Saftig liegt der Burger zwischen weichen Brötchenhälften, luxuriös gebettet auf Salat, Gurken und Soßen. Der Duft von gegrilltem Rind steigt in die Nase. Doch was so verführerisch darauf wartet, verspeist zu werden, hat nie in einem Stall gestanden – und wurde auch nicht geschlachtet.
Wie das gehen soll? Nun, wir befinden uns schließlich im Jahr 2040! Unser Speiseplan ist immer noch köstlich und reichhaltig – mit dem kleinen Unterschied, dass wir eigentlich alle Tiere von der Karte gestrichen haben. Werfen wir gemeinsam mit unserer Autorin, der Philosophin Ines Maria Eckermann, einen Blick zurück aus der Zukunft.
Grillen grillen: Trend zwischen 2020 und 2030
Touristen futterten sich schon gegen Ende des 20. Jahrhunderts, also vor vielen Jahrzehnten, durch die Insekten-Auswahl auf der Khao San Road in Bangkok. Oft eher als Mutprobe als aus echtem kulinarischem Verlangen, und doch waren sie schon damals einem Trend auf der Spur. Denn schon wenig später, Anfang der 2010er Jahre, riet die Weltgesundheitsorganisation WHO dazu, Insekten auf den Speiseplan zu setzen: Die Kerbtiere benötigten kaum Platz und Wasser, lieferten dafür reichlich Protein und nur wenig Cholesterin.
Wie man damals herausfand, ließen sich über 1.800 Arten von Insekten zu schmackhaften Lebensmitteln verarbeiten. Die Favoriten der Food-Forscher waren Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken. Zu Eiweißmehl verarbeitet oder gebacken und mit Chili, Limette und Paprika gewürzt, wurde aus Insekten ein gesunder und vor allem nachhaltiger Snack – zum Beispiel in Form von Insektenburgern. Während 2019 noch zehn Kilo Futter nötig waren, um ein Kilo Rindfleisch zu „produzieren“ (ein unangenehmer Begriff, den 2040 niemand mehr mit einem Tier in Verbindung bringt), stellten Forscher und Küchenpioniere aus derselben Futtermenge bald fast zehn Kilo Insekten her – und setzten dabei kaum noch Treibhausgase frei.
Früher ließen sich Säugetiere nicht halten, ohne immer wieder krank zu werden oder sich zu verletzen. Deshalb musste Landwirte immer wieder auf Antibiotika zurückgreifen. Doch weil in den Ställen zu viele dieser Mittel verwendet wurden, entstanden in den 2010er Jahren spezielle Bakterienstämme, gegen die kein Antibiotikum mehr ankam. Auch dieses Problem halfen die Insekten zu lösen, denn Antibiotika sind in der Zucht der knackigen Krabbler nur sehr selten nötig. Und da sich das Erbgut von Menschen und Insekten stark unterscheidet, konnten Viren auch nicht so einfach von einer Spezies zur anderen überspringen, wie das bei der Vogel- oder Schweinegrippe zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Fall war. Vor einer Mehlwurmgrippe musste niemand Angst haben.
Der Trend, Grillen zu grillen und Maden zu braten, war allerdings nur von kurzer Dauer: Was in den 2020er Jahren kulinarisch ultrahip war, hat sich heute, im Jahr 2040, überlebt. Die Insektenburger sind wieder aus dem VegDonald’s verschwunden, der heute nur noch fleischfreies Fast Food anbietet.
Von Mathematikern und Vegetariern
Bevor die meisten Menschen in den 2020er Jahren auf den Wurm (und die Insekten) kamen, hatten sich Nicht-Vegetarier vor allem vom Fleisch von Schweinen, Rindern und Hühnern ernährt, die sie in großen Fabriken hielten. Die Jungtiere, die sie sich als Kalbsschnitzel oder Spanferkel servieren ließen, schmeckten ihnen besonders gut. Jahrzehntelang dokumentierten Institutionen wie die Heinrich-Böll-Stiftung in ihrem jährlichen Fleischatlas (Link), wie viele Lebewesen jedes Jahr getötet wurden, und wie viele Tierkörper sogar direkt und unverzehrt im Müll landeten. Trotz der beunruhigenden Zahlen änderte sich lange nichts.
Dabei war der Gedanke, dass ein Leben auch ohne Tiere auf dem Teller gelingen kann, so alt wie die Menschheit. Schon Pythagoras, dem wir einige rechtwinklige Momente im Matheunterricht verdanken, war eine Art Attila Hildmann der Antike: Er war einer der Ersten, die nachweislich für ein Leben ohne Fleischverzehr eintraten. Wie die meisten antiken Philosophen war Pythagoras überzeugt, dass alle Lebewesen sich ähnlich sind und ähnlich empfinden. Deshalb dürften wir aus einer Kuh ebenso wenig ein Mittagessen zaubern wie aus unserem Nachbarn, so seine Schlussfolgerung. Den guten Argumenten von Pythagoras und anderen Philosophen folgte jahrhundertelang – so gut wie nichts.
Pfanne für alle – oder Freiheit für alle!
Erst im 20. Jahrhundert griff der Moralphilosoph Peter Singer den Gedanken wieder auf, dass auch Tiere moralische Rechte besitzen. Sein bedeutendes Buch „Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere“ erschien 1975. Es enthielt viele Gedanken, die für die damalige Zeit ungewöhnlich waren: So sprach Singer einem lebenden Kälbchen mehr Rechte zu als einer befruchteten menschlichen Eizelle in einer Petrischale. Sein Argument: Das Kälbchen könne bereits fühlen und Schmerz empfinden, der menschliche Zellklumpen dagegen sei ohne weiteres gar nicht lebens- und empfindungsfähig.
Singer meint: Es ist nicht ausschlaggebend, zu welcher Spezies wir gehören, ob wir Kuh, Mensch oder Katze sind. Wer fühlen kann, so der Philosoph, hat auch ein Recht auf Leben. Für viele galt Singer deshalb damals als Hardliner unter den Ethikern, weil er menschlichem Leben und Leiden keinen höheren Stellenwert einräumte als tierischem. Heute, im Jahr 2040, sind die meisten Menschen der Meinung, dass er schon damals Recht hatte.
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Zur gleichen Zeit, als Singers Veröffentlichung erschien, prägte der britische Psychologe Richard Ryder den Ausdruck „Speziesismus“. Mit dem Begriff, der bis in die 2020er Jahre auf Flugblättern und Aufklebern von Tierrechtsorganisationen zu lesen war, bezeichnete Ryder die Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Lebewesen, die nicht zur eigenen Spezies gehören. Für Ryder, Singer und ihre Mitstreiter gab es keinen vernünftigen Grund dafür, wieso wir Bello das Bäuchlein kraulen, während Berta auf dem Herd brutzelt: Pfanne für alle – oder Freiheit für alle!
2025: Plötzlich war Tofu billiger als Hackfleisch
Das hat sich gründlich geändert. 2040 gelten die meisten Tiere nicht mehr als Nahrungslieferanten ohne Gefühle, Werte oder Rechte. Niemand hält es mehr für selbstverständlich, Küken lebendig zu schreddern, um in den Genuss günstiger Frühstückseier oder Chicken-Nuggets zu kommen. Heute denken wir mit Scham an die Massentierhaltung des frühen 21. Jahrhunderts zurück.
Erinnern wir uns: Noch 2018, erst vor 22 Jahren also, wanderten etwa 40 Kilo Schweinefleisch und gut zehn Kilo Geflügel pro Jahr durch ein durchschnittsdeutsches Verdauungssystem! Doch je mehr Menschen wir wurden, desto weniger konnten wir uns die ungezügelte Fleischeslust bekanntlich leisten: Die Tierzucht verbrauchte einfach zu viele Ressourcen. Von den klimaschädlichen Abgasen der Rinder ganz zu schweigen. Die Klimakrise, die 2019 noch eine echte Bedrohung war, tat ihr Übriges.
Dann kam der Durchbruch. Angesichts der Gefahren des menschengemachten Klimawandels beschlossen die Landesoberhäupter Anfang der 2020er Jahre endlich den Kurswechsel: Die Subventionen auf tierische Produkte wurden abgeschafft und dafür pflanzliche Kost niedriger besteuert. Plötzlich war ein Kilo Tofu nicht mehr dreimal so teuer wie ein Kilo Hackfleisch! Köstlicher Fleischersatz in Bio-Qualität wurde auch für Geringverdiener bezahlbar, hochverarbeitete tierische Produkte dagegen wurden langsam, aber sicher, zu Luxusgütern. Das war nicht schlimm, weil sie niemand so richtig vermisste. Zu sehr hatte der Ruf von Fleisch schon gelitten, vor allem, wenn es industriell erzeugt worden war. Alle wussten inzwischen um den Preis: Klimawandel und Tierleid.
2040 isst kaum jemand mehr Säugetier-Fleisch. Wenn man heute ein Wiener Schnitzel bestellt, erwartet niemand, dass dafür etwas in der Pfanne landet, das aus einem Kälbchen geschnitten wurde. Auf den Tisch kommt stattdessen eine krosse vegetarische Köstlichkeit, die den Namen „Fleischersatz“ nicht verdient. Umgekehrt: Fleisch gilt inzwischen als schlechter Ersatz für die reiche Bandbreite der vegetarischen und veganen Ernährung.
Gemüseburger für Fortgeschrittene
Das hatte auch der technische Fortschritt möglich gemacht: Irgendwann suchten Köche und Ingenieure gemeinsam nach Lösungen, um aus pflanzlichen Rohstoffen gesunde und leckere Mahlzeiten herzustellen. Sie schlossen sich in Laboren ein und verkrochen sich hinter Töpfen und Standmixern. Schließlich fanden sie die neue Weltformel (oder zumindest etwas sehr ähnliches) – ein Rezept für Fleisch ohne Fleisch! Sie schufen Burger aus Kartoffeln, Steaks aus Soja und Schnitzel aus Weizen- oder Lupinenprotein.
Der Duft von Rindfleisch besteht aus über 100 einzelnen Gerüchen, wie der Physiker Oliver Zahn gegen Ende der 2010er Jahre herausfand. Mit im Geruchsbukett: Stinktier, Babywindel und verschiedene Obstsorten. Es gelang Wissenschaftlern, diese Bestandteile nachahmen, ohne dafür einer Kuh zu nahe zu kommen. Auf pflanzlicher Basis stellte Oliver Zahn sogar etwas her, das dem Blutfarbstoff Hämoglobin ähnelte, schließlich war der Fleischsaft seiner Meinung nach der Schlüssel zum Burgergeschmack. Miteinander vermischt, ließen die Kunstaromen, die aus seiner Firma kamen, Fleischfreunden das Wasser im Mund zusammenlaufen.
2019 fanden sich seine Kreationen bereits bei Burger King wieder. Im Laufe der 2020er Jahre wurden die Pflanzenburger immer perfekter, bis sie nicht nur genauso lecker, sondern auch noch gesünder – und vor allem billiger – wurden als herkömmliche Patties. Denn der Anbau der pflanzlichen Rohstoffe war deutlich effizienter, da man sie nicht erst an ein Tier verfüttern musste, sondern gleich in Nahrung verwandeln konnte.
Während ein Teil unserer Fleisches also seit den 2020er Jahre mehr oder weniger auf dem Acker wächst, kann man Fleisch seit 2025 auch einfach züchten. Forscher entnahmen Tieren dafür Stammzellen, aus denen sie Muskelzellen wachsen ließen – die Tiere blieben dabei unbeschadet. Einer der größten Vorteile der neuen Verfahren: Laborfleisch rülpste kein Methan in die Atmosphäre.
So trugen die stallfreien Burger dazu bei, das Klima zu schützen. Ein Erfolg, auf den wir auch 2040 noch stolz sind.
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