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Das Aus russischer Energie: Unsere Sorge davor ist übertrieben

Nord Stream 2, eine gigantische Pipeline für fossiles Gas aus Russland
Foto © Nord Stream 2 / Nikolai Ryutin

Wie schnell gelingt Deutschland der Ausstieg aus russischer Energie? Während Annalena Baerbock (Die Grünen) einen Zeitkorridor nennt, drängt Volkswirt Moritz Schularick auf ein schnelles Embargo. Dies würde uns „weh tun“, aber Russland „viel, viel mehr“.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine steht die bisherige deutsche Energiepolitik auf dem Prüfstand. Zuletzt betonte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen), Deutschland werde vollständig aus russischen Energieimporten aussteigen. „Aus Kohle bis Ende des Sommers. Öl halbieren wir bis zum Sommer und werden bis Jahresende bei Null sein.“ Dann folge auch der Ausstieg aus russischen Gaslieferungen in einem gemeinsamen europäischen Fahrplan. „Denn unser gemeinsamer Ausstieg, der Komplettausstieg der Europäischen Union, das ist unsere gemeinsame Stärke.“

Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick hält ein schnelles Energie-Embargo für essentiell, wie er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erzählt. Denn so könne der Krieg in der Ukraine ein Ende finden. „Ein Embargo tut uns weh, aber es schadet Russland viel, viel mehr“, sagt Schularick, der Professor für Makroökonomie an der Science Po in Paris und Universität Bonn ist. Laut ihm ist der Effekt eines EU-weiten Öl- und Gas-Embargos auf die russische Volkswirtschaft ungefähr drei- bis viermal so stark wie der Effekt auf Deutschland.

Zusammen mit acht weiteren Wissenschaftler:innen hat er untersucht, welche Folgen ein vollständiger Stopp russischer Energie-Importe für die deutsche Wirtschaft hätte. Das Ergebnis: die Konsequenzen wären den Berechnungen zufolge abzufedern – die Sorge eines gesamtwirtschaftlichen Zusammenbruchs ist demnach übertrieben.  

„Ein komplettes Embargo russischer Energielieferungen würde uns 0,5 bis 3 Prozent Wachstum kosten. Auf Deutschland kämen also Kosten zu, die es in vergangenen Rezessionen erfolgreich bewältigt hat“, so Schularick im Gespräch mit der SZ. Insbesondere wegen der Corona-Pandemie wiege die Rezession schwerer als ohne. Die Kosten müssten daher auf „viele Schultern“ verteilt werden. Doch dies sei laut dem Wissenschaftler machbar.

Welche Kosten kann der Staat abfedern?

Demnach könne der Staat, etwa über Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit abfedern, die durch Einbußen im Wirtschaftswachstum entstehen. „Überlegen Sie, wie viele Arbeitsplätze verloren gehen, wenn dieser Krieg noch lange dauert oder sich ausweitet. Nichts tun hat viel höhere Kosten“, ist Schularick überzeugt. Auch ein „Energiegeld“ für einkommensschwache Haushalte kann er sich vorstellen, damit die Kaufkraft nicht weiter abnimmt.

Ein Modell, das er und seine Kolleg:innen berechnet haben, berücksichtigt, was passiert, wenn Deutschland mit 30 Prozent weniger Gas auskommen müsste. Dabei sei es wichtig, in der Embargo-Frage zwischen einer betriebswirtschaftlichen und einer gesamtwirtschaftlichen Antwort zu unterscheiden. Schularick sagt: „Für den einzelnen Betrieb, zum Beispiel einen Glashersteller, der sehr viel Gas braucht, um sein Glas herzustellen, ist ein Embargo problematisch. Wenn die Gaspreise stark steigen, kann der Betrieb unter Umständen nicht mehr kostendeckend arbeiten.“

„Die betroffenen Betriebe schreien natürlich laut“

Betriebswirtschaftlich sei das natürlich ein Problem. Allerdings nimmt der Forscher eine gesamtwirtschaftliche Perspektive ein, wonach zum Beispiel Glas – als eine Ressource – aus anderen Ländern importiert werden könnte. Was aber, so Schularick, einem indirekten Import von Gas gleichkäme, wenn das Glas mit Gas produziert worden ist. Dennoch müssten sich Produktionsketten so umgestellt werden. „Für die Volkswirtschaft als Ganze sind die Effekte dann viel geringer. Aber die betroffenen Betriebe schreien natürlich laut.“

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Mittelfristig sollten demnach neue Lieferwege gefunden werden, damit in einigen Jahren keine fossilen Energieträger mehr verbrannt werden müssen. Jetzt, so der Wissenschaftler, wäre der richtige Zeitpunkt, diese Agenda durch ein Ende der Energieimporte aus Russland zu beschleunigen.

mit Material der dpa

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