Innovative Ansätze, wie zum Beispiel das Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre und die Bindung des Klimagases in Gestein, wie sie in Island bereits bei „Orca“ erfolgt, oder auch künstliche Wolken am Great Barrier Reef – solche Ideen können zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels beitragen. Doch den Klimawandel aufhalten und die Ursachen dafür bekämpfen können solche Innovationen nicht. Viel wichtiger ist es also, dass schädliche Klimagase wie CO2 gar nicht erst freigesetzt werden und dass keine weitere Erwärmung der Erde stattfindet – wie es durch unsere Konsumgewohnheiten derzeit der Fall ist.
„Als Konsument:innen haben wir die Pflicht, uns zu informieren“, sagt Nachhaltigkeits-Expertin Becker. Dabei können Ampel-Aufkleber auf Produkten helfen, die beispielsweise den ökologischen Fußabdruck eines Produkts auf den ersten Blick erkennbar machen. Dann blieben die Nuss-Nougat-Creme oder die Butter womöglich häufiger im Supermarktregal liegen.
„Ich glaube, dass es einen kulturellen Wandel geben kann – ich würde nur nicht darauf warten wollen“,
sagt Becker. Denn solange Airlines uns für fünf Euro nach Mallorca bringen, werden sie immer die passenden Urlauber:innen finden. Da sei die Politik gefragt, findet Becker. Manche Produkte müssten mittelfristig teurer oder sogar verboten werden.
„Das war mit dem FCKW damals auch so. Sobald die Wissenschaft festgestellt hatte, dass dieses Gas sehr schädlich für die Ozonschicht ist, wurde es verboten“, erinnert Becker. Die Wirtschaft und die Konsument:innen stellten sich schnell auf das neue Gesetz ein – und die Ozonschicht kann sich regenerieren. Wenn es gar nicht anders geht, muss der Staat eben eingreifen.
Werbung suggeriert: Kauf dich glücklich!
Unterdessen fesseln Online-Shops und Einkaufszentren weiterhin unsere Aufmerksamkeit. „Uns wurde anerzogen, dass wir alles jederzeit haben können“, sagt Sozialpsychologe Hofmann. Werbung und Medien zeigen uns eine Welt, in der wir uns zu besseren und glücklicheren Menschen kaufen können. Wir shoppen, um uns mit Dingen für unsere großen und kleinen Erfolge zu belohnen: Zur Einschulung gibt es eine Schultüte, für das Zeugnis fünf Euro und ein Spielzeug, wenn wir beim Arzt brav waren. Schon als Kinder lernen wir, materielle Dinge mit Belohnung, Zuneigung und Glück zu verbinden.
Und womit wir unser Zuhause und unser Leben füllen, das sollen auch andere sehen. „Konsumgüter dienen häufig auch dazu, Anerkennung und Prestige zu gewinnen. Manche sind stolz auf das, was sie sich leisten können“, sagt Mi-Yong Becker.
Und manchmal sei Einkaufen auch eine Freizeitbeschäftigung: „Konsum kann auch eine Routine sein, die wir schon als Kinder lernen. Wenn die ganze Familie oder Freunde zusammen shoppen gehen, gemeinsam durch die Läden ziehen, bewerten und mitnehmen, was gefällt, dann ist das ein Teamerlebnis.“
„Konsum und Innovation können wir gar nicht getrennt voneinander denken“
„Um den Klimawandel aufzuhalten, müssen wir unser tägliches Leben und unsere Gewohnheiten neu denken“, rät Hoffmann. „Ab und zu müssen wir auf Tuchfühlung mit uns selbst gehen und schauen, was wir wirklich brauchen und was uns wirklich wichtig ist.“ Und selten seien es materielle Dinge, die uns wirklich glücklich machen.
Dabei sollten wir als Verbraucher:innen unsere Macht nicht unterschätzen. „Wenn Konsument:innen mit ihrer Kaufentscheidung sagen, dass sie etwas nicht mehr wollen oder nachhaltiger leben wollen, dann regen sie den Markt zu Innovationen an. Konsum und Innovation können wir gar nicht getrennt voneinander denken“, sagt Becker. Und so müssen nicht nur Politik und Wirtschaft umdenken – sondern auch wir selbst.
Die Klimakrise lösen: kein Recht aufs tägliche Schnitzel
„Wir haben kein Recht auf ein tägliches Schnitzel, wenn wir dafür Lebensgrundlagen zerstören, also der tropische Regenwald gerodet wird“, sagt Hofmann. „Wenn wir nachhaltig konsumieren, dann verzichten wir auf etwas, das uns gar nicht gehört.“
Die Umstellung auf ein nachhaltigeres Leben kann dabei durchaus Spaß machen, findet Hofmann: Wenn wir uns mit anderen zusammentun, unsere Erfahrungen teilen und unseren eigenen kleinen Stecklingen beim Gedeihen zusehen, kann uns das glücklich machen. Und Verzicht und Entrümpeln können durchaus befreiend wirken – zum Beispiel durch das etwas makaber klingende Death Cleaning.
Was Konsumverzicht bewirken kann
Konsumverzicht kann also nicht nur die Umwelt sondern auch uns selbst entlasten. Das sieht auch Becker so: „Konsumverzicht bringt uns gleich auf drei Ebenen weiter: Die erste ist die individuelle Ebene. Durch die befreien wir uns ein Stück weit von unserer Abhängigkeit von materiellen Gütern. Auf der ökologischen Ebene erleichtern wir durch den Konsumverzicht unseren Planeten: Wir belasten die Umwelt weniger und verbrauchen weniger Ressourcen. Und langfristig kann Konsumverzicht auch auf der ökonomischen Ebene wirken, indem wir beispielsweise kurzlebige Produkte durch hochwertigere ersetzen.“
Fazit: Umdenken und Innovation
Es gibt viele Stellen, an denen wir noch heute ansetzen können: Zum Ökostromanbieter wechseln, eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach bringen, zu einer ethischen Bank wechseln – und warum nicht auf dem Balkon die eigenen Lieblingspilze züchten? Konsument:innen haben es in der Hand, nachhaltiger zu leben und vor allem Dinge kreativ auszuprobieren.
Doch das wird nicht reichen. Es wäre naiv zu glauben, nachhaltiger Lebensstil auf persönlicher Ebene allein reiche aus. Wir müssen ebenfalls innovativ sein, wenn es um Technologie und Industrie geht. Technik und Wissenschaft geben uns längst ganz neue Möglichkeiten, anders zu konsumieren, zu essen und zu wirtschaften. Es gibt Entwicklungen in die richtige Richtung, die jedoch auch von uns genutzt, gesellschaftlich etabliert und konsequent vorangetrieben werden müssen.
Und: Konsum gänzlich verteufeln müssen wir dabei nicht – wir dürfen unsere Konsumgewohnheiten neu denken. Vielleicht erfinden wir dabei sogar ganz nebenbei neue Wege in eine glücklichere Zukunft, zum Beispiel durch bewussten Konsum oder Konsumverzicht, an bestimmten Stellen.
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