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Stiftung Warentest fälscht Bewertungen bei Amazon & Co. – und entlarvt das System

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Foto: Daniel Krasoń / stock.adobe.com

Soll ich das Produkt kaufen, das Hotelzimmer buchen? Auf Online-Portalen wie Amazon oder Holidaycheck helfen Bewertungen von anderen Kund:innen bei solchen Entscheidungen. Nicht immer sind die Bewertungen echt. Experimente von Stiftung Warentest und dem SWR zeigen, wie Agenturen sie systematisch fälschen.

Wer im Internet Dinge einkauft oder Dienstleistungen bucht, kann sich an Kunden-Rezensionen orientieren. Oft erscheinen Bewertungen jedoch verdächtig, vor allem solche, die ein Produkt übertrieben loben. Dass Rezensionen gefälscht werden, ist keine Überraschung – wie systematisch das passiert, jedoch schon.

Stiftung Warentest wollte herausfinden, wie Fälscher:innen arbeiten. Dafür registrierten sich die Tester:innen der Verbraucherschutzorganisation bei Agenturen, die Rezensionen an Unternehmen verkaufen. Die Mitarbeiter:innen von Stiftung Warentest verfassten von Dezember bis Mai 2019 Bewertungen für sieben unterschiedliche Agenturen.

Die dreisten Methoden der Agenturen

Amazon Smile Foodwatch
Die meisten Bewertungen musste Stiftung Warentest bei Amazon abgeben. (Foto: "Streik Amazon Rheinberg03-2015_07" von DIE LINKE Nordhrein-Westfalen unter CC- BY-SA 2.0)

Die Tester:innen konnten nicht beeinflussen, für welche Produkte sie Rezensionen schreiben mussten – sie wurden ihnen zugeteilt. Mit dabei waren Kopfhörer, Toilettenbürsten, Lichterketten, Perücken und Apps. Die meisten Rezensionen musste Stiftung Warentest für Amazon verfassen.

Der Ablauf war meist ähnlich: Die Tester:innen mussten das Produkt zunächst auf eigene Kosten bestellen, damit Amazon die Bewertung später als „verifizierten Kauf“ kennzeichnet. Anschließend schrieben sie eine Bewertung auf Amazon, die die Agentur prüfte.

Nicht immer war ein Kauf nötig, in 21 Prozent der Fälle ließen die Agenturen die Produkte nur anhand von Fotos bewerten. Besonders dreist: In einem Fall sollten sich die Tester:innen eine Dating-App vorstellen und eine Rezension dafür schreiben. Die Agentur wollte offenbar vermeiden, dass jemand herausfindet, welche App sich mit erfundenen Rezensionen schmückt.

Negative Bewertungen werden nicht bezahlt

Stiftung Warentest wollte wissen, ob die Agenturen auch negative Bewertungen und Kritik zulassen – und vergab deswegen nur mittelmäßige Bewertungen. Die meisten Agenturen waren damit nicht einverstanden und forderten die Tester:innen dazu auf, vier oder fünf Sterne zu vergeben. Nur zwei Agenturen nahmen keinen Einfluss auf die Rezensionen.

Besonders lukrativ ist die Arbeit als Rezensent allerdings nicht: „Mal bekamen wir 0,01 Dollar pro Auftrag, häufig durften wir die Ware behalten oder günstig kaufen“, schreibt Stiftung Warentest. Für die Agenturen wiederum lohnt sich das Modell, sie verkaufen die Rezensionen teuer an Unternehmen.

Stiftung Warentest: Auch glaubwürdige Rezensionen können manipuliert sein

Stiftung Warentest testete auch den umgekehrten Weg – und kaufte bei vier Agenturen positive Rezensionen ein. Die Preise waren bei allen Agenturen ähnlich: Eine Bewertung kostete etwa zehn Euro, verkauft wurden sie im Paket (zehn Rezensionen für 99 Euro). Die Rezensionen klangen überzeugend: „Da berichtete ein Vater begeistert, wie gut das Angebot bei seiner Tochter ankommt. Rezensenten gingen im Detail auf Leistungen ein, die sie nie in Anspruch genommen hatten.“  

Mehr Details zu gefälschten Bewertungen und dem Experiment gibt es bei Stiftung Warentest.

Der „Shocker“ mit 4,7 Sternen

Stiftung Warentest hat seine Untersuchung bereits vergangenen Sommer veröffentlicht. Nun hat sich auch der Südwestrundfunk (SWR) in einem Marktcheck mit gefälschten Bewertungen beschäftigt – und ein eigenes Experiment durchgeführt. Der Journalist Julian Gräfe entwickelte mit dem SWR-Team ein neues Produkt: eine Holzkonstruktion, die zugleich Stuhl, Hocker und Tisch ist. Den „Shocker“ bot Gräfe auf dem Amazon-Marketplace an. Anschließend kaufte er illegale Bewertungen ein.

Auch er nutzte dafür Agenturen. Manche von ihnen vermittelten Testkund:innen, damit die Bewertungen den Status als verifizierter Käufe erhalten. Eine Agentur forderte Gräfe sogar auf, leere Pakete an die Testkäufer:innen zu schicken. Neben Agenturen entdeckte der Journalist auch Whatsapp-Gruppen, in denen die Mitglieder gefälschte Bewertungen organisierten. Am Ende des Experiments kam der „Shocker“ auf eine Bewertung von 4,7 Sternen (von 5) – alles Fake-Bewertungen.

Die gesamte Sendung läuft heute (23.2.) um 21 Uhr im SWR-Fernsehen, sie ist aber auch schon in der ARD-Mediathek und auf Youtube verfügbar:

So erkennst du falsche Bewertungen

Das Fazit aus den Recherchen von Stiftung Warentest und dem SWR: Jede noch so glaubwürdige Rezension kann manipuliert sein. Stiftung Warentest gibt folgende Tipps, um seriöse Bewertungen zu erkennen:

  • Nach Mängeln suchen: Wenn mehrere Nutzer:innen den selben Mangel reklamieren, hat das Produkt offenbar eine Schwachstelle.
  • Nach Stichwörtern suchen: Ist es zum Beispiel besonders wichtig, dass das Produkt lange hält? Dann suche über die Suchfunktion nach dem Begriff „kaputt“. So kannst du gefälschte Positivbewertungen übergehen und Mängel entdecken.
  • Rezensent:innen checken: Klicke bei einer Bewertung auf das Rezensent:innen-Profil und prüfe, was die Person sonst bewertet. Vergibt sie ständig fünf Sterne oder bewertet wöchentlich zehn Handys, sind die Bewertungen wahrscheinlich gefälscht.
  • Muster erkennen: Hat ein Produkt innerhalb kurzer Zeit auffällig viele gute Bewertungen erhalten? Ebenfalls ein Indiz für Fälschungen.
  • „Wörter wälzen“: Fallen dir ungewöhnliche Formulierungen auf? Gib sie in eine Suchmaschine ein. Falls du die Formulierung auch bei anderen Bewertungen findest, wurde wahrscheinlich manipuliert.

Utopia meint: Agenturen fälschen in großem Stil Bewertungen auf Online-Plattformen. Ein Grund mehr, lieber im Geschäft einzukaufen und sich dort beraten zu lassen, sobald das wieder möglich (und sicher) ist. Wer das tut, stärkt außerdem den lokalen Handel, entlastet die Paketboten und spart Karton-Verpackungsmüll ein.

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