Yamas sind die fünf ethischen Grundsätze, die der traditionellen Yoga-Lehre zugrunde liegen. Sie können uns dabei helfen, einen friedlichen Umgang mit unseren Mitmenschen und der Umwelt zu entwickeln.
Das sogenannte Ashtanga Yoga ist eine traditionelle Form des Yogas, die seine praktische Lebensphilosophie als einen achtgliedrigen Pfad beschreibt (ashta = acht, anga = Glied). Denn Yoga geht über die körperlichen Aspekte hinaus und ist als eine Lebenseinstellung zu sehen.
Eines der acht Glieder ist die Asana-Praxis, die physischen Übungen, auf denen der Fokus in der westlichen Kultur liegt. Das erste Glied sind jedoch die sogenannten „Yamas“ – so steht es in den „Yoga Sutras“, einer der ältesten Yogaschriften aus dem 3. Jahrhundert. Verfasst wurden die Sutras in Sanskrit, einer altindischen Sprache. Dementsprechend sind auch die Yamas in jener Sprache benannt.
Es gibt allerdings auch deutsche Übersetzungen der Schriften, zum Beispiel von R. Sriram, online erhältlich bei Buch7, Thalia oder Amazon.
Die Yamas bestehen aus fünf Grundprinzipien und können als Moralkodex gegenüber der Mitwelt verstanden werden. Sie bilden die Basis für eine friedliche Atmosphäre, in der der Praktizierende seiner Lehre folgen kann.
Egal, ob du selbst täglich auf der Yogamatte stehst oder die physischen Übungen für dich nichts sind: Die Yamas können uns auch in moderner Zeit als Richtlinie dienen, um zu einem fairen und friedvollen Umgang mit unseren Mitmenschen, Tieren, Pflanzen und allen anderen Teilen der Mitwelt zu finden.
Wir haben dazu mit Julia Kounlavong gesprochen, Yogalehrerin und Gründerin von unwind your mind (Health X Partner von ottonova): „Die Art, wie wir mit anderen und uns selbst umgehen, hat eine große Tragweite. Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren, ist total einfach. Und genau da liegt häufig die Herausforderung. Wir sind es gewohnt, dass alles herausfordernd und komplex ist und können uns schwer mit diesen Kleinigkeiten anfreunden. Je öfter wir jedoch bewusst durchatmen, innehalten und überlegen, was wir gerade denken und wie wir urteilen, desto öfter durchbrechen wir den Autopiloten und nehmen bewusst wahr, was passiert. Und genau darum geht es!“
1. Yama: Ahimsa, die Gewaltlosigkeit
Der Begriff „Ahimsa“ lässt sich mit Gewaltlosigkeit oder Nicht-Verletzen übersetzen. Den Yoga Sutras zufolge kann in deiner Nähe keine Feindseligkeit gedeihen, wenn du Ahimsa verkörperst.
Dabei bezieht sich Gewalt hier nicht nur auf physische Gewalt, sondern auch auf Verletzen durch Worte – etwa indem wir andere Menschen beleidigen. Aber selbst Gedanken sind hier mit eingeschlossen: Wer wirklich Ahimsa lebt, hört auf, andere Menschen zu verurteilen oder über sie zu lästern.
Das schließt übrigens auch den Umgang mit dir selbst ein: Oft schaden wir uns selbst, indem wir etwa Gedanken haben wie „Dafür bin ich doch sowieso zu schlecht“ oder „Ich bin es nicht wert, dass …“. Stattdessen möchten wir Selbstliebe lernen und mit Selbstfürsorge besser mit uns umgehen.
Ahimsa im modernen Leben:
Wenn du die Yamas in dein Leben integrieren möchtest, ist Selbstbeobachtung die Grundvoraussetzung.
- Werde dir bewusst, wie du dich anderen Lebewesen und dir gegenüber verhältst.
- Achte darauf, wann und wie du Gewalt jeglicher Art ausübst. Alleine die Achtsamkeit hierauf wird dazu führen, dass du ein friedlicheres Wesen entwickelst.
- Ein möglicher Schritt könnte sein, weniger Fleisch zu essen und so unzähligen Tieren körperliche Gewalt zu ersparen.
- Aber auch jede Form von Gewaltlosigkeit gegenüber unserem Planeten ist Ahimsa, also zum Beispiel Klimaschutz.
- Ebenso wichtig ist gewaltfreie Kommunikation. Diese kannst du erlernen, indem du aktives Zuhören trainierst und deine emotionale Intelligenz steigerst.
Das Ziel von Ahimsa ist es, für Frieden auf allen Ebenen zu sorgen und Mitgefühl für unsere Mitmenschen und Umwelt zu entwickeln. Wie wichtig mehr Herzensliebe in heutigen Zeiten ist, betont auch der Dalai Lama im Interview.
2. Yama: Satya, die Wahrhaftigkeit
Das Prinzip von Satya ist ebenfalls Fundament vieler gesellschaftlicher und religiöser Lehren: Du sollst nicht lügen. Im Yoga wird jedoch erkannt, dass die Wahrheit auf menschlicher Ebene immer relativ und subjektiv ist.
Bei diesem Yama geht es darum, authentisch zu sein und zu sprechen, dein inneres Ich und deine eigene Wahrheit zum Ausdruck zu bringen und weder dir noch anderen etwas vorzumachen.
Satya im modernen Leben:
Auch um Satya bewusst zu leben, musst du dich, deine Worte und Gedanken genau beobachten.
- Werde dir dessen bewusst, wann immer du nicht die Wahrheit ausdrückst.
- Achte auch darauf, wann du dir selbst etwas vormachst – zum Beispiel, wenn du doch wieder eine Ausnahme deiner festgelegten Regeln zulässt.
- Verlasse deine Komfortzone und tritt in direkten, ehrlichen Kontakt mit dir selbst.
Im Umgang mit anderen Menschen ist es wichtig, die Wahrheit zu sagen. Bewahre dabei aber stets das Prinzip von Ahimsa: Fühle in dein Gegenüber hinein und finde Worte, die zwar ehrlich, aber auch freundlich sind. Drücke deine Gedanken und Gefühle aus, ohne den anderen zu beschuldigen oder zu verletzen. In manchen Fällen mag das auch bedeuten, zu schweigen, anstatt zu sprechen.
3. Yama: Asteya, Nicht-Stehlen und Absagen von Habgier
Asteya ist das dritte der Yamas im Yoga Sutra und lässt sich wörtlich mit „Nicht-Stehlen“ übersetzen. Dabei geht dieser Grundsatz aber weit über materielles Hab und Gut hinaus.
Wer Asteya lebt, beraubt andere nicht nur um ihren materiellen Besitz, sondern schmückt sich auch nicht mit fremden Federn, indem er etwa die Idee eines anderen als seine eigene verkauft. Es geht aber auch darum, nicht das Vertrauen anderer zu missbrauchen oder sie ihrer Zeit oder Freiheit zu berauben. Letztlich zielt Asteya darauf ab, von Habgier und Verlangen abzusagen und Zufriedenheit in dem zu finden, was man bereits hat.
Asteya im modernen Leben:
Dass wir uns nicht das Hab und Gut anderer Menschen aneignen dürfen, sollte eigentlich klar sein.
- Beobachte jedoch, ob du dich womöglich am Ruhm und den Ideen anderer Menschen bereichern willst. Letztlich ist jede Form von Begierde ein Widerspruch zu Asteya.
- Auch dieses Yama können wir auf die Umwelt ausdehnen und uns fragen: Inwiefern bestehlen wir durch Regenwald-Abholzung unseren Planeten? Inwiefern berauben wir durch die Überfischung der Meere oder in der Massentierhaltung Tiere ihrer Freiheit und ihres Lebens?
Indem du bewusster und weniger konsumierst, kannst du von Habgier absagen und deinem Planeten gegenüber respektvoll handeln. Mache dir bewusst, wie oft du Fleisch oder Fisch isst.
4. Yama: Brahmacharya, die Selbstbeherrschung
Das vierte Yama der Yoga Sutras ist Brahmacharya, was sich im übertragenen Sinne übersetzen lässt mit „auf das Wesentliche zubewegen“ oder „im Bewusstsein der Allseele handeln“. Hierbei geht es um die Mäßigung der Sinne und Leidenschaften.
Ursprünglich lag dabei der Fokus auf das Leben im Zölibat, doch kann unter Brahmacharya jede Form von Enthaltsamkeit oder Mäßigung verstanden werden. Es geht darum, Extreme zu vermeiden und sich nicht durch seine Lüste kontrollieren zu lassen.
Bramacharya im modernen Leben:
Es gibt viele Formen von Askese, die zu einem glücklicheren Leben beitragen können.
- Dazu kann zum Beispiel eine Smartphone-Diät, minimalistisch Leben oder das Ablegen einer Sucht (Tabak, Schokolade, Fernsehen usw.) zählen.
- Dabei musst du nicht gänzlich auf alles verzichten, sondern eine Mäßigung in deinem Verhalten anstreben. Benutze zum Beispiel öfter das Fahrrad oder gehe zu Fuß, statt das Auto für Kurzstrecken oder zum Einkaufen zu nehmen.
- Trainiere deine mentale Stärke und werde schlechte Angewohnheiten los.
5. Yama: Aparigraha, das Nicht-Horten
Aparigraha lässt sich wörtlich mit „Nicht-Horten“ oder „Nicht-Sammeln“ übersetzen und steht in engem Zusammenhang mit Asteya, dem Prinzip von Nicht-Stehlen. Hierbei geht es um die Erkenntnis, wie wenig es für ein zufriedenes Leben bedarf und darum, sich von übermäßigen Besitztümern und Konsum zu entsagen.
Aparigraha im modernen Leben:
Was früher im alten Indien als Aparigraha bezeichnet wurde, ist in der modernen westlichen Gesellschaft das Prinzip von Minimalismus.
- In Zeiten des Überflusses und Massenkonsums wird Einfachheit neu entdeckt. Immer mehr Menschen realisieren, dass ein Mehr an Besitztümern sie nicht glücklicher macht – und befreien sich von unnötigem Hab und Gut.
- Du kannst auf vielen Wegen minimalistisch leben und verschiedene Methoden nutzen, um deinen Haushalt, deinen Kopf und dein Leben von unnötigem Ballast zu befreien. So kann dir zum Beispiel der schwedische Weg des „Death Cleaning“ oder Marie Kondos Methode vom „Magic Cleaning“ dabei helfen.
- Auch das Zero-Waste-Prinzip kann zum Teil des modernen Aparigraha werden. Du kannst dazu beitragen, dass nicht noch mehr Müll auf der Welt erzeugt und angesammelt wird.
Yamas – wo soll ich nur anfangen?
Wie du siehst, sind die Yamas keine veraltete theoretische Lehre, sondern bieten viel Potenzial für das heutige Leben in modernen Gesellschaften. Wenn wir alle nach diesen fünf Grundsätzen des traditionellen Yogas leben würden, gehörten Umweltverschmutzung, Raubbau, Verletzen und Gewalt unter Menschen, Tieren und Pflanzen der Vergangenheit an.
Nun sind wir durchaus ein ganzes Stück von dieser Utopie entfernt, doch sollten wir uns davon nicht entmutigen lassen: Jeder Schritt in die richtige Richtung ist wichtig. Setze dich dabei aber nicht unter Druck und versuche nicht, von heute auf morgen dein gesamtes Leben umzukrempeln. Gehe es Schritt für Schritt an und würdige dabei die kleinen Erfolge auf deinem Lebensweg.
Julia Kounlavong empfiehlt als sanften Einstieg: „Achte auf deinen Atem, mach einen kurzen Bodyscan, koche und iss bewusst und achtsam ohne Ablenkung, nutze das Zähneputzen und Duschen zum NICHT-Denken. Nutze deine Sinne, um permanent mit dir selbst einzuchecken und schau, was zum Beispiel nach drei Wochen kontinuierlichem Üben passiert.“
Übrigens: Es gibt auch einen Yogakodex, der dir speziell im Privatleben helfen kann – die Niyamas.
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