Wenn Veganerinnen schwanger werden, steht die große Frage im Raum: Vegan und schwanger – geht das überhaupt? Ist der Verzicht auf tierische Lebensmittel für das Baby gefährlich?
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Laut Statista gibt es in Deutschland im Jahr 2020 rund 1,13 Millionen Menschen, die sich als Veganer:innen bezeichnen, darunter ein großer Anteil junger Frauen. Frauen, die schwanger werden können – doch was dann? Kann man sich weiterhin vegan ernähren oder muss man einen Kompromiss machen und zumindest Milchprodukte, Eier und Fisch essen? Bekommt das Baby bei einer veganen Ernährung alle Nährstoffe, die es braucht, oder ist es gefährlich für das ungeborene Kind?
Vegane Schwangerschaft: möglich oder unmöglich?
Im April 2016 hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine überarbeitete Position zur veganen Ernährung veröffentlicht. Sie weist dabei auf mögliche Nährstoffdefizite und schädliche Auswirkungen auf die Entwicklung und die Gesundheit des Kindes hin und bezieht Stellung zur veganen Ernährung während der Schwangerschaft:
Für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche wird eine vegane Ernährung von der DGE nicht empfohlen.
Im nächsten Satz heißt es:
Wer sich dennoch vegan ernähren möchte, sollte dauerhaft ein Vitamin-B12-Präparat einnehmen, auf eine ausreichende Zufuhr v. a. der kritischen Nährstoffe achten und gegebenenfalls angereicherte Lebensmittel und Nährstoffpräparate verwenden. Dazu sollte eine Beratung von einer qualifizierten Ernährungsfachkraft erfolgen und die Versorgung mit kritischen Nährstoffen regelmäßig ärztlich überprüft werden.
Somit spricht sich die DGE zwar nicht aktiv für eine vegane Ernährung während der Schwangerschaft aus, gibt aber Empfehlungen, wenn man sich trotzdem dafür entscheidet.
2020 ergänzte die DGE diese Position beruhend auf aktuellen Forschungsergebnissen: Die neuen Daten wiesen darauf hin, dass Kinder von vegan lebenden Schwangeren bei der Geburt kleiner und leichter sind – wobei die meisten Kinder im normalen Bereich lagen. Gleichzeitig unterschied sich die Vitamin-B12-Konzentration in der Muttermilch von Veganer:innen nicht signifikant von der anderer Frauen. Allerdings nahm ein Großteil der veganen Schwangeren Nährstoffpräparate mit dem Vitamin ein. Die DGE bewertete außerdem positiv, dass die Ernährungsauswahl vegan ernährter Kinder einen höheren Ballaststoffanteil und einen geringeren Anteil an zugesetztem Zucker zeigt.
Im Vergleich zu anderen Ländern nimmt die DGE in der ursprünglichen Position einen konventionellen Standpunkt ein: Die Academy of Nutrition and Dietetics in den USA vertritt die Position, dass eine gut geplante vegane Ernährung mit Nährstoffpräparaten und angereicherten Lebensmitteln allen Ernährungsempfehlungen gerecht wird und auch für Schwangerschaft und Stillzeit angemessen ist. Fachgesellschaften in Australien, Portugal und Kanada folgen dieser Haltung.
In ihren FAQ zur veganen Ernährung spricht sich die DGE weiterhin nicht für die vegane Ernährung bei Schwangeren aus, gleichzeitig heißt es:
Eine gut geplante ausgewogene Lebensmittelauswahl sowie Supplementierung von VitaminB12 und gegebenenfalls den oben genannten kritischen Nährstoffen, können zu einer ausreichenden Nährstoffversorgung und somit zu einer gesundheitsfördernden Ernährung beitragen.
Wir haben bei der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) nachgefragt und von Prof. Dr. Schleußner, dem Direktor der Klinik für Geburtsmedizin in Jena, folgende Antwort bekommen (Stand: November 2020):
Für Schwangere wird eine ausgewogene Ernährung empfohlen. Die wissenschaftliche Empfehlung für Schwangere lautet ganz klar: möglichst nicht vegan ernähren und am besten für die Schwangerschaft eine Ausnahme machen. Wichtig wäre Milchprodukte und auch Fisch zu essen.
Für die Gesundheit von Mutter und Kind ist die ausreichende Aufnahme von Energie und Nährstoffen in der Schwangerschaft entscheidend, neben der Menge spielt auch die Qualität der Nährstoffe eine große Rolle. Bei einer strikt veganen Kost ist die Versorgung mit essentiellen Aminosäuren, Eisen, Vitamin B12, Jod, Calcium, Omega-3-Fettsäuren und Energie nicht gewährleistet. Dies kann zu einer mangelnden Gewichtszunahme, Blutarmut bei der Schwangeren und somit einer Minderversorgung des Ungeborenen führen und die kindliche Gehirn- und Nervenentwicklung negativ beeinflussen. Eine vegane Ernährung in der Schwangerschaft ist deshalb eine nicht gesunde Mangelernährung und muss durch eine zusätzliche Einnahme von Medikamenten ausgeglichen werden, so Prof. Dr. Schleußner.
Vegane Schwangerschaft: Mutter und Kind gut versorgt
Dr. Markus Keller ist Ernährungswissenschaftler und Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (Ifane), er forscht zur veganen Ernährung und hat gemeinsam mit Ökotrophologin Edith Gätjen das Buch „Vegane Ernährung. Schwangerschaft, Stillzeit und Beikost – Mutter und Kind gut versorgt“ geschrieben. Es soll sowohl Ernährungsfachkräften und Ärzt:innen als auch Schwangeren fundierte Informationen bieten – denn bisher gibt es nur wenige praktische Empfehlungen zur veganen Ernährung in der Schwangerschaft.
Dieses Buch will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen – aber dabei nicht als Aufforderung verstanden werden, sich in diesen Lebensphasen auf eine vegane Ernährung umzustellen.
Kritische Nährstoffe in der (veganen) Schwangerschaft
Dass der Bedarf an Energie und Nährstoffen in jeder Schwangerschaft erhöht ist, liegt auf der Hand: Schließlich müssen zwei Lebewesen versorgt werden. Allerdings bedeutet das nicht, dass man nun für Zwei essen kann: Der Mehrbedarf an Energie macht grade mal 250 Kilokalorien im 2. Trimester und 500 Kilokalorien im 3. Trimester aus.
Am besten sind vollwertige Lebensmittel mit einer hohen Nährstoffdichte, denn auch der Bedarf an Nährstoffen ist während der Schwangerschaft erhöht: Protein, Omega-3-Fettsäuren, Vitamin A, Folat (Folsäure), Vitamin B2, Vitamin B6, Vitamin B12, Eisen, Jod und Zink.
Der höhere Bedarf diese Nährstoffe gilt für jede Schwangerschaft. Vegane Schwangere sind teilweise besser, ähnlich und mitunter auch schlechter mit den Nährstoffen versorgt als Mischköstlerinnen. In ihrem Buch bieten Keller und Gätjen einen umfangreichen Überblick über die aktuelle Studienlage.
Zu den kritischen Nährstoffen bei einer veganen Schwangerschaft zählen:
- Vitamin D: Den größten Bedarf kann der Körper unter Einwirkung von Sonneneinstrahlung zwar selbstherstellen, einen Teil müssen wir jedoch mit der Nahrung aufnehmen. Es ist nur in wenigen tierischen Lebensmitteln enthalten, Veganerinnen sind deshalb meist nicht ausreichend versorgt. Sie sollten regelmäßig Zeit im Freien verbringen und gegebenenfalls Vitamin D supplementieren.
- Mit Vitamin B2 sind Veganer:innen ähnlich oder schlechter versorgt als Vegetarier:innen oder Fleischessende. Gute Quellen sind Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Hefeflocken, Pilze, Grünkohl oder Nüsse.
- Auch mit Vitamin B6 können Veganer:innen ähnlich oder schlechter versorgt sein. Es steckt in Hülsenfrüchten, Kohl, Vollkorngetreide, Walnüssen und Ölsaaten wie Leinsamen.
- Mit Eisen sind Veganer:innen ähnlich gut oder schlechter versorgt. Gute Quellen sind Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Kürbiskerne und grünes Gemüse.
- Mit Jod sind Veganer:innen durchschnittlich etwas schlechter versorgt. Es kann über Jod- oder Meersalz aufgenommen werden, sollte jedoch zusätzlich supplementiert werden.
- Auf eine ausreichende Calcium-Zufuhr zu achten, ist für Veganer:innen besonders wichtig. Es ist in Grünkohl, Brokkoli, Kichererbsen, Sonnenblumenkernen oder Nüssen enthalten.
- Auf die Zufuhr von Zink sollten Veganer:innen achten: Sie sind durchschnittlich etwas schlechter versorgt. Es ist in Vollkornprodukten, Haferflocken, Linsen, Ölsamen und Nüssen enthalten.
- Mit Omega-3-Fettsäuren sind Veganer:innen durchschnittlich etwas schlechter versorgt. Eine gute Quelle bieten Lein-, Raps- oder Walnussöl. Zusätzlich wird mit Mikroalgen angereichertes Öl empfohlen.
- Vitamin B12 ist für Veganer:innen ein sehr wichtiger Nährstoff. Es sollte unbedingt supplementiert werden.
- Mit Protein sind Veganer:innen ähnlich oder schlechter versorgt, Gute Quellen sind Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Vollkorngetreide und Kartoffeln.
- Mit Folat sind viele Veganer:innen schon gut versorgt. Grünes Gemüse, Kohl, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte bieten eine gute Quelle.
- Auch Vitamin A und Magnesium sind keine kritischen Nährstoffe für die meisten Veganer:innen. Sie sind damit besser versorgt als Mischköstler:innen.
Generell sollte die Ernährung in der Schwangerschaft – egal ob vegan oder nicht – möglichst abwechslungsreich und vollwertig sein. Denn auch wenn man sich nicht auf pflanzliche Kost beschränkt, kann es zu einem Nährstoffmangel kommen.
Prinzipiell gilt für alle Ernährungsformen, dass das Risiko für eine Nährstoffunterversorgung bzw. für einen Nährstoffmangel umso größer wird, je stärker die Lebensmittelauswahl eingeschränkt wird und je weniger abwechslungsreich die Ernährung ist.
Silke Restemeyer, DGE
Für die vegane Ernährung in der Schwangerschaft – und auch in jeder anderen Lebenssituation – bedeutet das: Viele unterschiedliche Gemüsesorten und Obstsorten in Bio-Qualität – im Idealfall natürlich auch saisonal und regional – sind die Basis einer gesunden Ernährung. Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen oder Kichererbsen und Kartoffeln sollten regelmäßig auf dem Speiseplan stehen, ebenso wie Vollkorngetreide.
Nüsse und Samen liefern jede Menge wichtige Nährstoffe und sollten täglich gegessen werden. Meiden sollte man vegane Fertigprodukte: sie enthalten oft viel Salz und Zusatzstoffe. Wie bei jeder anderen Schwangerschaft sind Alkohol und Tabak tabu und Kaffee sollte nur in Maßen getrunken werden.
- Lies dazu auch unseren Beitrag „Was, wenn wir alle Vegetarier wären?„
Utopia-Fazit:
Die Einschätzungen zur veganen Ernährung in der Schwangerschaft sind unterschiedlich, in einem Punkt sind sich jedoch alle Expert:innen einig: Ohne die zusätzliche Einnahme bestimmter Nährstoffe wie beispielsweise Vitamin B12 geht es nicht. Wer sich vegan ernährt und schwanger wird, sollte sich eingehend mit seiner Ernährung auseinandersetzten, auf die ausreichende Versorgung mit Nährstoffen achten und in Kauf nehmen, dass dies nicht ohne die Einnahme von Präparaten möglich ist. Bevor man auf eigene Faust Präparate einnimmt, sollte man sich in jedem Fall ärztlich beraten und eine Blutuntersuchung machen lassen. Auch bei Fragen und Unsicherheiten sollte man auf eine fachkundige Beratung setzten.
Das Buch von Dr. Markus Keller und Edith Gätjen ist eine hilfreiche Unterstützung für die vegane Schwangerschaft: Es bietet fundierte und umfangreiche Einschätzungen und Grundlagen, praktischen Empfehlungen für jeden einzelnen Nährstoff, Rezepte, Wochenpläne, Tipps und Tricks für eine vegane Ernährung, die Stillzeit und die vegane Beikost. Zudem werden ökologische Aspekte wie die Wahl von saisonalen Bio-Lebensmitteln, Lebensmittelverschwendung oder umweltfreundliche Verpackungen aufgegriffen.
Das Buch: „Vegane Ernährung. Schwangerschaft, Stillzeit und Beikost – Mutter und Kind gut versorgt“ (Ulmer Verlag) 24,90 Euro.
Kaufen: bei deinem lokalen Buchhändler oder online bei Buch7, Thalia oder Amazon.
Weiterlesen auf Utopia.de:
- 10 Dinge, die Eltern ihren Kindern nicht geben sollten
- Das Zero-Waste-Baby: 6 einfache Tipps
- Vegane Ernährung: Vitamine aus pflanzlichen Quellen
Externe Info Seiten:
- Position der DGE zur veganen Ernährung
- DGE: Ausgewählte Fragen und Antworten zu veganer Ernährung
- ProVeg: Vegetarisch-vegane Ernährung in der Schwangerschaft
- Peta: Pflanzliche Ernährung in der Schwangerschaft
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