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Der Export-Stopp für Weizen offenbart die Doppelmoral reicher Staaten

Die G7-Staatengruppe appelliert angesichts steigender Lebensmittelpreise für offene Märkte.
Foto: CC0 Public Domain/Pixabay ilonamaksimova13/Jutrczenka/dpa

Die G7-Staaten appellieren angesichts steigender Lebensmittelpreise für offene Märkte. Denn Indiens Exportstopp für Weizen kommt zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt. Mit ihrem Aufruf zeigen die wohlhabenden Industrienationen, wie kaputt ihr moralischer Kompass ist. Ein Kommentar.

Steigende Lebensmittelpreise treiben die Menschen um, die Inflation ist einer aktuellen Umfrage zufolge derzeit die größte Sorge der Verbraucher:innen in Deutschland. Da kommt Indiens Exportstopp für Weizen zum falschen Moment. Als weltweit zweitgrößter Weizenproduzent hatte das Land angekündigt, die Ausfuhr für das Getreides mit sofortiger Wirkung zu verbieten. Der Grund: Die Regierung sieht die Ernährungssicherheit des Landes gefährdet.

Da ist es schon fast zynisch, dass sich nun die G7-Staatengruppe – also sieben der bedeutendsten Industrienationen des Westens – lautstark gegen Exportstopps wie diesen ausspricht und an die Verantwortung einzelner Länder appelliert. Schließlich handelt Indien nicht willkürlich. Vielmehr erleidet das Land, das rund 1,4 Milliarden Menschen beheimatet, derart heftige Hitzewellen, dass Teile der dortigen Ernte in den vergangenen Monaten vernichtet wurden.

„Wir haben alle miteinander, gerade die großen Exportnationen, auch eine Verantwortung für den Rest der Welt“, sagte Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) am Samstag nach Abschluss des Treffens mit seinen G7-Amtskolleg:innen. Özdemir und die anderen Vertreter:innen riefen dazu auf, die Märkte weiter offen zu halten. Angesichts der Ankündigung Indiens, keinen Weizen mehr exportieren zu wollen, wurde Özdemir deutlich: „Wenn jetzt alle anfangen, solche Exportbeschränkungen zu machen oder gar Märkte zu schließen, wirkt das krisenverschärfend.“

Özdemir hat recht – gleichzeitig offenbart die Haltung der G7 die Doppelmoral reicher Industrienationen. Sobald ihr Wohlstand droht, beschnitten zu werden, erinnern sie mit erhobenem Zeigefinger an ein global-gesellschaftliches Gewissen. Doch wo ist der moralische Kompass angesichts der Klimakrise, die von den Industriestaaten mit ihren Treibhausgasemissionen vorangetrieben wird, und die den globalen Süden – darunter Indien – überproportional stark trifft? Jahrzehntelang haben reiche Länder zum Wohle des eigenen Wachstums den Klimaschutz sträflich vernachlässigt. Und statt auf die eigenen Versäumnisse zu schauen, lieber das Wachstumsstreben jener Staaten kritisiert, die noch immer auf fossile Energieträger angewiesen sind. So auch Indien.

Wieder einmal greift das Matthäus-Prinzip

Tatsächlich kann der geplante Export-Stopp die derzeitige Lebensmittelkrise verschärfen. Die Welthungerhilfe warnt bereits vor Hungersnöten. Schließlich sind Länder wie Ägypten, Kenia, der Südsudan, der Libanon und weitere asiatische Staaten bislang stark von russischen und ukrainischen Exporten abhängig gewesen, wie die Hilfsorganisation gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland erklärte. Ärmere Staaten haben nun das Nachsehen – indem sie mehr für andere Getreidequellen bezahlen müssen oder stellenweise sogar leer ausgehen. Indien erklärte zwar, bereits bestehende Lieferverträge zu erfüllen, und auch Länder, die ansonsten um Nahrungsmittelsicherheit fürchten müssten, zu beliefern. Jedoch werde die Ausfuhr weiterer Mengen gestoppt.

Wieder einmal greift das Matthäus-Prinzip mit seiner Prämisse: Wer hat, dem wird gegeben. Während der Anstieg der weltweiten Weizenpreise und die Klimakrise die Lebensmittelsicherheit Indiens gefährden, wird sich der Großteil der Bevölkerung in Ländern wie Deutschland oder den USA teurere Lebensmittelpreise sehr wahrscheinlich leisten können. Leidtragende hingegen sind besonders arme Menschen, die einen hohen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssten.

Die Hilfsorganisation Brot für die Welt macht hier einen wichtigen Punkt im Gespräch mit der Taz: Die G7 könnten selbst Millionen Tonnen an Weizen zusätzlich zur Verfügung stellen, wenn sie weniger Getreide als Kraftstoff verheizen oder für die Massentierhaltung verfüttern würden.

Für diese Erkenntnis müssten Industrienationen jedoch ihren moralischen Kompass reparieren.

Mit Material der dpa

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