Fliegen, Fleisch essen, Plastik verwenden: Das alles ist nicht nachhaltig – und wer es trotzdem tut, kann sich nicht glaubwürdig für Klimaschutz einsetzen. Oder? Wir finden: Ganz so einfach ist es nicht.
Die Klimakrise steht unmittelbar bevor, die Folgen sind bereits heute deutlich spürbar: Überflutungen, Artensterben und die letzten beiden Hitzesommer weisen darauf hin, dass die Erderwärmung ansteigt – deutlich schneller als bisher angenommen. Höchste Zeit, dass etwas getan wird.
Wer etwas tut, wird kritisiert
Doch wer etwas tut, muss mit Kritik rechnen. So wie die Aktivistin Luisa Neubauer, die sich fürs Klima einsetzt, aber selbst schon geflogen ist. Oder Greta Thunberg, die ihren Reiseproviant auch schon in der Plastikhülle eingepackt hat. Oder Madeleine Alizadeh, die auf Instagram über Nachhaltigkeit informiert, aber einmal eine einzelne Süßkartoffel energieintensiv im Backofen zubereitet hat. Ihnen wird Doppelmoral vorgeworfen, weil sie Nachhaltigkeit predigen, diese aber selbst nicht zu 100 Prozent leben – und das ist ein Problem.
Denn die Annahme, dass sich nur diejenigen glaubwürdig fürs Klima einsetzen dürfen, die ökologisch einwandfrei leben, ist falsch, unrealistisch und noch dazu gefährlich. Sie suggeriert, dass das Engagement für Klima- und Umweltschutz eine Sache radikaler Ökos und Nachhaltigkeits-Perfektionist:innen ist, die ein Aussteiger-Leben in Hanfhosen fristen, abseits von Internet, Supermärkten und Straßenbahnen. Sie suggeriert, dass man als Normalbürger:in keinen Anspruch darauf hat, von der Politik ein Plastik-Verbot zu verlangen, solange man sein Müsli in der Plastikverpackung kauft. Und weil man nichts mehr richtig machen kann, führt diese Annahme bei vielen Menschen dazu, es gleich ganz bleiben zu lassen.
Jeder Schritt zählt
Doch das Credo „ganz oder gar nicht“ funktioniert hier nicht. Klar: Selbst vollkommen unnachhaltig zu leben, ohne jegliche Bereitschaft zu Veränderung, ist unglaubwürdig und zu wenig. Aber wir müssen nicht alles sofort perfekt machen. Gar nichts zu tun, ist in diesem Fall deutlich schlimmer, als wenigstens ein bisschen etwas zu tun.
Jeder Schritt schafft Aufmerksamkeit. Und je mehr Menschen Bescheid wissen und auf Veränderung pochen, desto mehr Druck können wir auf politische Akteure und Entscheidungsträger:innen ausüben. Jede Person mehr, die auf Fleisch verzichtet, eine klimafreundliche Partei wählt oder sich auf andere Weise für die Umwelt engagiert, erhöht die Chance darauf, dass Gesetze und Regelungen erlassen werden, die den Klimawandel aufhalten können.
Als sich im August 2018 eine 15-jährige Teenagerin vor das schwedische Parlament setzte, um eine wirksamere Klimapolitik von ihrer Regierung zu fordern, war die Dringlichkeit der Klimakrise lange nicht so präsent wie nur wenige Monate später. Weltweit gingen jeden Freitag tausende Menschen auf die Straße, um für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren. Greta Thunberg ist der Beweis dafür, dass ein einzelner Schritt das Potenzial hat, etwas zu verändern. Sie hat es geschafft, die Klimakrise auf die politische Agenda zu setzen.
Was ist so falsch daran, überleben zu wollen?
Wenn wir immer nur auf denjenigen rumhacken, die beim Versuch nachhaltiger zu leben Fehler begehen, werden wir die Klimakrise nicht bewältigen. Dann verspielen wir die Chance auf eine lebenswerte Zukunft. Statt die vermeintliche Doppelmoral derjenigen zu kritisieren, die Veränderung verlangen, sollten wir lieber diejenigen kritisieren, die erst gar keine Moral haben. Und den Menschen, die Luisa Neubauer, Greta Thunberg oder Madeleine Alizadeh Unglaubwürdigkeit vorwerfen, sollte man mal folgende Frage entgegenhalten: Was ist so falsch daran, überleben zu wollen?
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