Wer Mikroplastik in Kosmetik vermeiden will, ist mit zertifizierter Naturkosmetik auf der sicheren Seite – oder? Wir erklären, wie es möglich ist, dass sich selbst dort noch Kunststoffe verstecken, und was das für Verbraucher*innen heißt.
Wer die Umwelt schützen und Plastik in verschiedenen Lebensbereichen meiden möchte, landet mit Sicherheit auch beim Thema Kosmetik – und kennt vielleicht schon unseren Artikel zum Thema: Mikroplastik in Kosmetik: Wo es sich versteckt und wie du es meiden kannst.
Mikroplastik in Naturkosmetik: Wie ist das denn möglich?
Grundsätzlich empfehlen wir zertifizierte Naturkosmetik mit entsprechenden Siegeln, weil sie keine erdölbasierten Kunststoffe enthält. Aber: Bestehen die Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, sind sie in Naturkosmetik nicht verboten – obwohl sich diese Kunststoffe in der Umwelt nur schwer abbauen.
Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik hielt 2018 in einer Studie fest: „Naturkosmetikstandards können durch den Verzicht auf petrobasierte [d.h. erdölbasierte] Rohstoffe einen Großteil des Mikroplastiks sowie gelöster, gelartiger oder flüssiger Polymere ausschließen und sind daher aus Umweltsicht zunächst zu bevorzugen. Da die Polymere aber prinzipiell auch aus biobasierten Rohstoffen hergestellt werden können, die gegebenenfalls nicht ausreichend bioabbaubar sind, ist die vollständige Freiheit von synthetischen oder halbsynthetischen Polymeren bei Einhaltung heutiger Anforderungen der Naturkosmetik-Labels nicht gegeben.“
Im Klartext: Auch zertifizierte Naturkosmetik ist nicht zwingend frei von Mikroplastik.
Wo steckt das überhaupt drin – und warum?
Der am häufigsten genannte biobasierte Kunststoff ist Polymilchsäure, kurz PLA (INCI: Polylactid Acid). Er zählt zu den Polyestern und basiert auf nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr oder Mais. PLA ist in Wasser unlöslich und prinzipiell bioabbaubar. Allerdings kann der Abbau in Gewässern Jahre bis Jahrzehnte dauern. Lies hier mehr dazu: Wie bio ist Bioplastik?
In Kosmetik wird PLA vor allem als Reibkörper in Peelings eingesetzt – es steckt aber auch in Flüssigseifen und Augen-Make-up. Unsere Recherche ergab, dass folgende bekannte und derzeit erhältliche zertifizierte Naturkosmetik-Produkte PLA enthalten:
- Terra Naturi Hautverfeinerndes Aktivkohle Peelinggel (Schwarze Aktivkohle & Aloe Vera)
- Terra Naturi 2in1 Kaffee Peeling & Maske Limited Edition
- Sante Mademoiselle Sensitive Mascara 01 Black
- Sante Curl extend Extreme Mascara
- Lacura Long Lashes Mascara
Über Codecheck sind wir noch auf weitere Produkte gestoßen, die aktuell nicht (mehr) verkauft werden, aber möglicherweise im einen oder anderen Badezimmer zu finden sind:
- Alterra Aktivkohle-Peeling
- Terra Naturi Sanftes Peelinggel Mango & Aloe Vera
- Lacura naturals – Belebende Handseife
- Alverde Lash Extension Duo Mascara
- Biocura Nature Handseife Orangenschale & Bergamotte
So groß ist das Problem
Man muss betonen: Das Problem mit Kunststoffen in Naturkosmetik ist ein Mikro-Problem. Zum Verständnis der Größenordnung:
- „Partikuläres Mikroplastik ist in zertifizierter Naturkosmetik die absolute Ausnahme“, sagt Kerstin Etzenbach-Effers, Diplom-Chemikerin von der Verbraucherzentrale NRW, auf unsere Nachfrage. Und: „Das Problem der Abbaubarkeit ist bei konventioneller Kosmetik deutlich gravierender. Diese darf neben biobasierten Rohstoffen auch Silikone, erdölbasierte Polymere, halogenorganische Verbindungen und sogar Per- und Polyfluorverbindungen einsetzen.“
- In der oben genannten Fraunhofer-Studie heißt es: „Eine eigene Recherche […] ergab, dass von insgesamt 28.950 Produkten 1.106 (3,9 %) polymere Reibkörper aus PE (2,1 %), PA6 (1,7 %) und PLA (0,1 %) enthielten.“ Diese 0,1 Prozent beziehen sich auf Kosmetikprodukte insgesamt – der Anteil für zertifizierte Naturkosmetik ist also noch einmal kleiner.
- Kosmetik selbst ist zwar eine Quelle, die Mikroplastik freisetzt, aber bei weitem nicht die wichtigste – sie schafft es nicht einmal in die Top 10 (mehr dazu: Studie: Das meiste Mikroplastik stammt nicht aus Kosmetik). Kunstrasenplätze, Fassadenfarben oder Autoreifen sind zum Beispiel wesentlich größere Mikroplastikschleudern.
- Jürgen Bertling, einer der Autoren der zitierten Studie, betont im Gespräch mit Utopia: „Im Vergleich zu den wirklich relevanten Mikroplastik-Problematiken ist das kaum erwähnenswert.“ Er gibt auch zu bedenken, dass Mikroplastik aus Kosmetik keine wirklich große Gefahr für Gewässer sei, weil der Großteil in Klärschlamm übergeht. Der Abbau von PLA ist jedoch vor allem in Gewässern problematisch.
Halten wir fest: In nur sehr wenigen Kosmetikprodukten kommt PLA zum Einsatz, noch weniger davon ist Naturkosmetik, und selbst davon landet wohl nur ein winziger Teil am Ende in Gewässern – wo es nur sehr langsam abgebaut wird.
Das sagen Kosmetik-Hersteller und -Zertifizierer dazu
Doch obwohl die PLA-Problematik klein ist: Dass eine bestimmte Art von Mikroplastik in zertifizierter Naturkosmetik eben doch erlaubt ist, irritiert – denn Verbraucher*innen gehen davon aus, dass diese Produkte grundsätzlich frei von Kunststoffen sind.
Bei einer Utopia-Befragung der Hersteller aus unserer Naturkosmetik-Bestenliste zeigte sich: Die Sprecher*innen der Unternehmen haben offenbar bisher gar kein Bewusstsein dafür, dass solche Fälle überhaupt vorkommen können. So schrieb ein Hersteller auf die Frage, wie viele seiner Produkte ein Mikroplastik-frei-Siegel tragen: „Das erachten wir nicht als nötig, da unsere Produkte alle Natrue-zertifiziert und somit garantiert mikroplastikfrei sind.“
Dass PLA im Gegensatz zu erdölbasierten Kunststoffen erlaubt ist, begründet Mark Smith, Direktor General des Naturkosmetik-Zertifizierers Natrue, auf Nachfrage so: „Polymere wie PLA sind im Natrue-Standard inbegriffen, weil sie unter Berücksichtigung der Anforderungen an Ursprung und Produzenten hergestellt werden können, und weil sie biologisch abbaubar sind.“ Dabei beruft sich Natrue auf die internationalen OECD-Richtlinien, nach denen PLA als „inhärent (grundsätzlich) abbaubar“ gilt. Das bedeutet: Unter bestimmten Bedingungen sind nach 28 Tagen über 70 Prozent des Stoffes abgebaut.
Guter Kunststoff, böser Kunststoff?
„Was die Naturkosmetik sagt, ist: Wir wollen nichts Fossiles drin haben. PLA ist eben nicht fossil“, erklärt Jürgen Bertling vom Fraunhofer-Institut. Man könne aber auch bereits heute synthetische Kunststoffe wie Polyethylen (PE) biobasiert herstellen.
„Leider kann man aus der Rohstoffquelle nicht auf gut oder böse schließen“, betont der Wissenschaftler. „Das ist auch das Problem bei der Naturkosmetik. Aus meiner Sicht muss man die Kriterien ‚Biobasiertheit‘ und ‚Bioabbaubarkeit‘ auf jeden Fall immer getrennt verhandeln“ – die Fragen also, auf welchen Rohstoffen ein Kunststoff basiert und ob bzw. wie schnell er biologisch abbaubar ist.
Bertling gibt zu bedenken: PLA verbleibe lange in der Natur – das tun andere, weniger umstrittene Stoffe aber auch, zum Beispiel Glas. Und Kunststoffe, auch PLA, seien meist weitgehend untoxisch: „Man kann nicht einfach sagen: Da ist ein gefährlicher, toxischer Kunststoff drin, weil das einfach nicht stimmt“.
PLA: „schwer abbaubar“?
Zur Bioabbaubarkeit sagt der Experte: „Alles, was nicht zu 60 Prozent in 28 Tagen abbaubar ist, gilt als schwer abbaubar. Aber ist das relevant? Das ist einfach eine Konvention, die ohne große Begründungen oder Bezug auf den konkreten Anwendungsfall irgendwann beschlossen worden ist.“ Nach Bertlings Meinung müssten dringend neue, anwendungsspezifische Grenzwerte für zulässige Abbauzeiten festgelegt werden – und zwar für alle Polymere.
Je nachdem, wie ein solcher Grenzwert gesetzt würde, beispielsweise einige Monate, Jahre oder Jahrzehnte, könnte PLA dann in den Naturkosmetik-Richtlinien erlaubt oder beschränkt werden. Wenn man nachweisen könnte, dass sich Polylactid innerhalb der festgelegten Zeitspanne abbaut, wären dann die geringen Mengen aus Kosmetik überhaupt kein Problem, so der Experte. Zum Vergleich: Von Polyethlyen-Partikeln wissen wir, dass sie unter Umständen 1.000 Jahre in der Umwelt verbleiben.
Kunststoff in Naturkosmetik: Und jetzt?
Wenn du Mikroplastik in Kosmetik vermeiden willst, kannst du weiterhin auf Naturkosmetik-Siegel vertrauen. Um darüber hinaus auszuschließen, dass Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen enthalten sind, kannst du:
- Zusätzlich die Inhaltsstoffliste des Produkts auf Polymilchsäure (INCI: Polylactid Acid) prüfen – dabei kann die App von Codecheck helfen. (Lies auch: INCI: „Ingredients“-Liste von Kosmetik richtig lesen – eine Anleitung)
- Zusätzlich auf Mikroplastik-Siegel achten, wobei derzeit nur das Siegel „flustix plastikfrei“ auch Biokunststoffe ausschließt. Mehr dazu: Die wichtigsten Mikroplastik-Siegel: Das steckt hinter Flustix, Edeka, Aldi, dm und Rossmann.
- Beobachten, was sich auf dem Markt tut: Laut dem Fraunhofer-Experten könnten bald weitere Handelsketten mikroplastikfreie Produktlinien herausbringen – und dabei sogar eine relativ weite Definition von Mikroplastik haben, die über bisherige Labels hinausgeht.
- Kosmetik selber machen – so weißt du immer genau, was drinsteckt. Hier findest du viele Rezepte dazu: Rezepte für Cremes, Shampoos, Seife und mehr (Galerie), Seife, Hautcreme, Bio-Shampoo, Saure Rinse für die Haare, Peeling, Duschgel, Lippenbalsam, Deo, Handcreme u.v.m.
Weiterlesen auf Utopia.de:
- Die schlimmsten Inhaltsstoffe in Kosmetik
- 12 Tipps, was du gegen Mikroplastik tun kannst
- Plastikfrei leben: Diese 15 einfachen Tipps kannst du sofort umsetzen
- Plastik im Meer – was kann ich dafür?
- Aus diesen 7 überraschenden Dingen gelangt Mikroplastik ins Meer
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